Mit willkürlichen Festnahmen von Journalisten und der Entlassung von Dozenten bestraft die Staatsmacht Unterstützer der Protestierenden. Selbst Experten, die auf Missstände hinweisen, werden eingesperrt.
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"Wir wissen nicht, wer von uns als nächstes verhaftet wird. Die Stimmung ist bedrückend", erzählen Journalistinnen aus dem Iran in Hintergrundgesprächen. Interviews mit ausländischen Medien vermeiden sie. Zur Lage im Iran versuchen sie die Welt über soziale Netzwerke zu informieren. So wie der Journalist Milad Alavi: Er wurde am 1. Januar verhaftet. Warum? "Weiß er selber auch noch nicht", teilt sein Bruder am 2. Januar via Twitter mit. Bereits am 13. Dezember hatten die Sicherheitsbehörden Alavis Wohnung durchsucht und sein Smartphone und seinen Laptop beschlagnahmt.
Alavi berichtete über die Opfer der jüngsten Proteste und ihre Familien. Die landesweiten Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam hat die Staatsmacht - so wie die anderen Protestwellen der Vergangenheit - brutal niedergeschlagen.
"Frau, Leben, Freiheit" - drei Monate Proteste im Iran
Der gewaltsame Tod von Jina Mahsa Amini löste im Iran die größte Protestbewegung seit Jahrzehnten gegen das repressive Herrschaftssystem der Islamischen Republik aus. Der Staat reagiert mit aller Härte. Eine Chronologie.
Bild: LOUISA GOULIAMAKI/AFP/Getty Images
Gesicht einer Revolution
Sie ist das Gesicht des Widerstands im Iran: Am 13. September 2022 wird Jina Mahsa Amini in Teheran von der Sittenpolizei verhaftet, weil ihre Kleidung und ihr Kopftuch nicht den offiziellen Regeln der Islamischen Republik entsprechen. Drei Tage später ist die 22-jährige Kurdin tot - höchstwahrscheinlich infolge der Behandlung der Sicherheitsbehörden. Ihr Tod löst eine Revolution im Land aus.
Bild: Kenzo Tribouillard/AFP
„Frau, Leben, Freiheit!“
Am 17. September beginnt der Aufstand gegen das Mullah-Regime: Bei der Beerdigung Aminis in ihrem kurdischen Heimatort Saghes nehmen Frauen ihre Kopftücher ab, schwenken sie in der Luft und rufen "Jin, Jiyan, Azadî" - zu deutsch "Frau, Leben, Freiheit". Der Ruf wird zum Slogan der neuen iranischen Revolution. Am 40. Tag nach Aminis Tod kommen Tausende zum Friedhof.
Bild: UGC/AFP
Aufstand gegen die Ajatollahs
Aminis Tod ist der Auftakt zu einer historischen Bewegung: Seither erschüttern Proteste gegen die repressive Regierung alle Regionen des Irans, so wie hier Ende September in Teheran. Nicht nur Frauen nehmen an den Demonstrationen teil, sondern Menschen jeden Alters und aller Ethnien und Geschlechter. Es ist der größte Aufstand gegen das Regime seit Ausrufung der Islamischen Republik Iran 1979.
Bild: AFP
Ohne Hidschab - und mit viel Mut
Eine von vielen: Immer mehr Frauen, wie diese in der kurdischen Stadt Sanandaj, gehen ohne den obligatorischen Hidschab auf die Straße. Sie beweisen damit großen Mut: Wer gegen die Zwangsverschleierung verstößt, riskiert Peitschenhiebe und Haft. Und wie Verhaftungen im Iran enden können, hat der Fall Amini gezeigt.
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Haare zeigen - und Haltung
Doch Frauen und Mädchen lassen sich nicht einschüchtern: Diese Schülerinnen haben ihre Kopftücher abgenommen und rufen "Tod dem Diktator!" - gemeint ist Ajatollah Ali Chamenei. An den Universitäten kommt es zu Massenprotesten. Außerdem wird im ganzen Land gestreikt: Lehrkräfte, Studierende, aber auch Ölarbeiter legen die Arbeit nieder. In Kurdistan findet Anfang Dezember ein Generalstreik statt.
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Schlagstöcke gegen Protestierende
Das Regime reagiert mit massiver Gewalt: Polizei und die berüchtigten Basidsch-Milizen versuchen, die Proteste niederzuschlagen. Auf dem Foto ist zu sehen, wie sich Polizisten mit Schlagstöcken einer Gruppe fliehender Demonstrierender nähern. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass mehr als 400 Menschen von Sicherheitskräften getötet wurden, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche.
