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Gesellschaft

Vergewaltigung in Mülheim: viele Fragen offen

10. Juli 2019

Die mutmaßliche Vergewaltigung von Mülheim wirft juristische und soziokulturelle Fragen auf. Es geht um das Strafmündigkeitsalter, aber auch um familiäre Verhältnisse, in denen sich viele Migrantenkinder befinden.

Mülheim Schweres Sexualdelikt - Gruppe Jugendlicher unter Verdacht
Der Tatort: Am Rande eines Radschnellweges sollen mehrere Jugendliche eine Frau vergewaltigt habenBild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

Drei 14-Jährige und zwei Zwölfjährige Jugendliche aus Bulgarien stehen im Verdacht, am Freitagabend (5. Juli) in Mülheim an der Ruhr eine junge Frau in einem Waldstück vergewaltigt zu haben. Die Zwölfjährigen sind noch nicht strafmündig. Einer der 14-Jährigen sitzt wegen  Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft. Das Mülheimer Jugendamt hatte am Montag versucht, die Familien der Zwölfjährigen anzusprechen. Die Hilfsangebote seien aber nicht angenommen worden.

Volker Wiebels, Pressesprecher der Stadtverwaltung Mülheim erklärte dazu in einem DW-Interview: "Eins kann man generell sagen: Es gibt keine Kindeswohlgefährdung. Die Erziehungsberechtigung ist bei den Eltern oder bei dem Elternteil (teilweise sind es alleinerziehende Eltern) geblieben. Wir als Stadt geben Unterstützung, es gibt verschiedene Maßnahmen, bei denen ganze Familien betreut werden können, es gibt auch bestimmte Präventionsmaßnahmen der Landesregierung."

Zurückschicken geht nicht

Jemand, der viele Erfahrungen mit bulgarischen Migranten in Nordrhein-Westfalen (NRW) hat, ist Werner Jostmeier, Honorarkonsul der Republik Bulgarien in Münster. Dass das Jugendamt nicht eingreifen kann, findet er inakzeptabel: "Wenn das Jugendamt Zwangsmaßnahmen anwenden kann, würde ich das empfehlen. Wir können diese Menschen nicht zurückschicken, sie genießen die Freizügigkeit innerhalb der EU. Aber dann müssen sie sich, bitte, an die Spielregeln halten, die hier gelten. Und wenn sie mit dem Jugendamt oder mit dem Strafgesetz in Konflikt kommen, dann müssen die deutschen Behörden die Kompetenz haben einzugreifen."

Wer sind die mutmaßlichen Täter? Und wie konnte es zu der Tat in Mülheim kommen? Laut Volker Wiebels handelt es sich um "türkisch sprachige bulgarische Staatsangehörige". In Bulgarien leben nach unterschiedlichen Einschätzungen ca. 500.000 türkisch sprechende Moslems (über acht Prozent der Landesbevölkerung). Tausende von ihnen sind nach dem EU-Beitritt Bulgariens 2007 als Arbeitsmigranten unterwegs, auch in Deutschland. Anschluss an den deutschen Arbeitsmarkt und die Gesellschaft in Deutschland finden sie meistens über die hier ansässigen Türken.

Werner Jostmeier, Honorarkonsul von Bulgarien in Nordrhein-WestfalenBild: privat

Um diesen Vorteil zu genießen geben sich auch viele bulgarische Roma als türkisch-sprachige Moslems aus. Diese Entwicklung ist den deutschen Behörden, aber auch den diplomatischen Vertretern Bulgariens in Deutschland wohl bekannt, denn die Arbeitsmigranten werden sehr oft von den Vermittlern und Arbeitgebern schlecht behandelt oder leben ganz auf Kosten der Sozialkassen. Das bestätigt auch Werner Jostmeier. Ihre Probleme sind aber teilweise politisch und soziokulturell bedingt, erklärt der Honorarkonsul:

"Wenn es sich um diese Gruppe der türkisch sprechenden Bulgaren mit einem bulgarischen Pass handelt, dann habe ich kein Patentrezept. Wir müssen dafür sorgen, dass die Regeln in den Herkunfts- und Aufnahmeländern angeglichen werden. Dazu gehören auch Werte wie Gleichheit von Mann und Frau, Religionsfreiheit, die Achtung der Menschenwürde, die Achtung der Gesetze."

Frust über die Außenseiterrolle

Deutsche Kriminologen und Psychologen sehen das ähnlich, wenn es sich um Extremfälle von Jugendkriminalität handelt. In einem Interview für das Nachrichtenmagazin FOCUS Online führt der Nürnberger Kriminalpsychologe Rudolf Egg die Tat von Mülheim auf eine "Kombination aus Machtdemonstration, Sexualität und Gruppendynamik" zurück. Und Christian Pfeiffer, Gründer des Kriminologischen Instituts Niedersachsen (KFN), spricht von "patriarchalischen Familienkonzepten" und "Frust über Außenseiterrollen".

Mülheims Sozialdezernent Marc Buchholz (re.) und Oberbürgermeister Ulrich Scholten Bild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

Der Mülheimer Stadtsprecher Volker Wiebels betont, dass die Nationalität der Verdächtigen bei der mutmaßlichen Vergewaltigung eigentlich nur eine untergeordnete Rolle spielen sollte:

"Ich glaube, das ist ein Problem der Kinder und der Jugend ganz allgemein. Wenn die notwendige Anleitung in der Familie nicht da ist, wenn die Dinge, die vom Kindergartenalter bis in die Schule angeboten werden, wenn sie nicht greifen, dann kann so etwas passieren. Aber das ist ein allgemeines, gesellschaftliches Problem." 

Legal in Mülheim

Laut Wiebels leben in Mülheim genau 671 Bulgaren. Es habe mit ihnen noch keine durchweg negative Erfahrung gegeben, so der Presseprecher. Auf die Frage, ob es sich bei den Jugendlichen um Vertreter der Roma-Bevölkerungsgruppe handelt, sagt Wiebels: "Das ist öffentlich so noch nicht besprochen worden. Ob das jetzt Roma sind, oder nicht, bislang hieß es immer: bulgarische Staatsangehörige mit bulgarischem Pass, die legal in Mülheim leben."

Vor dem Hintergrund der Gewalttat in Mülheim nennt Honorarkonsul Jostmeier ein grundsätzliches Problem: Ein Teil der Migranten aus Bulgarien habe immer noch große Integrationsschwierigkeiten: "Man möchte zu sehr unter sich bleiben. Man möchte auch keine Kontrollen durch staatliche Organe oder durch Jugendämter oder durch die Polizei, aber auch nicht durch Nachbarschaften. Man ist zu sehr unter sich und sucht zu wenig das normale, nachbarschaftliche, zivilgesellschaftliche Leben."