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Verfassungsentwurf für Syrien löst Empörung aus

15. März 2025

Der islamistische Übergangspräsident malt die Zukunft des Landes in leuchtenden Farben - doch Minderheiten wie die Kurden sehen sich in größter Gefahr. Kommt es nun zu neuerlichen Ausbrüchen der Gewalt?

Syrien | Verfassungsentwurf | Ahmed al-Scharaa sitzt vor einer syrischen Flagge an einem Tisch und blättert in einem Stapel Papier; in der rechten Hand hält er einen Stift
Fülle der Macht: Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa unterzeichnet am Donnerstag den Entwurf einer neuen syrischen VerfassungBild: Izettin Kasim/Anadolu/picture alliance

Der Verfassungsentwurf des islamistischen Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa in Syrien stößt bei Minderheiten wie den Kurden, aber auch bei Experten auf scharfe Ablehnung. Die Vorlage sehe einen Autoritarismus in neuem Gewand vor, teilte der Demokratische Rat Syriens mit. Die Organisation ist der politische Arm der Miliz Syrische Demokratische Kräfte (SDF), die den Nordosten des Landes überwiegend kontrolliert. Hunderte Menschen gingen in der Region gegen den Entwurf auf die Straße.

Erst vor wenigen Tagen war es al-Scharaa gelungen, die SDF zu einer vollständigen Eingliederung in die staatlichen Institutionen zu bewegen. Die Einigung umfasst zentrale Punkte wie die politische Teilhabe aller Syrer unabhängig von ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit und die Anerkennung der kurdischen Gemeinschaft als Bevölkerungsgruppe mit vollen Staatsbürgerrechten.

Kurden: "Diktatur unter dem Deckmantel des Übergangs"

Nun jedoch schreibt der Demokratische Rat auf seiner Website, al-Scharaas Verfassungsentwurf verankere eine zentralistische Herrschaft und verleihe der Exekutivgewalt absolute Macht. Politische Aktivitäten würden dadurch eingeschränkt, die Gründung von Parteien werde eingefroren. "Wir lehnen jeden Versuch strikt ab, eine Diktatur unter dem Deckmantel einer Übergangsphase wiederherzustellen", heißt es in der Mitteilung weiter. Der Entwurf werde kategorisch zurückgewiesen; er müsse komplett neu geschrieben werden.

Gegen eine "zentralistische Herrschaft": Kurden gehen in der nordöstlichen Stadt Kamischli gegen den Verfassungsentwurf auf die StraßeBild: Delil Souleiman/AFP/Getty Images

Die zunächst unterstellte Einigung mit den SDF hatte vielen Beobachtern als wichtiger Schritt zur Befriedung Syriens gegolten. Erst in der vergangenen Woche war der vom Bürgerkrieg gezeichnete Staat von schweren Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des vormaligen Präsidenten Baschar al-Assad und den neuen Machthabern erschüttert worden.

Al-Scharaa führte bis zu al-Assads Sturz im Dezember die islamistische Rebellengruppe HTS an. Er gibt sich nach außen moderat im Bemühen, das zerrissene Land zu einen. Den Entwurf einer vorläufigen Verfassung hatte er am Donnerstag unterzeichnet. Nach offizieller Darstellung sollen darin Meinungs- und Pressefreiheit sowie die politischen Rechte von Frauen garantiert werden, ebenso eine strikte Gewaltenteilung.

Nach der Eruption der Gewalt: Kämpfer der islamistischen Übergangsregierung am Dienstag in der Küstenprovinz LatakiaBild: Omar ay Kadour/AFP/Getty Images

Doch Experten gelangen zu einer anderen Interpretation des Textes. So sagte der Verfassungsjurist Sam Dallah der Nachrichtenagentur AFP, dem Entwurf zufolge werde al-Scharaa mit absoluter Macht ausgestattet. Dallah, der bis zum Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs an Universitäten des Landes lehrte und später ins Exil ging, erklärte, es werde ein "präsidiales Regime" eingeführt, in dem die Exekutivgewalt beim Präsidenten und den von ihm ernannten Ministern liege; der Posten eines Premierministers sei nicht vorgesehen.

Verfassungsjurist: "Wo bleibt die Gewaltenteilung?"

Gemäß der vorläufigen Verfassung ernenne Sharaa ein Drittel der Mitglieder des künftigen Parlaments und bilde einen Ausschuss, der die Mitglieder jenes Kollegiums auswähle, das die übrigen Parlamentarier wähle. Obwohl in dem Dokument die Justiz als "unabhängig" bezeichnet werde, habe der Interimspräsident die Befugnis, Mitglieder des Obersten Verfassungsgerichts zu ernennen. "Wo bleibt dann die Gewaltenteilung?", fragte Dallah.

Islamische Rechtsprechung als "Hauptquelle" der Gesetzgebung: Minderheiten wehren sich gegen die Dominanz des Islams (Archivbild der Umajad-Moschee in Damaskus)Bild: Rami al Sayed/AFP/Getty Images

Zudem bestehe eine wesentliche Änderung gegenüber der vorherigen Verfassung darin, dass die islamische Rechtsprechung nun als "die Hauptquelle" der Gesetzgebung und nicht mehr nur als "eine Hauptquelle" bezeichnet werde. Der Entwurf garantiert nach Dallahs Einschätzung keinen Schutz für die syrischen Minderheiten.

Tigrane Yegavian, Professor an der Schiller-Universität in Paris, sagte ebenfalls AFP, die Minderheiten in Syrien seien "äußerst besorgt" über die Entwicklung der Dinge. Denn alles deute darauf hin, "dass sich die Arabische Republik Syrien allmählich in eine Islamische Republik Syrien verwandeln wird".

jj/se (dpa, afp)

Redaktionsschluss: 16.30 Uhr (MEZ) - dieser Artikel wird nicht weiter aktualisiert.