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Politik

Vergebene Chancen: "Polen verliert Europa"

Wojciech Szymanski /bd
20. Juli 2017

Die geplante Justizreform bringt Polen auf Kollisionskurs mit Europa. Die polnische Regierung nimmt das in Kauf. Der in Polen lebende Politikwissenschaftler Klaus Bachmann meint: Wir haben ein Problem.

Polen Jaroslaw Kaczynski
Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der polnischen Regierungspartei PiSBild: Getty Images/AFP/J. Skarzynski

Deutsche Welle: "Europa verliert Polen", so hat eine deutsche Tageszeitung die neuesten Ereignisse in Warschau kommentiert. Stimmen Sie damit überein?

Klaus Bachmann: Es ist eher umgekehrt: Polen verliert Europa. Wäre es umgekehrt, würde die EU das tun, worüber alle reden, aber nicht umsetzen: Die EU-Kommission würde die Angelegenheit an den Europäischen Rat übergeben, und der Rat würde Sanktionen verhängen. Wir haben aber gesehen, dass das nicht geschieht. Und wir wissen auch weshalb.

Kann die EU etwas tun, um auf die Situation in Polen Einfluss zu nehmen? Das, was bislang geschah, hat wohl die Regierung in Warschau nicht beeindrucken können.

Präsident Andrzej Duda fordert Nachbesserungen im Gesetzentwurf seiner ParteifreundeBild: picture-alliance/NurPhoto/M. Wlodarczyk

Ich sehe das auch so. Obwohl: Am Anfang, 2015, hat Ministerpräsidentin Beata Szydlo einige Zugeständnisse gegenüber der Europäischen Kommission gemacht, die weder mit Jaroslaw Kaczynski noch mit dem eigenem politischem Lager abgesprochen waren. Hätte das die Opposition damals intelligent ausgenutzt, wäre es möglicherweise zu einer Wende und weiteren Zugeständnissen gekommen. Damals hatte die Regierung in Warschau noch Angst vor der Europäischen Kommission. Aber gegenwärtig beweist die Kommission selbst, dass man sie nicht allzu sehr fürchten muss. 

Nun hat Staatspräsident Andrzej Duda etwas getan, womit die Partei und Jaroslaw Kaczynski nicht gerechnet hatten: Er hat angedroht, dass er das Gesetz über die Reform des Obersten Gerichts nicht unterzeichnen wird, wenn seine Vorschläge für Nachbesserungen im Gesetz über den Landesrichterrat nicht berücksichtigt werden.

Ja, die Erklärung ist aber insoweit unklar, dass ich sie nicht einem bestimmten Gesetzentwurf zuordnen kann. Ich erinnere daran, dass das Gesetz über den Landesrichterrat vorsieht, dass dort zwei Kammern entstehen. Ich weiß nicht, auf welche dieser beiden Kammern sich der Vorschlag des Präsidenten bezieht.

Klaus Bachmann: "Polen verliert Europa"Bild: DW/B. Cöllen

Ich erinnere daran, dass der Justizminister Zbigniew Ziobro erklärt hatte, dass er zu Zugeständnissen bereit sei, und dass das Oberste Gericht durch die Mitglieder des Landesrichterrates gewählt werden wird. Ich weiß nicht: Wie verhält sich der Vorschlag des Präsidenten zu den Überlegungen des Justizministers? Nur nebenbei erwähnt: Einige Punkte widersprechen den Regeln der europäischen Menschenrechtskonvention. Sie werden also in Straßburg nicht bestehen können, aber das wird natürlich die Verabschiedung des Gesetzes nicht aufhalten können.

Wie soll man die Einmischung des Präsidenten Duda interpretieren?

Ich habe den Eindruck, dass das Ganze in großer Eile entstanden ist, was man selbst in den Formulierungen der präsidialen Erklärung hören konnte, die - nennen wir es so - mit den grammatikalischen Regeln der polnischen Sprache nicht in Einklang standen. Aber ich habe auch den Eindruck, dass das Regierungslager untereinander einen Streit anfängt darüber, wer die Gerichte kontrollieren soll. Dass die Gerichte politisiert werden sollen, steht außer Frage. Die Erklärung des Präsidenten bezieht sich darauf, wer die Gerichtsbarkeit politisch kontrollieren wird.

Kann man den Auftritt des Präsidenten als eine Art Unabhängigkeitserklärung interpretieren?

