In Bayern wurde ein rasanter Anstieg von Vergewaltigungen gemeldet, vor allem durch Zuwanderer. Doch stimmen diese Zahlen? Experten sagen nein.
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Es passiert selten, dass eine Kabinettssitzung in der Bayerischen Staatskanzlei in München in ganz Deutschland für Aufregung sorgt. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hatte am 12. September Zahlen zur aktuellen Lage der Kriminalität im Freistaat Bayern präsentiert. Weniger Einbrüche, weniger Diebstähle, so weit sehr positiv. Doch eine "erschreckende" Entwicklung hatte er zu vermelden:
Die Zahl der Vergewaltigungsfälle im ersten Halbjahr 2017 sei um die Hälfte gestiegen: 685 Delikte seit Jahresbeginn, berichtete der Innenminister. 126 davon seien Zuwanderern zuzuordnen. Mit 60 Fällen mehr als im Vorjahreszeitraum würde das einen Zuwachs von 90,0 Prozent ausmachen.
Erschreckende Zahlen, aber Kriminologen können den Daten des Innenministers nicht so recht Glauben schenken. "Die Zahlen sind erstaunlich", sagt Ralf Kölbel, Strafrechtsexperte an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Es sei seiner Einschätzung nach aber nicht plausibel, dass sie einen realen Anstieg widerspiegelten.
Ein Verdächtiger ist nicht Täter
Was steckt hinter den Zahlen, die Bayerns Innenminister Joachim Herrmann veröffentlichte?Bild: picture alliance/dpa/M. Balk
Doch wie kann man diesen rasanten Anstieg erklären? Die Zahlen des bayrischen Innenministers waren vorläufige Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Freistaats. In einer Kriminalstatistik landen nur solche Straftaten, zu denen die Polizei ermittelt, also die Tatverdächtigen.
Ein Verdächtiger ist aber nicht automatisch Täter. "Die Tatverdächtigenstatistik ist nicht sehr verlässlich", sagt Kriminologe Christian Pfeiffer vom Niedersächsischen Kriminalforschungsinstitut - wenn es darum gehen soll, die tatsächliche Kriminalität abzubilden.
Fremde werden eher angezeigt als Einheimische
Die Bereitschaft ein Sexualverbrechen anzuzeigen ist sehr gering. Eine Untersuchung des Bundesfamilienministeriums von 2012 stellte fest, dass nur acht Prozent der Opfer von sexueller Gewalt sich an die Polizei wandten. Vor allem bei Übergriffen aus dem privaten oder beruflichen Umfeld schätzen die Experten die Dunkelziffer extrem hoch.
Wenn sich Täter und Opfer nicht kannten, lag die Bereitschaft zur Anzeige allerdings höher. "Fremde haben immer ein höheres Anzeigerisiko bei Gewalttaten als Einheimische", sagt Kriminologe Pfeiffer. Sein Institut hat die Anzeigebereitschaft in einer 2017 veröffentlichten Studie bei 20.000 deutschen Jugendlichen untersucht.
Kriminologe Christian Pfeiffer: "Fremde werden häufiger angezeigt"Bild: picture alliance/dpa/O. Spata
Vor allem bei Sexualdelikten sei der Unterschied der Studie zufolge gravierend: Nur 18 Prozent der Opfer würden Anzeige erstatten, wenn der Täter augenscheinlich ein Einheimischer sei, aber 44 Prozent würden einen Fremden anzeigen. Das verzerrt das Bild.
"Nein heißt Nein": Hilft das neue Strafrecht?
Der rasante Anstieg könnte Indiz einer steigenden Anzeigebereitschaft sein, erklärt Strafrechtsexperte Kölbel. Eigentlich ein gutes Zeichen. Nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015 in Köln war das Sexualstrafrecht sehr präsent."Die Diskussionen unter dem Stichwort 'Nein ist Nein' können dazu beigetragen haben, dass die Anzeigebereitschaft gestiegen ist", sagt Kölbel. Das gelte auch für Opfer weiter zurückliegender Fälle. Denn die Polizei führt in ihrer Statistik nur abgeschlossene Ermittlungen auf, was nicht im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Tat stehen muss.
Macht und Missbrauch
Rund 60 Frauen werfen Ex-Comedian Bill Cosby sexuelle Übergriffe vor. Missbrauchsskandale haben schon viele Prominente in Verruf gebracht. Oft ist die Karriere vorbei. Doch es gibt auch Freisprüche und ungeklärte Fälle.
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Bill Cosby: Hinter Gittern
Der 81-jährige ehemalige US-Schauspieler und -Komiker steht seit dem Ende seiner TV-Karriere wegen zahlreicher Vorwürfe sexueller Belästigung, sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung in der Öffentlichkeit. Fast 60 Frauen beschuldigen ihn sexueller Übergriffe innerhalb eines jahrzehntelangen Zeitraums. Inzwischen ist er verurteilt und verbüßt eine Haftstrafe von drei bis zehn Jahren.
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Bill O'Reilly: Ende einer TV-Karriere
Dass US-Präsident Donald Trump ihn als "guten Menschen" bezeichnete, half dem ehemaligen Fox-News-Moderator am Ende nicht: Am 19. April gab 21st Century Fox die Trennung von O'Reilly bekannt. Zuvor hatte die "New York Times" berichtet, der TV-Mann (Jahrgang 1949) habe insgesamt 13 Millionen US-Dollar Schweigegeld an fünf Frauen bezahlt, die ihm sexuelle Belästigung vorgeworfen hatten.
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Roger Ailes: Sturz vom Fox-News-Thron
O'Reilly ist nicht der einzige Fox-News-Mitarbeiter, den Donald Trump gegen derartige Vorwürfe verteidigt hat. Während des US-Wahlkampfs legte er für den damaligen Chef des Senders, Roger Ailes, ein gutes Wort ein. Dieser war von einer Ex-Moderatorin wegen sexueller Belästigung verklagt worden. Im Juli 2016 legte Ailes alle Funktionen bei Fox News nieder. Er starb im Mai 2017.
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Donald Trump: Gerichtsverfahren beigelegt
Dass der US-Präsident selbst ein problematisches Verhältnis zu Frauen hat, zeigte unter anderem ein Tonmitschnitt aus dem Jahr 2005, dessen herabwürdigende Aussage im Wahlkampf 2016 für Aufruhr sorgte. Seit 1980 haben 15 Frauen Trump sexuelle Belästigung oder sexuellen Missbrauch vorgeworfen. Zu einer Verurteilung kam es nie: Alle Gerichtsverfahren wurden beigelegt oder die Klagen zurückgezogen.
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Cristiano Ronaldo: Unsauberer Journalismus?
Im April 2017 berichtete der "Spiegel", die Enthüllungsplattform Football Leaks habe dem Magazin Dokumente zugespielt, die auf eine mutmaßliche Vergewaltigung im Jahr 2009 hindeuteten. Angeblich habe sich Ronaldo in Las Vegas an einer Amerikanerin vergangen und ihr 375.000 US-Dollar Schweigegeld angeboten. Ronaldos Berateragentur Gestifute bezeichnete die Vorwürfe als "journalistische Fiktion".
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Julian Assange: Viele offene Fragen
2010 leitete Schweden gegen den WikiLeaks-Gründer wegen mutmaßlicher Sexualvergehen an zwei Frauen Ermittlungen ein. 2012 floh Assange in die ecuadorianische Botschaft in London, um dem Haftbefehl zu entgehen. Die Vorwürfe wegen sexueller Nötigung und sexueller Belästigung verjährten 2015. Im Mai 2017 stellte die schwedische Staatsanwaltschaft auch die Ermittlungen wegen Vergewaltigung ein.
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Dominique Strauss-Kahn: Vergleich
Am 14. Mai 2011 wurde der damalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn am Flughafen in New York festgenommen. Die New Yorker Staatsanwaltschaft klagte den Franzosen wegen versuchter Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Freiheitsberaubung des Zimmermädchens Nafissatou Diallo an. Im Dezember 2012 kam es zu einer außergerichtlichen Einigung. Der Fall beendete Strauss-Kahns politische Karriere.
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Jimmy Savile: Posthum geächtet
Er war eine TV-Legende und erhielt sogar zwei Orden von der Queen: Jimmy Savile prägte lange das britische Fernsehprogramm. Ein Jahr nach seinem Tod wurden Vorwürfe laut, Savile habe jahrzehntelang vorwiegend junge Mädchen missbraucht. Bis Oktober 2012 stieg die Zahl der mutmaßlichen Opfer auf etwa 450. Eine unabhängige Untersuchung kam 2016 zu dem Ergebnis, die BBC habe systematisch weggesehen.
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Woody Allen: Aussage gegen Aussage
Während eines Sorgerechtsstreits warf die US-Schauspielerin Mia Farrow ihrem Ex-Mann Woody Allen vor, die gemeinsame Adoptivtochter (links) sexuell missbraucht zu haben, als diese noch ein Kind war. 2013 ging Dylan Farrow selbst an die Öffentlichkeit. In einem medialen Schlagabtausch wies der Oscar-Preisträger Allen die Anschuldigungen zurück. Bis heute steht es Aussage gegen Aussage.
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Roman Polanski: Müde Protagonisten
Seit 40 Jahren hat Roman Polanski, hier mit seinen Anwälten, die USA nicht mehr betreten. 1977 gestand der polnisch-französische Regisseur, mit der damals 13-jährigen Samantha Geimer geschlafen zu haben. Aus Angst vor einer langen Haftstrafe floh er nach Europa. Im März gab Polanski an, den Prozess hinter sich bringen zu wollen. Geimer selbst fordert schon seit Jahren ein Ende des Verfahrens.
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Jörg Kachelmann: Zu Unrecht angeklagt
Der frühere ARD-Meteorologe, hier kurz nach seiner Untersuchungshaft, wurde 2010 wegen des Verdachts der Vergewaltigung festgenommen. 2011 wurde er freigesprochen, seine ehemalige Geliebte wurde 2016 zu einer Schadensersatzzahlung von mehr als 7000 Euro verurteilt. In einem Interview sprach Kachelmann von einem "Opfer-Abo" für Frauen. Der Begriff wurde zum deutschen Unwort des Jahres 2012 gewählt.
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Gina-Lisa Lohfink: Klägerin und Angeklagte
Im Sommer 2012 wurden Videoaufnahmen verbreitet, die das Model Gina-Lisa Lohfink, hier im Kammergericht Berlin, beim Sex mit zwei Männern zeigen. 2016 verklagte Lohfink die Männer wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Sie erhielten allerdings nur Strafen wegen der Verbreitung der Aufnahmen und zeigten Lohfink wegen Verleumdung an. Die 30-Jährige wurde wegen Falschverdächtigung verurteilt.
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Zusätzlich können veränderte Kriterien Statistiken beeinflussen. Nach den Vorfällen in Köln wurde in Deutschland das Sexualstrafrecht verschärft. Im Paragrafen 177 des Strafgesetzbuchs ist seit Ende letzten Jahres der Straftatbestand für eine Vergewaltigung strenger geregelt.
Klassische Fallstricke der Statistik
Mit dem erweiterten Straftatbestand fallen mehr Delikte in diese Kategorie, dementsprechend werden mehr Anzeigen dafür registriert. Ein Anstieg der Zahlen war also zu erwarten, sagt Pfeiffer. Während sich also nur das Anzeigeverhalten geändert habe, entstehe das Gefühl, dass sich die Zahl der Straftaten tatsächlich verändert habe, sagt Statistiker Walter Krämer von der TU Dortmund. "Das sind die typischen Fallstricke bei Kriminalitätsstatistiken."
Statistiker Walter Krämer: "Zahlen strahlen Autorität aus"Bild: picture alliance/dpa/H. Galuschka
Es gibt auch Zahlen, die oft nicht ins Verhältnis zueinander gesetzt werden können: Die Kriminalitätsstatistiken unterscheiden zwar Einheimische und Zugewanderte. Die Alters- und Geschlechtsstruktur sei aber unterschiedlich, sagt Kriminologe Pfeiffer. Unter Zuwanderern gebe es mehr junge Männer, die einheimische Bevölkerung sei deutlich älter. Man könne die Gruppen deshalb nicht miteinander vergleichen, bestätigte der Bericht des Bundeskriminalamts von 2016 zur "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung".
Die Macht der Zahlen
Warum wird Daten dennoch so schnell Glauben geschenkt? "Zahlen strahlen eine gewisse Autorität aus", sagt Statistiker Krämer. Und: "Weil es einem in den Kram passt."
"Normalerweise werden keine Halbjahresstatistiken veröffentlicht, weil sie weniger zuverlässig sind", sagt Kriminologe Pfeiffer. "Da muss man den Eindruck gewinnen, dass mit einer Halbjahresstatistik operiert wurde, die gerade günstig kommt", vermutet Pfeiffer, "weil man Wahlkampf hat und sich mit einer bestimmten These profilieren möchte."
Ein unreflektierter Blick auf Statistiken verleitet zu Fehlschlüssen. Bayerns Innenminister Hermann beeilte sich direkt im Anschluss an seinen Bericht mitzuteilen: "Unser Ziel ist, die Sexualstraftaten noch gezielter zu bekämpfen, auch in den Asylunterkünften." Dazu gehöre für ihn auch "die wirksame Begrenzung der Zuwanderung und die konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber."
Tatsächlich konnte der Minister in der gleichen Sitzung selbst auch keine Erklärung für die Entwicklung liefern. "Unsere Polizeiexperten arbeiten derzeit an einer detaillierten Analyse der Statistikdaten", sagte Herrmann. Statistiker Krämer überrascht das nicht: "Wir haben hier das bekannte Phänomen, dass Korrelation nichts mit Kausalität zu tun haben muss."Trotzdem wurde mit den Zahlen bereits Politik gemacht.