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RechtsstaatlichkeitDeutschland

Verfassungsschutz, AfD und (partei)politische Neutralität

6. Mai 2025

Der Inlandsgeheimdienst soll die Demokratie vor Feinden schützen. Nun hat er die AfD als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft. Politisch motiviert? Der Vorwurf ist nicht neu, war aber noch nie so brisant.

"BfV" ist die Abkürzung für "Bundesamt für Verfassungsschutz". Die drei Buchstaben stehen in weißer Schrift neben dem ebenfalls weißen Bundesadler auf einem Anhängerband in den deutschen Farben Schwarz, Rot und Gold.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ist eine staatliche Behörde unter Aufsicht des deutschen Innenministeriums Bild: Goldmann/picture alliance

"Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei der Alternative für Deutschland um eine gesichert rechtsextremistische Bestrebung handelt. Dieser Befund fußt auf einer äußerst sorgfältigen gutachterlichen Prüfung, die einen Zeitraum von rund drei Jahren umfasst."

Das Zitat steht in der Pressemitteilung, die das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) am 2. Mai verschickt hat. Die Begründung stammt von Sinan Selen und Silke Willems, die den deutschen Inlandsgeheimdienst stellvertretend leiten.

Das Amt des Verfassungsschutz-Präsidenten ist seit Mitte November unbesetzt. Damals wurde der langjährige Präsident Thomas Haldenwang von Bundesinnenministerin Nancy Faeser abberufen. Anlass war, dass der ranghöchste Verfassungsschützer seine Kandidatur für den Bundestag bekannt gegeben hatte.

Thomas Haldenwang und das Neutralitätsgebot

Haldenwang, Mitglied der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDU), zog es also in die Politik. Mit dem Neutralitätsgebot für einen Spitzenbeamten einer staatlichen Sicherheitsbehörde waren diesen offenkundigen Ambitionen unvereinbar. Die AfD warf Haldenwang und mit ihm der ganzen Behörde allerdings schon immer vor, politisch motiviert zu handeln.

Im Juni 2024 präsentierten der damalige Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang (l.) und die damalige Innenministerin Nancy Faeser in Berlin letztmalig gemeinsam den jährlichen Verfassungsschutzbericht Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Gegen die jetzt erfolgte Einstufung ihrer Partei als "gesichert rechtextremistische Bestrebung" hat das Führungsduo Alice Weidel und Tino Chrupalla sofort Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln eingereicht. Begründung: Damit setze man ein klares Zeichen gegen den Missbrauch staatlicher Macht zur Bekämpfung und Ausgrenzung der Opposition.

Der Verfassungsschutz dagegen argumentiert, "das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar." So betrachte die AfD zum Beispiel deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern "als nicht gleichwertige Angehörige des durch die Partei ethnisch definierten deutschen Volkes."

AfD nennt Verfassungsschutz "politisch instrumentalisierte Behörde"   

Bei der Bundestagswahl am 23. Februar hat die AfD ihr Ergebnis auf knapp 21 Prozent verdoppelt und ist jetzt stärkste Oppositionsfraktion. Die Einstufung des Verfassungsschutzes hält die Parteispitze auch vor diesem Hintergrund für ein gezieltes Manöver von der scheidenden Innenministerin Faeser. 

Die Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" bezeichnen Alice Weidel (l.) und Tino Chrupalla als "offensichtlich rechtswidrig" Bild: Liesa Johannssen/REUTERS

Die AfD-Doppelspitze Weidel/Chrupalla macht ihr und dem Verfassungsschutz schwere Vorwürfe: "Wir werden nicht zulassen, dass eine politisch instrumentalisierte Behörde versucht, den demokratischen Wettbewerb zu verzerren und Millionen Wählerstimmen zu delegitimieren. Dieses schändliche Vorgehen untergräbt die Grundwerte unserer Demokratie – und hat in einem Rechtsstaat keinen Platz."

"Es hat keinerlei politischen Einfluss auf das neue Gutachten gegeben"

Faeser betont derweil, der Verfassungsschutz arbeite eigenständig: "Die neue Einstufung ist das Ergebnis einer umfassenden und neutralen Prüfung, die in einem 1100-seitigen Gutachten festgehalten ist. Es hat keinerlei politischen Einfluss auf das neue Gutachten gegeben." Faktisch ist der Inlandsgeheimdienst allerdings der Dienst- und Fachaufsicht des Bundesinnenministeriums unterstellt.

