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"Vergebliche Appelle gegen Selbstverbrennungen"

Mathias Bölinger20. März 2013

Der exilierte Abt des tibetischen Klosters Kirti glaubt nicht, dass ein religiöses Machtwort die Selbstverbrennungen von Tibetern stoppen kann. Ein Gespräch mit Kirti Rinpoche über die Verzweiflung der Tibeter.

Kirit Rinpoche
Kirit RinpocheBild: Mathias Bölinger

Der tibetische Mönch Phuntsog war zwanzig Jahre alt, als er sich im März 2011 im Kloster Kirti im westlichen Teil der Provinz Sichuan, den die Tibeter Amdo nennen, anzündete. Er verstarb kurze Zeit später im Krankenhaus. Phunstsog setzte damit eine besipiellose Welle von Selbstverbrennungen in Gang, die bis heute nicht abreißt. Exiltibetische Quellen  zählen inzwischen 112 Fälle, die meisten in den chinesischen Provinzen Sichuan und Qinghai. Im Autonomen Gebiet Tibet gab es sieben Selbstverbrennungen, vier Tibeter setzten sich im Exil in Flammen.

Die chinesische Regierung reagierte mit Härte auf die Selbstverbrennungen. Das Kloster Kirti wurde gleich nach dem Selbstmord  Phuntsogs von der Polizei abgeriegelt und besetzt, einige Mönche mussten das Kloster verlassen. China beschuldigt exiltibetische Kräfte, die Selbstverbrennungen initiiert zu haben. Die Behörden des Landkreises Aba, in dem das Kloster Kirti liegt, beschuldigen auch den exilierten Abt des Klosters, den Kirti Rinpoche, die Verbrennungen veranlasst zu haben.

Das Kloster Kirti in der chinesischen Provinz Sichuan an der Grenze zu Tibet gilt als eine der bedeutenden religiösen Stätten des tibetischen BuddhismusBild: cc by-sa 3.0/Jialiang Gao

Deutsche Welle: Rinpoche, Sie sind Vorsteher des bedeutenden Klosters Kirti.  Dort hat vor zwei Jahren die Welle der Selbstverbrennungen von Tibetern begonnen. Sie selbst leben seit 1959 im indischen Exil. Wie haben Sie reagiert, als Sie von den Verbrennungen gehört haben?

Kirti Rinpoche: Offenbar empfinden die Menschen die Situation als so unerträglich, dass sie dies als einen letzten Weg sehen, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Zu sehen, dass Menschen auf diese Weise sterben, hat mich sehr traurig gestimmt.

Wie stehen Sie als geistliche Autorität des Klosters dazu? Sind Selbstverbrennungen ein adäquates Mittel des Protests?

Das ist eine schwierige Entscheidung. Einerseits ist ein solches Handeln schon ein aggressiver Akt, den viele Menschen ablehnen und emotional nicht gutheißen können. Aber man muss auch die Motivation der Menschen und ihre Freiheit zu dieser Entscheidung respektieren. Offenbar sehen sie keine andere Möglichkeit, Ihr Anliegen zum Ausdruck zu bringen. Sie handeln aus einer freien Entscheidung heraus und setzen ihr eigenes Leben ein, nicht das von anderen. Das muss man berücksichtigen.

Sind Sie von Ihrem Exil aus in der Lage, die Situation im Kloster zu verfolgen?

Natürlich sind die Kommunikationsmittel eingeschränkt.  Immer wieder wird das Internet oder die Verbindung über Mobiltelefone unvorhergesehen durch die chinesischen Behörden unterbrochen. Die Behörden konfiszieren die Handys der Bewohner in der Gegend und überprüfen, wer wohin telefoniert hat.  Und wenn Informationen über die Lage weitergegeben oder Videos verschickt werden, werden die Menschen bestraft. Insofern ist die Kommunikation sehr stark eingeschränkt.

Trotzdem sind die Tibeter bemüht, Nachrichten weiterzugeben. Meist dauert es einige Tage, bis Informationen auch im Exil ankommen. Wir haben zum Beispiel gerade die Nachricht erhalten, dass sich am 13. März eine Tibeterin in der Gegend angezündet hat. Diese Nachricht habe ich erst vier Tage später bekommen. Die Situation ist im Moment sehr bedrohlich. Es kommt vor, dass chinesische Soldaten das Kloster umstellen. Aber auch wenn sie nicht dort sind, wird das Kloster abgehört. Es wurden Kameras aufgestellt. Die Behörden versuchen durch die Geheimpolizei, herauszufinden, was die Tibeter vorhaben, und eine Atmosphäre der Einschüchterung zu erzeugen.