Bild: AFP
Wer Widerstand leistet, wird weggesperrt
Willkür und Brutalität: Augenzeugenberichten zufolge schlagen Polizei und Milizen Demonstrierende brutal zusammen, einige sollen teilweise von hinten erschossen worden sein. Zudem kommt es zu Massenverhaftungen: 14.000 Menschen sollen wegen ihrer Teilnahme an Protesten inhaftiert sein - so wie diese in einen Polizeiwagen gesperrten Frauen in Teheran.
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Die Hölle der Häftlinge brennt
Die Gefängnisse füllen sich mit politischen Gefangenen. Besonders das berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran ist ein Symbol für Repression: Hier wird die politische und intellektuelle Opposition unter katastrophalen Bedingungen eingesperrt, Überlebende berichten von Folter. Mitte Oktober brennt es in Evin; wie viele Gefangene sterben oder verschleppt werden, bleibt unklar.
Bild: UGC
Klettern ohne Kopftuch
Prominente aus Kunst, Kultur und Sport schließen sich den Protesten an. Das Team der Fußball-Nationalmannschaft weigert sich, bei der WM in Katar die iranische Nationalhymne mitzusingen. Die Kletterin Elnaz Rekabi tritt bei einem Wettkampf in Seoul ohne Hidschab an, die Bilder gehen um die Welt. Sie wird jedoch schnell zum Schweigen gebracht: Rekabi muss eine Entschuldigung abgeben.
Bild: Rhea Kang/AFP
Meine Haare, mein Leben
Weltweit erfährt die Protestbewegung viel Unterstützung: Tausende demonstrieren von Paris bis San Francisco für einen Regimewechsel in Teheran. In Istanbul schneidet sich diese Exil-Iranerin vor dem iranischen Konsulat aus Solidarität mit den unterdrückten Frauen in ihrem Heimatland die Haare ab. Prominente Frauen - und auch Männer - überall auf der Welt ahmen die Geste nach.
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Leuchtende Solidarität
Das Schicksal der drangsalierten Frauen im Iran berührt die Welt - und der Aufstand der Bevölkerung erfährt viel Solidarität: Das Brandenburger Tor in Berlin wird mit den kurdischen Worten "Frau, Leben, Freiheit" angestrahlt. Das US-amerikanische Time Magazine kürt die iranischen Frauen zu den "Heldinnen des Jahres 2022“.
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"Nein zur islamischen Republik"
Die weltweiten Proteste - hier eine Demonstration in Toronto - setzen die Regierung in Teheran unter Druck. Die zusätzlichen Sanktionen belasten die Wirtschaft des Landes massiv. Der Währungskurs des Rial ist seit September im Vergleich zu Euro und Dollar um mehr als 20 Prozent gesunken - ein Rekordtief. Schon vor Beginn der Demonstrationen befand sich das Land in einer akuten Finanzkrise.
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Galgen für "Gottes Feinde"
Teheran reagiert auf die Proteste mit noch mehr Härte. Zwei inhaftierte Demonstranten wurden bereits hingerichtet: Der Rapper Mohsen Schekari und der hier auf einem Handy-Display zu sehende Majidreza Rahnavard. Mindestens 38 weiteren inhaftierten Demonstranten droht die Exekution wegen "Feindschaft gegen Gott". Sogar Kinder können im Iran exekutiert werden.
Bild: AFP/Getty Images
"Wer Wind sät, wird Sturm ernten"
Blutige Tränen: Eine Demonstrantin protestiert bei einer Partie des Irans während der Fußball-WM in Katar. Im Ausland herrscht Entsetzen über die Hinrichtungen: Die EU-Staaten verurteilen sie geschlossen und verhängten weitere Sanktionen. Die Proteste im Iran gehen indes weiter: "Wer Wind sät, wird Sturm ernten", kündigen die Regimegegner an. Jina Mahsa Amini soll nicht umsonst gestorben sein.
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Nach Einschätzungen von Menschenrechtlern wurden seit Mitte September mindestens 470 Teilnehmer an Demonstrationen getötet und mehr als 18.000 verhaftet. Jetzt rechnet die Staatsgewalt mit denjenigen ab, die über die Betroffenen berichtet haben. Laut der Menschenrechtsorganisation "Iran Human Rights" sitzen momentan mindestens 62 Journalisten und Journalistinnen hinter Gittern.
Haftstrafe trotz Kooperation mit iranischer Führung
Milad Alavi, der für die reformorientierte Teheraner Tageszeitung "Shargh" arbeitet, ist nun im selben Gefängnis wie der bekannte Soziologe Saeed Madani. Ende Dezember hatte "Shargh" berichtet, Saeed Madani sei im Gefängnis mehrfach von hochrangigen Beamten eines ungenannten Ministeriums besucht worden. "Sie wollten von ihm Vorschläge, wie die Unruhen im Land beendet werden könnten", erzählt sein Anwalt Mahmoud Behzadirad im Interview mit "Shargh". Saeed Madavi soll dazu geraten haben, die Gewalt zu stoppen und die Rechte der Demonstranten in Betracht zu ziehen.
