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Schnäppchenjagd in Edirne

28. Dezember 2021

Die türkische Grenzstadt Edirne wird von bulgarischen und griechischen Touristen überrannt. Sie interessieren sich aber nicht für die kulturellen Sehenswürdigkeiten, sondern sind dort, um einzukaufen.

Türkei | Markt in Edirne
Bild: BGNES

Auf dem Parkplatz vor dem historischen Markt in der Stadt Edirne im Westen der Türkei drängen sich die Busse aus Bulgarien. Während der Wertverlust der türkischen Lira zu einem immer ernsteren Problem für Präsident Recep Tayyip Erdogan wird und seine Landsleute immer stärker darunter leiden, kommen Reisegruppen aus Bulgarien zur Schnäppchenjagd.

Im 14. und 15. Jahrhundert, als sich das Osmanische Reich vom Mittleren Osten nach Europa ausbreitete, war Edirne eine wichtige Stadt. Nun kommen die Menschen aus Bulgarien und vom Balkan für günstige Unterwäsche, Walnüsse und Sonnenblumenöl - all das zu einem Bruchteil des Preises in ihren Heimatländern. "Für uns ist die Krise gut, aber für die Türken ist es furchtbar", sagt die Touristenführerin Daniela Michewa, bevor sie in den Bus zurück in ihre bulgarische Heimatstadt Jambol steigt. "Wir waren in einer ähnlichen Situation vor vielleicht zehn, elf oder zwölf Jahren", sagt die 49-Jährige, ein Verweis auf die Finanzkrise im Jahr 2008.

Zu kaufen gibt es alles - es wird nur für viele bald unbezahlbar: Brotstand auf einem Markt in AnkaraBild: Adem Alta/AFP

Währung als Opfer eines Experiments

Die türkische Lira ist unter einem wirtschaftlichen Experiment zusammengebrochen, mit dem Erdogan eigentlich seine Beliebtheitswerte vor den Wahlen Mitte 2023 aufbessern wollte. Sein Konzept: Er setzte die Nationalbank unter Druck, damit diese die Zinssätze zusammenstrich. Erdogan war überzeugt, dass dies dem türkischen Inflationsproblem Abhilfe schaffen würde - das Gegenteil war der Fall, wie von nahezu allen Ökonomen vorhergesagt.

Verbraucherpreise steigen mit einer Rate von jährlich über 20 Prozent, einige Ökonomen rechnen sogar mit einer noch dramatischeren Teuerungsrate in den kommenden Monaten. Allein seit Anfang November verlor die Lira ein Drittel ihres Werts. Die Inflationsrate erreichte fünf Prozent am Tag, bis Erdogan am vergangenen Montag zu Stabilisierungsmaßnahmen griff, die den Wertverlust der Währung zumindest etwas verlangsamen konnten.

Wenn die eigene Währung immer weniger wert ist - Wechselstube in IstanbulBild: Dilara Senkaya/REUTERS

Schlechte Stimmung

Für Mirchewa bedeutet das alles, dass sie ein paar extra Behälter mit Sonnenblumenöl in den Bus packen kann - das gibt es in der Türkei für sie zum halben Preis. Die Stimmung bei den Händlern in Edirne ist jedoch schlecht. "Es ist erniedrigend", sagt die Textilhändlerin Gulsen Kaya. "Seht euch nur an was er aus der Türkei gemacht hat." Erdogans Hoffnung war, dass eine billigere Lira zu mehr Exporten führen und so eine stärkere Mittelklasse entstehen würde - das Vorbild war China.

Als Erdogan 2002 an die Macht kam, schrieb er sich die Probleme der Bedürftigen auf die Fahne - um das Land dann aber für Investoren aus dem Ausland zu öffnen. Ökonomen und Diplomaten waren von dem dramatischen Kurswechsel des Präsidenten in den vergangenen Jahren überrascht. Der Präsident sei angesichts der verheerenden Umfragen im "politischen Überlebensmodus", sagt ein ranghoher westlicher Diplomat. "Er kann sich entscheiden, einzelnen Umfragen nicht zu glauben, aber der Trend ist klar", sagt der Diplomat. "Ihm bleiben nur noch seine treusten Anhänger."

Die Händler auf dem Markt in Edirne überprüfen auf ihren Handys nervös immer wieder den aktuellen Wechselkurs der Lira. "Niemand hat mit einem solchen Wertverlust gerechnet", sagt der Manager des Markts, Bülent Reisoglu. Die Zahl der ausländischen Kunden hat sich verdreifacht, von 50.000 auf 150.000 pro Woche, sagt er. Doch die Händler haben wenig davon - sie verdienen sogar weniger, denn die zusätzlichen Einnahmen werden von der galoppierenden Inflation aufgefressen.

 Auch bei den bulgarischen Kunden gibt es gemischte Gefühle. "Die Menschen von hier können sich all das nicht leisten", sagt Iljana Todorwa, während sie mit ihrer Tochter Kleidung einkauft. "Für ganz normale Menschen ist all das überhaupt nicht gut".

AFP (hb)

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