Streitpunkt: Klimaschutz
1. Juni 2009Zwar bestreitet kaum ein Europaabgeordneter in Brüssel ernsthaft, dass man gegen die Erderwärmung kämpfen muss. Aber welche Priorität der Klimaschutz hat und wie genau er funktionieren soll - da klaffen die Meinungen der Parlamentarier gehörig auseinander.
Bislang haben sich die Europäer selbst dazu verpflichtet, 20 Prozent weniger Energie zu verbrauchen, 20 Prozent weniger CO2 in die Luft zu blasen und den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch auf 20 Prozent zu steigern. All das soll bis zum Jahr 2020 geschehen - zum Beispiel durch strenge Auflagen für Autohersteller, die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid und das hoch umstrittene Emissionshandelssystem, bei dem die Industrie ihre Luftverschmutzungsrechte zumindest teilweise ersteigern muss.
Nicht genug
Doch längst nicht allen Europaparlamentariern gehen diese Pläne weit genug. So bewerten die Grünen und die Linken die bisherigen Klimaschutz-Ziele grundsätzlich sehr skeptisch. "Die Dinge, die die EU beschlossen hat, sind ein ganz kleiner Schritt in die richtige Richtung", sagt der Abgeordnete Helmuth Markov (Die Linke). "Ich hätte die Emissionen gerne mehr abgesenkt, und ich hätte das schneller gemacht. Das ist nicht umfassend und es reicht hinten und vorne nicht." Markov ist überzeugt: Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen strenge Vorgaben festlegen, um Bürger und Unternehmen zu klimafreundlichem Verhalten zu zwingen. "Ich finde, gerade beim Klimaschutz muss man einfach mit Gesetzen, mit Verboten, mit Strafen und mit Regeln Limits setzen", sagt er.
Auch Rebecca Harms (Grüne) ist mit den bisherigen Anstrengungen der Europäer unzufrieden. Nachdem das Plenum Anfang des Jahres 2009 seinen Klimaschutzbericht mit großer Mehrheit verabschiedet hatte, warnte sie: "Ich halte die heute sowohl in der Debatte als auch in der Abstimmung demonstrierte Einigkeit für trügerisch." Denn die Verhandlungen um das europäische Klimapaket in den vergangenen Monaten hätten deutlich gemacht, dass es einfacher sei, sich auf großzügige Versprechen und ehrgeizige Absichtserklärungen zu einigen als auf konkrete CO2-Sparmaßnahmen. Ohnehin, so Harms, stünden die Klimaschutz-Ambitionen im Augenblick vor einer echten Nagelprobe: "Europa wird in diesem Jahr beweisen müssen, dass es in der Wirtschaftskrise zu seinen Klimaschutzversprechen steht."
Politische Entscheidung statt Wettbewerb
Und genau hier geraten Grüne und Linke in einen Grundsatz-Konflikt mit Abgeordneten wie Holger Krahmer von der FDP. Der Liberale hätte das Klimaschutzpaket angesichts der schwierigen Wirtschaftslage am liebsten erst einmal ein Jahr lang auf Eis gelegt. Zwar konnte er sich mit dieser Forderung Ende 2008 nicht durchsetzen, doch er wirbt bis heute für mehr Zurückhaltung, wenn es um zusätzliche Klimaschutz-Auflagen für europäische Unternehmen geht: "Ich persönlich bin überzeugt, dass die Klimapolitik unserer Tage missbraucht wird, um weit reichende Markteingriffe, zum Teil auch Eingriffe in persönliche Lebensstile zu rechtfertigen", sagt er.
Sein Eindruck: Es geht eigentlich nicht mehr darum, das beste Produkt in einem Wettbewerb verschiedener Marktteilnehmer zu suchen, sondern zunehmend politisch zu entscheiden, was gut und was schlecht für die Bürger ist. "Und das ist mit Sicherheit eine bedenkliche Entwicklung", kritisiert Krahmer, "denn Marktwirtschaft lebt eben auch von freiem Unternehmertum."
Mehr Anreize Energie zu sparen
Freies Unternehmertum und möglichst unbeschränktes Spiel der marktwirtschaftlichen Kräfte, wenn es nach den Liberalen geht - und möglichst klare staatliche Vorgaben, Verbote und Strafen, wenn es nach den Linken und den Grünen geht: In der Klimaschutz-Debatte prallen Ideologien aufeinander. Die beiden anderen Parteien, SPD und CDU, lassen sich in diesem Spannungsfeld dazwischen einsortieren - die SPD traditionellerweise näher bei Grünen und Linken, die Christdemokraten näher bei den Liberalen.
So warnt beispielsweise der CDU-Abgeordnete Markus Pieper vor zu hohen finanziellen Belastungen für den Mittelstand durch das so genannte Emissionshandelssystem. Dieses System verpflichtet Unternehmen künftig dazu, ihre Luftverschmutzungsrechte zu ersteigern. Doch statt den Energieverbrauch durch höhere Auflagen immer weiter zu verteuern, sollten die EU und Deutschland mehr Anreize zur Energieeinsparung bieten, fordert Pieper. Geht es nach ihm, müssen künftig nur diejenigen Betriebe Verschmutzungszertifikate ersteigern, die keine moderne Umwelttechnik anwenden.
"Es muss machbar sein"
Anreize setzen, neue umweltfreundliche Methoden zu entwickeln und einzusetzen, dadurch das Klima schützen - und quasi nebenbei mit dem Export von Wissen und Technologien gutes Geld verdienen: Das ist die Strategie, die Christdemokraten wie Pieper und sein Amtskollege Karl Heinz Florenz verfolgen. Für Florenz sind Wirtschaftspolitik und Umweltpolitik kein Gegensatz, sondern zwei Seiten einer Medaille - und durchaus miteinander vereinbar.
Allerdings, das räumt er ein, gehe das ganz ohne staatliche Vorgaben tatsächlich nicht: "Wir glauben nicht, dass der Markt alles regeln kann. Da haben wir ja schmerzhafte Erfahrungen gemacht - nicht nur in der Finanzkrise, sondern auch in der Automobilpolitik." Deren Selbstverpflichtung, CO2-ärmere Wagen zu entwickeln, habe nicht das gewünschte Ergebnis gebracht, sagt Florenz - und zieht für die Klimapolitik der EU daraus die Schlussfolgerung: "Unsere Marktwirtschaft braucht solide Standards und solides Ordnungsrecht - aber es muss machbar sein."
Autorin: Mirjam Stöckl
Redaktion: Andreas Ziemons/Julia Kuckelkorn