Dennoch wurde der 61-jährige Ende Dezember zu neun Jahren Haft verurteilt. Er habe sich in seinen Artikeln und Büchern für die "Bildung und Leitung von Anti-Establishment-Gruppen" eingesetzt und "Propaganda gegen die Islamische Republik Iran" verbreitet, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Verbreitung von Madanis Büchern wurde bereits im Sommer verboten. Der Professor von der Universität Teheran war im Mai 2022 festgenommen worden. Damals hatte er in einem Interview über die Proteste gegen die Inflation und Nahrungsmittelknappheit im Land gesprochen und gewarnt: "Diese Proteste müssen ernst genommen werden, weil sie sich gegen das gesamte politische System richten und weil sie wiederkehrend sind."
Madani, der in den vergangenen 13 Jahren immer wieder verhaftet wurde, appelliert in seinen Büchern für Solidarität innerhalb der Zivilgesellschaft und für den Mut, überall und unerschrocken für seine Überzeugungen einzustehen. Eine Reihe seiner Kollegen an den Universitäten werden jetzt genau deswegen bestraft. Zum Beispiel Farshid Norouzi, Professor für englische Literatur an der Universität von Mazandrab im Norden des Landes: Am 2. Januar teilte er via Instagram mit, dass sein Vertrag gekündigt wurde und er für das laufende Semester auch kein Gehalt mehr bekommt. Der Grund: Er hatte sich geweigert, die Namen der Studenten, die Lehrveranstaltungen boykottiert hatten, an die Sicherheitsbehörden weiterzugeben.
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Notwendige Unterstützung aus dem Exil
"Auch eine Reihe von bekannten Anwälten, die sich immer für Menschenrechte einsetzten, wurde willkürlich verhaftet", berichtet Saeid Dehghan im Gespräch mit der DW. Der Menschenrechtsanwalt lebt seit einigen Monaten in Kanada und versucht ein Netz von Experten im Ausland aufzubauen, das Menschen im Iran Rat und Hilfe anbieten kann. Es gibt kaum noch unabhängige Anwälte im Iran, die sich für ihre Mandanten einsetzen, ohne Angst haben zu müssen, selbst Opfer von Verfolgung und zu politischen Gefangenen zu werden. "Wir dokumentieren die systematischen Rechtverletzungen und auch die Namen der Richter, die Unrecht sprechen. Wir sind im Kontakt mit der unabhängigen Untersuchungskommission, die vom UN-Menschenrechtsrat ins Leben gerufen wurde, um gegen die Straflosigkeit bei der Niederschlagung der Proteste im Iran vorzugehen", berichtet Dehghan.
Das Ziel sei unter anderem, die Vollstreckung von Todesurteilen im Iran zu stoppen. Mehr als die Hälfte aller Hinrichtungen würden geheim vollzogen, berichtet die Menschenrechtsorganisation "Iran Human Rights Activists News Agency" HRANA am 3. Januar. Im Jahr 2022 sollen nur 35 Prozent der Hinrichtungen offiziell angekündigt worden sein. Laut HRANA wurden 2022 mindestens 565 Menschen im Iran hingerichtet, darunter zwei in Verbindung mit den landesweiten Protesten.
Momentan droht 26 weiteren inhaftierten Demonstranten die Hinrichtung. Sie wurden in Schauprozessen zum Tode verurteilt, um die Bevölkerung einzuschüchtern und die Proteste zu beenden. Mindestens elf Personen wurden bereits zum Tode verurteilt, und 15 weiteren werden Straftaten vorgeworfen, die in der Islamischen Republik Iran mit der Todesstrafe geahndet werden können, zum Beispiel "Krieg gegen Gott". Es braucht im Iran nicht viel, um Menschen zum Tode zu verurteilen. Ein Beispiel ist der Schriftsteller und Illustrator Mehdi Bahman.
"Spionage für Israel"
Bahman wurde nach einem Interview mit dem israelischen Fernsehen von einem Teheraner Gerichtshof zum Tode verurteilt. Mehdi Bahman, der sich seit langem für interreligiösen Dialog und Frieden einsetzt, sprach sich für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Iran und Israel aus. Seit der Islamischen Revolution von 1979 sehen die Machthaber im Iran Israel als Erzfeind an und drohen, den Staat Israel auszulöschen. Intellektuelle wie Mehdi Bahman werden als "Spione" betrachtet. Bahman wurde im Oktober 2022 festgenommen und wegen "Spionage" angeklagt. Ohne Rechtsbeistand während des Verfahrens wurde er im Dezember zum Tode verurteilt. Die Staatmacht im Iran beschuldigt ausländische Mächte, hinter den derzeitigen Protesten im Land zu stehen.