Die jüngste Entwicklung in Tibet ist, dass die Familien von Menschen, die sich selbst verbrannt haben, in Mithaftung genommen werden. Sie werden vor Gericht gestellt und verurteilt. Das ist eine neue Entwicklung. Am 31. Januar 2013 wurde der Verwandte eines Mönches, der sich angezündet hat, zu einer bedingten Todesstrafe verurteilt.  Das heißt, er wurde zum Tod verurteilt, der Vollzug aber für zwei Jahre ausgesetzt, danach wird geprüft, ob die Strafe in lebenslange Haft umgewandelt wird. Mit ihm wurden noch sieben weitere Familienmitglieder verhaftet.

Im indischen Dharansala protestierten Exil-Tibeter 2011 gegen die Selbstverbrennung im Kloster KirtiBild: AP

Können Sie so überhaupt Ihre Rolle als geistliches Oberhaupt des Klosters noch wahrnehmen?

Ich habe keine direkte Verbindung und kann keine religiösen Anweisungen geben, wie es eigentlich zu meinen Aufgaben gehören würde. Aber ich versuche, insbesondere in religiösen Fragen, weiterhin Rat zu erteilen.

Könnte eine eindeutige Anweisung aus dem Exil in der Lage sein, diese Selbstverbrennungen zu stoppen?

Es gibt solche Aussagen von hohen Lamas wie dem Karmapa Rinpoche. Die Bloggerin Tsering Woeser in Peking spricht sich klar dagegen aus. Auch der tibetische Premierminister im Exil, Lobsang Sangyay,  heißt diese Selbstverbrennungen nicht gut. Aber das hat nicht zu einem Rückgang geführt. Meiner Meinung nach sind die Hauptansprechpartner für diese Forderung nicht die Menschen, die sich zu diesem Schritt entschließen, sondern die chinesische Regierung. Ich sehe die chinesische Politik der Unterdrückung als eigentliche Ursache dieser Selbstverbrennungen an. So lange sich an den Verhältnissen nichts ändert, werden immer wieder Tibeter zu solchen drastischen Schritten bereit sein. Da wird es wenig nützen, an die Menschen zu appellieren, das zu unterlassen.  Unser Hauptappell geht deshalb an die chinesische Regierung, ihre Politik zu überdenken.  Außerdem stellt sich die Frage, inwiefern die Tibeter im Exil das Recht haben, diese Selbstverbrennungen zu missbilligen, so lange sie den Tibetern in Tibet keine Alternative aufzeigen können.

Auch eine klare Aufforderung des Dalai Lama könnte die Selbstverbrennungen nicht beenden?

Man muss das im Zusammenhang sehen. Es geht um einen Protest der Menschen gegen die chinesische Politik. So lange sich diese Politik nicht ändert, greifen Appelle nicht. Sie gehen auch an die falsche Adresse. Ich gehe davon aus, dass auch der Dalai Lama diesen Zusammenhang sieht.

In Peking gab es jetzt einen Machtwechsel. Erwarten Sie von der neuen Führung, dass sie ihre Tibet-Politik überdenkt?

Die Tibeter haben mit jeder neuen Führung in China Hoffnungen verbunden. Mittlerweile haben sie vier Führungsgenerationen erlebt. Während der letzten Jahre hat sich die Situation für viele Menschen in China verbessert, nicht aber für die Tibeter. Für sie hat die Unterdrückung eher noch zugenommen.  Die Tibeter hoffen natürlich auf Verbesserungen durch die nächste Führung.  Aber sie sind auch skeptisch. Ich persönlich bin überzeugt, dass sich zwar in China die Verhältnisse lockern werden, aber für Tibet habe ich meine Zweifel. Wir hoffen eher darauf, dass die westliche Öffentlichkeit immer wieder Druck auf die chinesische Regierung ausübt. 

Diesen Druck gibt es schon lange. Auf die chinesische Regierung scheint das wenig Eindruck gemacht zu haben.

Trotzdem ist es wichtig, diesen Druck aufrecht zu erhalten. Die Menschenrechte der Tibeter werden seit sechzig Jahren verletzt.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, noch zu Lebzeiten das Kloster Kirti wiederzusehen?

Ich bin 1959 gemeinsam mit dem Dalai Lama ins Exil gegangen, konnte 1985 noch einmal zurückkehren, bin dann aber wieder nach Dharamsala in Indien gegangen. Wenn sich an der chinesischen Politik nichts ändert, habe ich dann geringe Chancen, Kirti wiederzusehen. Aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben.

Lobsang Tenzin Jigme Yeshi Gyamtso Pal Sangpo wurde 1942 geboren und 1946 als Reinkarnation des Kirti Rinpoche, des Klostervorstehers von Kirti, einem der wichtigsten tibetischen Klöster, erkannt. 1959 floh er gemeinsam mit dem Dalai Lama ins Exil. In der Exilregierung war er von 1997 bis 1999 Religionsminister.

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