Vielleicht. Ist es aber so entscheidend? Das Hauptproblem ist, ob die Gewaltenteilung und die unabhängige Gerichtsbarkeit in der Zukunft bestehen bleiben. Das ist wesentlich. Ob die Gerichtsbarkeit vom Präsidenten, von der parlamentarischen Mehrheit oder vom Justizminister kontrolliert wird, ist in diesem Kontext eigentlich egal.

Kein Politiker der regierenden PiS-Partei spricht es laut aus, dass Polen die EU verlassen könnte. Meinen Sie, dass - angesichts dessen, was in Polen geschieht - Polexit eine reale Option sein könnte?

Ja, und in vielerlei Hinsicht. Es kann passieren, dass tatsächlich Sanktionen gegen Polen verhängt werden. Ich weiß, dass es in der polnischen Regierung eine Fraktion gibt, die Polen aus der EU führen möchte. Aber die Regierung hat Angst davor, was dann auf der Straße passiert, wenn man bedenkt, dass 80 Prozent der Polen die EU-Mitgliedschaft befürworten. Das ist ein sehr riskantes Spiel, aber es kann gelingen, wenn man dafür einen Schuldigen außerhalb Polens findet - zum Beispiel Deutschland oder Brüssel.

Polen gehen gegen die Justizreform auf die StraßeBild: picture-alliance/AP Photo/A. Keplicz

Wenn die Situation in der polnischen Justiz sich verschlechtern sollte, wenn die Gerichte ihre Unabhängigkeit verlieren sollten -  was passiert dann mit Polen in der EU?

Das ist ein höchst wahrscheinliches Szenario, obwohl eher langfristig. Beispielsweise könnte ein Gericht in einem EU-Land beschließen, einen mit einem europäischen Haftbefehl gesuchten Verdächtigen nicht an Polen auszuliefern, weil man dort nicht auf ein faires Verfahren zählen könne.

Und was wird passieren, wenn die Gerichte in anderen EU- Ländern das Vertrauen in die polnische Justiz verlieren?

Dann haben wir ein Problem. Polen könnte ein Zufluchtsort für Straftäter aus der EU werden - und der Rest der EU-Länder ein Zufluchtsort für Straftäter aus Polen. Irgendwann kommt dann die Idee, die Grenzkontrollen wieder einzuführen. Es geht hier nicht nur um das Strafrecht, es geht auch um das Zivil- und Wirtschaftsrecht. Das alles wird in Frage gestellt. Das würde Polen aus dem europäischen Rechtsraum katapultieren.

Meinungsverschiedenheiten: Die Außenminister Witold Waszczykowski und Sigmar Gabriel im März 2017Bild: Getty Images/AFP/J. Skarzynski

Wie sollen die Deutschen sich angesichts der Situation in Polen verhalten?

Ich weiß nicht, wie sie sich verhalten sollen - ich weiß, wie sie sich verhalten. Und in den vergangenen Tagen sieht man hier ziemlich große Veränderungen. Wenn man in den vergangenen Jahren auf einer Pressekonferenz Bundeskanzlerin Angela Merkel oder den Bundesaußenminister nach Polen gefragt hatte, war die Antwort, das sei eine Angelegenheit zwischen Polen und der Europäischen Union. Aber jetzt haben wir Wahlkampf in Deutschland. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat Polen sehr scharf kritisiert. Offensichtlich ist er nicht mehr der Meinung, das wäre ausschließlich eine Angelegenheit für die Europäische Kommission.

Zweitens hatte man in Berlin eine gemeinsame Strategie verfolgt, die Beziehungen zu Polen nicht zu verschärfen. Deutschland hat auch deutliche Signale an die Europäische Kommission gesandt, dass man die Sache wohl nicht auf die Spitze treiben sollte und das Verfahren gegenüber Polen nicht an den Europäischen Rat übergeben soll. Aber jetzt hat Bundesaußenminister Gabriel gesagt, er sei dafür, die Angelegenheit nach vorne zu bringen. Das ist ein sehr deutlicher Wandel im Vergleich zu seinem Vorgänger Frank-Walter Steinmeier. Das widerspricht dem, was Angela Merkel sagt. Aber wir haben schließlich Wahlkampf.

Das Gespräch führte Wojciech Szymański.

Prof. Dr. Klaus Bachmann ist Politik- und Sozialwissenschafler. Er lehrt an der privaten Universität SWPS in Warschau. Davor arbeitete er als Korrespondent für deutsche Medien in Brüssel und in Warschau.

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