"Vereint, aber noch nicht eins"
19. Februar 2015In diesem Jahr feiert Deutschland 25 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit. Aus diesem Grund hat die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, die SPD-Politikerin Iris Gleicke, eine Studie zur Stimmung der Deutschen in Ost und West in Auftrag gegeben. Unter dem Titel "Sind wir ein Volk?" hat ein Team von Sozialwissenschaftlern aus Ost und West im vergangenen Herbst eine repräsentative Telefonumfrage durchgeführt und die Ergebnisse mit früheren Studien zusammengebracht. Die Zahlen und Daten wurden nun in Berlin vorgestellt. "Wir waren auch in den 40 Jahren der Teilung ein Volk", sagte Gleicke. "Und heute sind wir vereint, aber noch nicht eins."
Die Studie hat viele Gemeinsamkeiten ergeben. So wird die wirtschaftliche Lage aktuell ganz überwiegend positiv wahrgenommen, egal ob die Befragten aus dem Osten oder Westen kommen. Auch bezüglich der Prognose für die eigene Situation in naher Zukunft liegen Ost- und Westdeutsche gleichauf. Die allgemeine Lebenszufriedenheit unterscheide sich nur noch wenig: Zufrieden sind 83 Prozent im Westen und 76 Prozent im Osten.
Als Zeichen für eine "allen Irrtümern, Fehlern und Rückschlägen um Trotz insgesamt gute und gelungene Entwicklung" wertete Gleicke auch die Zahlen zur generellen Bewertung der Deutschen Einheit. 77 Prozent der Ostdeutschen und 62 Prozent der Westdeutschen haben für sich persönlich die Wiedervereinigung als vorteilhaft erlebt.
Politische Differenzen verschwinden bei der Jugend
Die Studie ergab aber auch Unterschiede. Fast drei Viertel der Westdeutschen, aber nur knapp die Hälfte der Ostdeutschen fühlen sich demnach in der Bundesrepublik "politisch zu Hause". Doch diese Differenz sei sozialisationsbedingt, sagen die Autoren. Denn bei der jüngeren Generation der 14- bis 29-Jährigen, die im vereinten Deutschland aufwuchs, hat sich ein beinahe identisches Meinungsbild ergeben, 64 Prozent im Westen und 65 Prozent im Osten. "Hier hat offenkundig der Generationenwechsel eine Annäherung der Einstellungen bewirkt", sagte Gleicke. Zur Präsentation der Studie waren auch Schüler eines Berliner Gymnasiums eingeladen, die diese neue Generation vertreten. Ost oder West? Diese typische Frage besonders in Berlin sei unter ihnen kein Thema mehr, aber sie würden erleben, dass dies bei ihren Eltern und Großeltern noch anders sei. Die Ostbeauftragte Gleicke rief die Schüler dazu auf, das Gespräch zu suchen und danach zu fragen, wie es damals in der DDR war.
Einen Unterschied erbrachte auch die Frage, ob die Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik derzeit existiert, die beste Staatsform sei. 80 Prozent der Westdeutschen stimmten zu, aber nur 72 Prozent der Ostdeutschen. Die Zustimmungswerte für die Demokratie im Allgemeinen liegen höher, sind aber in den vergangenen Jahren etwas zurückgegangen.
Bei der Frage, wie sich die Bürger politisch beteiligen, hat die Studie teilweise verschiedene Schwerpunkte ergeben.
Geheime Daten aus der DDR
Ein Novum der Studie ist, dass sie auf Daten zurückgreift, die das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap seit 1968 über die DDR gewonnen hat. Dazu wurden Westdeutsche, die ihre Verwandten im Osten besucht hatten, telefonisch stellvertretend dazu befragt, wie sie die Stimmung im Osten wahrnahmen. Das alles musste natürlich relativ geheim ablaufen.
Seit Ende der 1970er-Jahre dominierte demnach im Osten eine geringe Identifikation mit dem Staat, ein nur mäßiges politisches Interesse und eine starke Orientierung an der Bundesrepublik. Kurz vor dem Mauerfall sahen fast 90 Prozent der Ostdeutschen bessere Lebensperspektiven im Westen. Der Weg zur Deutschen Einheit war also schon lange vorgezeichnet.
Die Wissenschaftler und die Ostbeauftragte sehen in den historischen Linien eine Erklärung, warum die Ostdeutschen noch heute "skeptischer, kritischer und distanzierter" seien, wie Gleicke es nannte. Hier würden die Diktatur-Erfahrung in der DDR und auch die Erlebnisse der Umbruchphase nach 1989 nachwirken.