Verfassungsgericht prüft Lehrer-Streikverbot
17. Januar 2018Aus dem Grundgesetz wird seit Jahrzehnten ein generelles Streikverbot für Beamte abgeleitet. Ob es bei einem strikten Verbot bleibt, müssen nun die Verfassungsrichter entscheiden. Ihnen liegen vier Verfassungsbeschwerden von beamteten Lehrern aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein vor. Gegen sie wurde disziplinarrechtlich vorgegangen, weil sie sich während der Dienstzeit an Protestveranstaltungen oder Streiks der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beteiligt hatten.
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, unterstrich zu Beginn der Verhandlung die "erhebliche Breitenwirkung" des Verfahrens. Die Auswirkungen auf das Berufsbeamtentum seien nicht zu unterschätzen. Nach Voßkuhles Angaben unterrichten gut 800.000 Lehrer in Deutschland, etwa drei Viertel davon im Beamtenverhältnis. Daneben seien rund eine Million weitere Beamte in Deutschland tätig. Ein Urteil wird in einigen Monaten erwartet.
Urteile auf europäischer Ebene
Die Gegner des strikten Streikverbots argumentieren, dass die im Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit ein Streikrecht jedenfalls für beamtete Lehrer gewährleiste. Sie berufen sich aber vor allem auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus den Jahren 2008 und 2009 zum Streikrecht türkischer Beamter.
Die Straßburger Richter bezeichneten die Koalitionsfreiheit und damit auch das Streikrecht mit Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention als ein Menschenrecht, das den Beschäftigten nicht einfach mit Verweis auf einen Beamtenstatus abgesprochen werden könne. Einzige Ausnahme seien Beamte, die wie etwa bei Polizei, im Justizvollzug, Finanzbeamte oder Soldaten hoheitlich tätig sind.
Die Frage, wie die Verfassungsrichter mit diesen europäischen Urteilen umgehen, dürfte mitentscheidend für das Verfahren sein. Auch die mündliche Verhandlung drehte sich stark um die Frage, welche Bedeutung die Menschenrechtskonvention und die EGMR-Urteile für das deutsche Berufsbeamtentum und das Streikrecht haben.
Innenminister beharrt auf Streikverbot
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) verteidigte in Karlsruhe das Streikverbot für Beamte und verwies auf das besondere Treue- und Versorgungsverhältnis zwischen Beamten und Staat. Beamte seien in gewisser Weise privilegiert, weil sie beispielsweise nicht kündbar seien. Dem stünden Pflichten gegenüber. "Eine Rosinenpickerei darf es nicht geben", sagte der Minister. Das Streikverbot sei unerlässlich für einen modernen Staat. Es handle sich um ein Gesamtsystem, "das ohne Streikverbot seinen Sinn verlöre". De Maizière zeigte sich zudem überzeugt, dass sich Deutschland mit seinen Regelungen innerhalb der Spielräume der Europäischen Menschenrechtskonvention bewege. Die Bundesregierung sei überzeugt, dass das Streikverbot für alle Beamten verfassungsgemäß sei.
Vehement gegen eine Änderung der bisherigen Regelung ist auch der Beamtenbund. "Beamtenstatus und Streikrecht sind nicht vereinbar", erklärte der Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach. Auch von Lehrerverbänden, etwa dem Philologenverband, kam Unterstützung für das Streikverbot. "Für die bei uns organisierten Lehrkräfte ist klar, dass sie ihren Teil für die Erfüllung der Schulpflicht als Beamte leisten. Das schließt ein gleichzeitiges Streikrecht aus", teilte die Bundesvorsitzende des Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing, mit.
Gewerkschaften fordern Grundrecht
Die Verfechter eines Streikrechts wollen zwischen hoheitlich tätigen Beamten wie Polizisten und anderen Beamten, darunter Lehrern, unterscheiden, wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vorgibt. "Wir wollen nicht die Abschaffung des Beamtentums, wir wollen das Streikrecht für nicht hoheitlich tätige Beamte", sagte Henriette Schwarz für den Deutschen Gewerkschaftsbund. Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe forderte ein Ende des strikten Streikverbots. Den verbeamteten Lehrern solle ein Grundrecht nicht vorenthalten werden, sagte Tepe am Rande des Verfahrens. Das Streikrecht sei wichtig, um auf Augenhöhe kämpfen zu können.
kle/sti (afp, dpa)