Vergessen? Entführte Deutsche im Ausland
4. April 2025
Vor fast sieben Jahren wurde Sonja N. entführt. In Somalia, von bewaffneten Männern. Damals war die deutsche Krankenschwester für das Internationale Rote Kreuz im Einsatz und aus einem Haus verschleppt worden. Vor kurzem tauchte ein Video auf, das sie zeigen soll und ihren Appell an Bundesregierung und Familie, alles zu tun, um sie freizubekommen. Ihre Gesundheit verschlechtere sich zusehends.
Das Video ruft in Erinnerung, was manchmal in Vergessenheit gerät: deutsche Staatsbürger, die im Ausland in Geiselhaft oder entführt sind. So wie Sonja N. ging es vermutlich Hunderten deutschen Staatsangehörigen in den vergangenen Jahrzehnten. Wie viele genau aktuell im Ausland entführt und verschleppt sind, lässt sich nicht sagen. Zahlen gibt es kaum. Das Auswärtige Amt äußert sich grundsätzlich nicht zu Entführungsfällen im Ausland. Die letzten Angaben stammen aus dem Jahr 2019. Da teilte die Bundesregierung mit, dass zwischen 2010 und 2019 143 Deutsche in 37 Ländern entführt wurden. Die meisten Fälle gab es in Nigeria, gefolgt von Afghanistan, Mexiko, Syrien und Senegal.
Krisenstab wird aktiviert
Wird ein Entführungsfall bekannt, wird in einigen Fällen ein Krisenstab beim Auswärtigen Amt aktiv, der dann die verschiedenen Stellen wie Botschaften, Bundesnachrichtendienste und Vermittler koordiniert. Einen solchen leitete zwei Jahre lang Jürgen Chrobog, von 2003 bis 2005. "Es geht vor allem darum, erst einmal alle Hebel in Gang zu setzen, Vertrauen mit Mittelsmännern aufzubauen, um herauszufinden, was passiert ist und welche Forderungen es gibt”, sagt der heute 85-Jährige im Gespräch mit der DW.
Zu seiner aktiven Zeit musste er die Entführung von mehreren Sahara-Touristen in Algerien und Mali im Jahr 2003 lösen. Die Verhandlungen gelangen: bis auf eine Geisel, die an einem Hitzschlag starb, wurden alle befreit. Vor allem das enge Vertrauensverhältnis zum malischen Präsidenten und der Tuareqs vor Ort habe den Ausschlag gegeben, erinnert sich Chrobog heute.
Kurioserweise wurde Chrobog selbst, nur wenige Monate nach seiner Pensionierung im Jahr 2005, im Jemen gemeinsam mit seiner Familie entführt. Er geriet in eine Stammesfehde, die aber recht schnell gelöst wurde und die Familie befreit werden konnte.
Bandbreite an Menschen betroffen
Meistens sind es aber keine "Profis”, die sich in den Fängen nichtstaatlicher oder auch staatlicher Akteure wiederfinden. Es sind Krankenschwestern, Priester, Entwicklungshelfer, Dissidenten oder einfach nur Zufallsopfer. Und in den allermeisten Fällen bedeutet eine Entführung Stress und löst Ängste aus. Manchmal äußern sich die Befreiten später und berichten über ihre Geiselnahme. Nur so werden, auf Grund der rigorosen Nicht-Äußerungen des Auswärtigen Amtes, einige Details der Entführungsfälle bekannt.
Ein Fall, der nicht allzu lange her ist, ist der des römisch-katholisch Geistlichen Hans-Joachim Lohre. Er verschwand im November 2022 in Mali auf dem Weg zu einer Messfeier. Es dauert fast exakt ein Jahr bis zu seiner Freilassung. Im Gespräch mit der DW erinnert er sich an den Moment der Entführung: "Just in dem Augenblick hat mich einer der anderen von hinten gepackt und auf die Rückbank des Mercedes gezerrt. Und dann waren wir schon unterwegs. Das alles hat nicht länger als fünf, zehn Sekunden gedauert.”
Und schnell merkt er, dass er sich eine Überlebensstrategie zulegen muss: "Und schon im Auto habe ich mir gesagt: Ich muss dieser Zeit der Gefangenschaft, ob sie nun ein, zwei oder fünf Jahre dauert, einen Sinn geben”. Er betet mehrmals täglich, versucht sogar mit den Entführern, einer Gruppe Dschihadisten, über Religion ins Gespräch zu kommen. Nach einem Jahr führten Verhandlungen zum Erfolg, wie genau, wisse er nicht. Es mache ihn aber glücklich, dass auch der Präsident des hohen Islamrats Mali für seine Freilassung gebetet und so den muslimisch-christlichen Dialog vertieft hätte.
Viele Entführungen gehen auf das Konto von nichtstaatlichen Akteuren – Terroristen, Splittergruppen, Stämme, die gegenseitige Ansprüche erheben. Es gibt aber auch Fälle, da werden Staaten selbst zu Tätern, wie im Falle des Iran, der schon mehrfach deutsche Staatsbürger, manchmal auch mit einer doppelten Staatsbürgerschaft, im Iran inhaftiert hat. Ein Fall ist Jamshid Sharmahd, der aus Dubai in den Iran entführt, dort vier Jahre inhaftiert war und schließlich im Oktober 2024 in Haft starb.
Stille Diplomatie oder breite Öffentlichkeit
Die Inhaftierung der deutschen Geisel Nahid Taghavi im Iran ging glücklicher aus, sie kam im Januar frei. In beiden Fällen setzte sich die Menschenrechtsorganisation Hawar für die Inhaftierten ein. Mariam Claren arbeitet für Hawar – und ist auch persönlich betroffen, Nahid Taghavi ist ihre Mutter. "Wenn ein autoritärer Staat jemanden festnimmt/entführt, tappt man erst einmal im Dunkeln. Und da empfehle ich aus eigener Erfahrung - und das empfehlen wir auch als NGO – es ist sehr wichtig, sofort an die Öffentlichkeit zu treten”, sagt Claren der DW. Denn Öffentlichkeit schütze den Inhaftierten. Ihre Mutter habe mit der Zeit, mit mehr öffentlichem Druck, Erleichterungen gespürt, wie bessere Haftbedingungen oder mehr Zugang zu Medizin.
Claren habe eng mit dem Auswärtigen Amt zusammengearbeitet und sei dankbar für die Arbeit. Gleichzeitig kritisiert sie aber auch das Vorgehens Deutschlands im Allgemeinen. "Die USA haben einen Sondergesandten für Geiseln im Ausland. In Frankreich spricht man öffentlich von Geiselnahmen", sagt Claren.
In Deutschland herrsche dagegen häufig das Prinzip: stille Diplomatie. "Ich muss fairerweise sagen, es hat funktioniert. Meine Mutter ist befreit worden. Aber ich habe mich oft alleine gelassen gefühlt." Auch deshalb sei ihr das Schicksal der entführten Deutschen in Somalia nahe gegangen. "Ich fand das Video herzzereißend. Wäre das meine Mutter, würde ich jeden mobilisieren”.
Um den Druck zu erhöhen und sicherzugehen, dass sie nicht vergessen werde.