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Verehrt und verteufelt: der Wald und die Deutschen

19. September 2018

Sagenhaft und mystisch: So war der Wald im Mittelalter. Lyrisch und malerisch zeigte er sich in der Romantik. Heute ist er ein Erholungsort - und in Gefahr, wie die aktuellen Ereignisse um den Hambacher Forst zeigen.

Blick über den Pfälzer Wald im Herbst, Rheinland-Pfalz
Bild: picture-alliance

Einen Text über den Wald am Schreibtisch zu verfassen, ist keine dankbare Aufgabe. Das hat Hermann Hesse schon anders hingekriegt. Er fand die richtigen Worte, um dem Wald zu huldigen: "Seltsam schöne Hügelfluchten, dunkle Berge, helle Matten, rote Felsen, braune Schluchten, Überflort von Tannenschatten!", schrieb der Schriftsteller Hesse (1877 – 1962) inspiriert von seinen zahlreichen Besuchen bei seiner Schwester in Unterreichenbach im Nordschwarzwald.

Für den Schriftsteller Joseph Freiherr von Eichendorff war der Wald - rund 100 Jahre zu vor - ein Inbegriff nationaler Einheit und Freiheit. "O Täler weit, o Höhen,  / O schöner, grüner Wald", schrieb der Lyriker in seinem Gedicht "Abschied". Es ist eine Hommage an den Wald, der als Ort der Wiedergeburt und Erleuchtung dargestellt wird, der dem Menschen Glück, Zufriedenheit und Schutz vor dem gesellschaftlichen Druck und dem chaotischen Alltag schenkt. 

Unheimlich und gefürchtet

Die Deutschen pflegen seit jeher eine ganz besondere Beziehung zum Wald - eine, die über die Jahrhunderte immer wieder neu entdeckt wurde.

Ein Ereignis, das sich im Wald abspielte, und später diesen Ort zum Mythos machte, ist die Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9 nach Christi. "Zwar weiß man bis heute nicht, ob der Teutoburger Wald der Ort der Schlacht gewesen ist, aber es spielt eine große Rolle, dass sie im Wald stattgefunden hat", sagt Detlev Arens, Autor des Buchs "Der deutsche Wald". Es sei auf einen römischen Dichter, nämlich auf Tacitus, zurückzuführen, was in den Wald hineininterpretiert wird. "Tacitus beschreibt dieses Land der Germanen als einen schrecklichen Urwald voller hässlicher Sümpfe. Und dann folgert er: Wie das Land, so der Mensch. Diese Fremdwahrnehmung und Interpretation von öden Landstrichen des römischen Autors Tacitus wirkte bis ins Mittelalter weiter: Geister und Hexen beherrschten im Mittelalter den Wald. Vor Räubern, die hinter Bäumen versteckt auf ihre Beute warteten, hatte man sich ohnehin zu fürchten. Das Bild vom finsteren Wald hat sich lange im Volksglauben gehalten. Außerdem galt damals die Waldluft als schädlich, ungesund und feucht. Der Wald war das Zuhause von Dämonen und Fabelwesen, vor dem sich der Mensch fernhalten sollte.

Kulturerbe und Stück deutscher Identität

"Der Chasseur im Walde" von Caspar David FriedrichBild: picture alliance/Heritage-Images

Die Romantik verlieh dem Wald ein neues, positives Image - und machte ihn zum zentralen und bestimmenden Thema in Dichtung, Malerei und Musik. In den Märchen der Brüder Grimm etwa war der Wald als Handlungsort nicht mehr wegzudenken: Das kleine, unschuldige Rotkäppchen, das im Wald auf den bösen Wolf trifft. Die verängstigten Hänsel und Gretel, die im Wald die böse Hexe treffen. Oder die Stadtmusikanten, die erst einmal durch den Wald laufen müssen, bis sie die Stadt Bremen erreichen.

In der deutschen Romantik wird er zum identitätsstiftenden Symbol stilisiert - vor allem auch, um sich vom ungeliebten Nachbarland Frankreich abzugrenzen. Die Überhöhung des deutschen Waldes habe politische sowie auch literarische Wurzeln, so Arens: "Der deutsche Wald entsteht als Abgrenzung zum französischen Park. Die Deutschen sind ganz nach Tacitus diese kernigen Ureinwohner, die im Wald und mit dem Wald leben, während die Franzosen längst diese Beziehung verloren haben und als dekadentes Volk in der Literatur damals dargestellt werden", sagt Detlev Arens.

Später nutzten die Nationalsozialisten die romantische Vorstellung vom Wald für ihre Zwecke - und instrumentalisierten ihn als politisches Symbol: Menschen pflanzten "deutsche Eichen" zu Ehren Hitlers und Förster ordneten die Bäume so an, dass sie ein Hakenkreuz bildeten. Deutschland überstand den Nationalsozialismus, der Wald als Ort von Sehnsucht und Identifikation blieb. Bis heute ist der Wald der Inbegriff von purer Natur und Ursprünglichkeit. Ein Ort der Ruhe - im Kontrast zur Hektik und dem künstlichen Leben, das vor allem modernen Großstädten zugeschrieben wird.

Der Wald in Gefahr

Mit 11,4 Millionen Hektar ist knapp ein Drittel der Gesamtfläche Deutschlands mit Wald bedeckt. In den letzten zehn Jahren hat die Waldfläche hierzulande um 50.000 Hektar, um 0,4 Prozent zugenommen (Quelle: Schutzgemeinschaft Deutscher Wald). Doch der Klimawandel und die Energiepolitik stellen eine Gefahr für den Wald dar. Ein aktuelles Beispiel: der Hambacher Forst. Er ist in den vergangenen Monaten zum Symbol für den Kampf gegen die Kohleverstromung geworden. Seit sechs Jahren ist ein Teil des Waldgebietes von Umweltschützern, die in selbstgebauten Baumhäusern leben, besetzt. Nun will der deutsche Energiekonzern RWE, dem das Land gehört, die wenigen Hektar Wald, die am Rande der riesigen Kohlegrube stehen, ab Mitte Oktober abholzen. Das versuchen Umweltschützer derzeit zu verhindern.

Nicht nur die Energiepolitik setzt dem Wald zu, er ist auch Leidtragender des Klimawandels. Die Erderwärmung und die abnehmende Feuchtigkeit machen sich auch bei den Bäumen bemerkbar - vor allem die Fichte, die 25 Prozent des deutschen Waldes ausmacht, kriegt den Klimawandel deutlich zu spüren.

Der Versuch einer Definition

Der Wald ist mehr als die Summe seiner Bäume - für den Deutschen ist und bleibt er Identität, Heimatgefühl, Kultur, Nachhaltigkeit, Ressource. Alles, könnte man fast meinen. Und das Besondere daran ist: "Zwar spielt der Wald in vielen anderen Ländern ebenfalls eine große Rolle, vor allem in der Volksmusik, aber das Deutsche am deutschen Wald ist diese parallele Entwicklung zwischen dem romantischen Wald vor allem in der Literatur auf der einen Seite und die nüchterne wissenschaftliche Betrachtung auf der anderen Seite, die eine wirtschaftliche Perspektive eröffnet", schlussfolgert Arens. Und nicht zu unterschätzen sei der Einfluss des römischen Historikers Publius Cornelius Tacitus bis heute. Auch wenn die Faktenlage dürftig ist: Die berühmte Schrift "Germania" prägt bis heute das Bild der Deutschen, auf ihr gründet der Mythos von den Germanen, deren Lebensweise vom Wald charakterisiert ist. 

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