Breite Kritik löste zudem die Entscheidung aus, das Gutachten unter Verschluss zu behalten. Der sozialdemokratische Innenminister des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern, Christian Pegel, will sich selbst ein Bild von der Materialsammlung des Verfassungsschutzes machen. Bisher kenne er nur die Schlagzeilen, sagte er dem öffentlich-rechtlichen Sender NDR. Es gehe aber darum, "dass man zumindest die harten Fakten, die dieses Ergebnis begründen, auch nennen darf".

Verfassungsrechtler kritisiert Geheimhaltung  

Volker Boehme-Neßler, Rechts- und Politikwissenschaftler an der Universität Oldenburg, geht noch weiter und bezeichnet die Geheimhaltung als "skandalös". Der Geheimdienst stelle eine weitreichende Behauptung auf, Bürger und Öffentlichkeit könnten aber gar nicht nachprüfen, ob die Belege die Behauptung stützen, sagte er der "Berliner Morgenpost".

Informationen, die geheim gehalten werden müssten, könnten vor der Veröffentlichung geschwärzt werden, argumentiert Boehme-Neßler. So aber mische sich der Verfassungsschutz in die Politik ein und die Bürger sollten ihm vertrauensvoll glauben. "Das ist in einer Demokratie völlig inakzeptabel."

Harsche Kritik in ausländischen Medien

Auch das internationale Medienecho ist wenig schmeichelhaft. Die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita findet das Agieren der deutschen Politik und Behörden "zunehmend fragwürdig". Dabei räumt sie ein, dass die Politik der AfD Besorgnis und Ressentiments auslösen könnten. Auch hat das Blatt Verständnis dafür, dass es aufgrund der deutschen Geschichte einen besonderen Umgang mit rechten Parteien und Ideen gebe.

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Zugleich wundert sich Rzeczpospolita aber über den Zeitpunkt der öffentlich bekannt gegebenen Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch". Wie solle man eine Situation beurteilen, in der wenige Tage vor der Bildung der neuen Regierung eine derart umstrittene Entscheidung zur Überwachung der wichtigsten Oppositionspartei getroffen werde, fragt die Zeitung ihre Leserschaft.

Ist Deutschland eine unsichere Demokratie?

Noch härter urteilt die Neue Zürcher Zeitung: Deutschland sei keine liberale, sondern eine unsichere Demokratie. "Die dortigen Staatsorgane misstrauen den Bürgern. Sie verstehen sich nicht als Dienstleister des Souveräns, sondern als Souverän." Die Beweislast liege aber nicht bei der AfD, sondern beim Verfassungsschutz, gegen den die Partei nun zu Recht klage, meint die NZZ.

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Der deutsche Inlandsgeheimdienst und die neue Bundesregierung stehen jetzt gleich mehrfach unter Druck: medial, politisch und juristisch. Die Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" hat die Diskussion um ein mögliches Verbot der Partei erneut entfacht. Zugleich weckt das Agieren des Verfassungsschutzes Erinnerungen an andere umstrittene Maßnahmen gegen Parteien.

Auch die Linke verklagte den Verfassungsschutz

Lange waren davon viele Abgeordnete der Linken betroffen, darunter die frühere Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und ihr Nachfolger in diesem Amt, Bodo Ramelow. Beide wehrten sich vor Gericht erfolgreich gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz.

Sollte die AfD mit ihrer jetzt eingereichten Klage ebenfalls Erfolg haben, wäre der Imageschaden noch größer. Allerdings hat die Partei bei ähnlich gelagerten Fällen bislang den Kürzeren gezogen.

Im Mai 2024 scheiterte sie vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster mit ihrer Klage gegen die damals aktuelle Einstufung als "rechtsextremer Verdachtsfall". Auf dieses Urteil stützt sich jetzt der Verfassungsschutz bei seiner Hochstufung der AfD zur "gesichert rechtsextremistischen Bestrebung". Jenseits juristischer Entscheidungen bleibt das Thema aber weiterhin ein politischer Streitfall.  

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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