1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Verdi gegen Amazon: Fünf Jahre Streiks

Jörn Perske dpa
11. Mai 2018

Fünf Jahre Arbeitskampf - und die Bilanz so verschieden wie die Interessen: Verdi glaubt, Verbesserungen an den Amazon-Standorten erreicht zu haben. Amazon findet, man sei auch ohne Tarifvertrag ein guter Arbeitgeber

Berlin Anti Amazon Protest Springer Preis Bezos
Gewerkschaftsaktion gegen Amazon im April in BonnBild: picture-alliance/Zuma/M. Heine

Verdi gegen Amazon - der Tarifstreit zwischen der Gewerkschaft und dem Versandhandelsriesen aus den USA hat sich zum Dauerbrenner unter den Tarifstreits in Deutschland entwickelt. Fünf Jahre es ist her, dass Verdi nach den Warnstreiks erstmals zu regulärem Arbeitsausstand aufrief. Die ersten Streik-Standorte waren am 14. Mai 2013 Bad Hersfeld und Leipzig - weitere schlossen sich danach an.

Doch das Ziel, Verhandlungen über einen Tarifvertrag zu erwirken, hat Verdi bislang verfehlt. Handelsexperte Gerrit Heinemann, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Niederrhein, sagt: "Wenn die Gewerkschaft Verdi nach fünf Jahren ihr Ziel nicht erreicht hat, wird es auch in Zukunft nicht klappen. Verdi beißt sich an Amazon wie an einer harten Nuss die Zähne aus. Sie sollten es einfach sein lassen mit den Streiks."

Dicke Bretter bohren

Doch Aufgeben ist für die Gewerkschaft keine Option. Stefanie Nutzenberger, Verdi-Bundesvorstandsmitglied für den Bereich Handel, sagte in Berlin: "Uns war klar, dass es sich bei Amazon um ein Unternehmen handelt, das auf dem Weg zu einem globalen Monopol ist. Rechtsverbindliche Tarifverträge, die Menschen schützen und Belegschaften, die betriebliche Mitbestimmung wollen, will die Konzernleitung nicht." Aber der Kampfeswille der Arbeitnehmer steige stetig. "Wir bleiben dran und haben uns auf einen lang anhaltenden Konflikt eingestellt. Das Selbstbewusstsein der Belegschaft ist enorm gewachsen. Wer dicke Bretter bohren will, darf eben nicht nach den ersten Zentimetern aufhören."

"Wir bleiben dran..." Gewerkschafter von Verdi vor dem Amazon-Standort in Rheinberg Bild: picture-alliance/dpa/Roland Weihrauch

Der Branchenprimus mit seinen 16.000 Mitarbeitern bundesweit will sich dem Gewerkschaftswillen aber nicht beugen. "Amazon beweist jeden Tag, dass man auch ohne Tarifvertrag ein fairer und verantwortungsvoller Arbeitgeber sein kann", erklärte eine Unternehmenssprecherin. Amazon zahle in den elf deutschen Logistikzentren am oberen Ende dessen, was für vergleichbare Tätigkeiten üblich ist, an allen Standorten bundesweit mindestens 10,52 Euro brutto pro Stunde. Hinzu kämen einige Extras.

Kein Einzelfall

Amazon ist als nicht tarifgebundener Arbeitgeber beileibe kein Einzelfall in der Branche. In Deutschland seien weit mehr als 80 Prozent der Arbeitgeber im E-Commerce und Versandhandel nicht tarifgebunden. Diese Arbeitgeber zögen es aber vor, sich hinsichtlich der Entgelthöhe an tariflichen Maßgaben zu orientieren, berichtet der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland.

Die Auswirkungen der Streiks sind laut Amazon überschaubar. Nur ein kleiner Teil der Mitarbeiter an den Standorten schließe sich den Streiks an. Die große Mehrheit arbeite wie geplant. Und wenn mal in Deutschland gleich mehrere Standorte betroffen seien, gebe es Möglichkeiten, das Arbeitsaufkommen im europaweiten Logistiknetzwerk mit mehr als 40 Verteilzentren zu delegieren, erläutert Amazon.

Verdi auf der Gegenseite ist laut Nutzenberger ebenfalls auf einem "guten, gemeinsamen Weg", sich europaweit mit anderen Gewerkschaften zu vernetzen, um gegen die Ausweichmanöver vorzugehen. Für die Gewerkschaft geht es um mehr als nur einen Tarifstreit mit einem großen Player: "Wir befinden uns bei Amazon in einem Kulturkampf mit einem Unternehmen, das Gewerkschaften aus dem Betrieb halten und Löhne sowie Arbeitsbedingungen diktieren will."

"Negatives Arbeitsklima"

Die Arbeitsbedingungen verlangen den Beschäftigen laut Verdi einiges ab. "Das Arbeitsklima bei Amazon wird als sehr negativ empfunden", berichtet Mechthild Middeke, Verdi-Sprecherin in Hessen, zuständig für den größten deutschen Amazon-Standort in Bad Hersfeld. Über technische Mittel wie den Handscanner würden die Produktivität der Beschäftigten überwacht und Inaktivität registriert.

Auf Wachstumskurs - Amazon Logistikzentrum in Bad HersfeldBild: picture-alliance/dpa

Durch den seit fünf Jahren erzeugten Druck schreibt sich Verdi auf die Fahnen, schon einiges erreicht zu haben: Lohnerhöhungen, Weihnachtsgeld, Betriebsräte und einen anderen Umgang des Konzerns mit den Beschäftigten. Amazon verneint, dass dies das Resultat der Streiks sei. Man kümmere sich eben um die Beschäftigten, unter anderem mit Mitarbeiter-Aktien, Gratis-Versicherungen, einem Pensions-Fonds und Mitarbeiter-Rabatten.

Kollege Roboter?

Amazon befindet sich auf Wachstumskurs. Im vergangenen Jahr wurden neue Verteilzentreten in Winsen (Niedersachsen) und Dortmund (NRW) eröffnet, als nächstes folgen Frankenthal (Rheinland-Pfalz) und Mönchengladbach (NRW). Die beiden hinzukommenden Standorte werden verstärkt mit Robotern und automatisierten Arbeitsprozessen versehen. Die Technik-Helfer sollen zwar keine Arbeitskräfte ersetzen, aber die Arbeit in kürzerer Zeit erledigen. Am Standort Winsen wurden Transport-Roboter bereits erfolgreich erprobt.

Wie sind nun die Perspektiven für Verdi? Eine Antwort hat Handelsfachmann Thomas Roeb (Hochschule Bonn-Rhein-Sieg): "Ohne Gesichtsverlust kommt Verdi aus dem Arbeitskampf nicht heraus. Aber auf der anderen Seite sind die Streiks schon zum Ritual geworden. Man kann den Eindruck gewinnen, dass sie für Verdi auch der eigenen Öffentlichkeitsarbeit dienen." Auf die Mitgliederzahlen der Gewerkschaft wirken sich die Streiks bei Amazon jedenfalls positiv aus: "Erfolgreiche Auseinandersetzungen sind eine gute Werbung für die Notwendigkeit von Gewerkschaften", sagte Nutzenberger. "Bei Amazon ist Verdi zunehmend erfolgreich. Deshalb entscheiden sich immer mehr Beschäftigte, Mitglied zu werden."

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen