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Vergiften: Wie der Kreml mit Dissidenten verfährt

Monir Ghaedi
20. August 2023

Die mutmaßliche Vergiftung von drei Kreml-kritischen Journalistinnen im Exil erinnert an eine Reihe von früheren Anschlägen durch den russischen Geheimdienst. Der bekannteste Fall ist Alexej Nawalny.

Porträtbild Alexej Nawalny, russischer Oppositioneller
Prominentestes Opfer staatlicher russischer Verfolgung: der Oppositionelle Alexej NawalnyBild: Pavel Golovkin/AP Photo/picture alliance

Alle drei Frauen leben im Westen, alle drei nehmen kein Blatt vor den Mund, alle drei wurden mit unerklärlichen Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert: Laut Recherchen des russischen Internetmagazins "The Insider" wurden seit Beginn des Ukrainekriegs mindestens drei Kreml-kritische Journalistinnen im Exil vergiftet. Natalija Arno, Jelena Kostjutschenko und Irina Bablojan sind für ihre Kritik an der russischen Führung und deren Angriffskrieg auf die Ukraine bekannt. Alle drei suchten zwischen Mai und Dezember 2022 mit heftigen Symptomen wie Bauchschmerzen, geschwollenen Extremitäten und starken Schmerzen ein Krankenhaus auf - zwei von ihnen in Berlin, eine in Washington.

Nach zahlreichen Untersuchungen sind sich Experten sicher, dass sie vergiftet wurden, wahrscheinlich mit Nowitschok. Das Nervengift aus russischer Produktion ist bekannt aus einer Reihe weiterer Giftanschläge, die in den vergangenen Jahren auf Dissidenten aus Russland verübt wurden.

2022: Mutmaßliche Vergiftung eines russischen Oligarchen

Im März 2022 war der russische Oligarch Roman Abramowitsch ein Abgesandter bei den russisch-ukrainischen Friedensgesprächen. Während der Verhandlungen zeigte er Vergiftungssymptome. Neben Abramowitsch litten auch einige ukrainische Unterhändler unter roten, tränenden Augen und Hautausschlägen. Abramowitsch soll sogar zwischenzeitlich erblindet sein.

Der Oligarch steht wegen seiner engen Verbindungen zum Kreml und zu Staatschef Wladimir Putin auf der Sanktionsliste westlicher Länder. Der langjährige Eigentümer des FC Chelsea war darum im Mai 2022 gezwungen, den englischen Fußball-Erstligisten zu verkaufen.

"Lasst unseren Club in Ruhe": Weil FC-Chelsea-Besitzer Abramowitsch Putin nahesteht, gab es Sanktionen gegen den VereinBild: Vuk Valcic/dpa/SOPA Images/Zumapress/picture alliance

Einer Analyse des Investigativportals Bellingcat zufolge handelte es sich bei der Attacke weniger um einen Mordversuch als um eine Art Warnschuss von Hardlinern im Kreml, die klarmachen wollten, dass Friedensgespräche zum damaligen Zeitpunkt keine Option für die russische Führung waren.

2020: Anschlag auf Kremlkritiker Alexej Nawalny

Während eines Fluges vom sibirischen Tomsk nach Moskau ging es dem Anti-Korruptions-Aktivisten Alexej Nawalny plötzlich gesundheitlich so schlecht, dass der Pilot in Omsk notlandete. Nach ersten Behandlungen wurde Nawalny nach Berlin verlegt, wo mehrere unabhängige Analysen Spuren von Nowitschok in seinem Körper nachwiesen.

Nawalnys Vorwürfe, der Kreml stecke hinter dem Anschlag, wies Moskau zurück. Der Vorfall verschlechterte die Beziehung zwischen Russland und dem Westen und hatte eine Reihe von Sanktionen gegen Funktionäre des Moskauer Machtapparats zur Folge.

Der Kremlkritiker erholte sich von der Vergiftung, kehrte nach Russland zurück und sitzt nun eine jahrzehntelange Haftstrafe ab, die im Westen als juristisch haltlos und politisch motiviert gewertet wird.

2018: Vergiftung des Doppelagenten Sergej Skripal

2018 wurden der russische Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julija bewusstlos auf einer Parkbank im britischem Salisbury gefunden. Der ehemalige Geheimdienstoberst hatte bereits wegen mutmaßlicher Spionage in Russland im Gefängnis gesessen. Beide überlebten nach intensivmedizinischer Behandlung, aber das Attentat sorgte für einen internationalen Aufschrei.

Die damalige britische Premierministerin Theresa May beschuldigte Moskau, den Mordanschlag beauftragt zu haben. Der Kreml wies die Vorwürfe zurück und beschuldigte seinerseits das Vereinigte Königreich. Der Eklat führte zur gegenseitigen Ausweisung von Diplomaten und einer Reihe westlicher Sanktionen gegen russische Staatsfunktionäre.

Giftanschläge auf Ex-Präsidenten

Während des Wahlkampfs zur ukrainischen Präsidentschaftswahl 2004 wurde der proeuropäische Kandidat Wiktor Juschtschenko mit Dioxin vergiftet. Juschtschenko überlebte das Attentat, behielt aber dauerhafte Entstellungen in Form von Narben und Flecken im Gesicht zurück. Die Präsidentschaftswahl in der Ukraine gewann der prorussische Kandidat Wiktor Janukowitsch.

Der Wahlausgang war jedoch Anlass für die große Protestwelle, die als Orange Revolution bekannt wurde. Das Oberste Gericht annullierte die Wahl. Den neuen Urnengang im Dezember 2004 gewann Juschtschenko.

Tausende Demonstranten gingen auf die Straße: Orange Revolution in der UkraineBild: Sergey Dolzhenko/picture-alliance/dpa

Auch der ehemalige Präsident Georgiens, Michail Saakaschwili, beschuldigt russische Agenten, ihn vergiftet zu haben. 2022 kam der im Ausland lebende Politiker zu einem Wahlkampfbesuch in die Hauptstadt Tiflis und wurde dort auf Grundlage eines Jahrzehnte alten Urteils verhaftet. Dem Nachrichtenmagazin "Politico" sagte er im März 2023, dass man ihn im Gefängnis fast ermordet hätte und dass er sich seither in schlechtem Gesundheitszustand befinde.

Adaption aus dem Englischen: Jan D. Walter

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