1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Verhaltener Rückenwind für Martin Schulz

7. Dezember 2017

Die Genossen haben ihren Chef geschrumpft: Von 100 Prozent im Frühjahr rutschte der SPD-Vorsitzende auf 81,9 Prozent Zustimmung ab. Aber auch einer seiner Kritiker erhielt auf dem Berliner Parteitag einen Dämpfer.

SPD-Parteitag in Berlin | Martin Schulz, Vorsitzender
Bild: picture-alliance/dpa/B.v. Jutrczenka

Martin Schulz (Artikelbild) erhielt in Berlin das sechstschlechteste Ergebnis eines SPD-Vorsitzenden. "Am 19. März habt ihr mich mit 100 Prozent ausgestattet. Das war ein schöner Moment, aber danach kamen auch schwierige Zeiten", sagte der 61-Jährige mit Blick auf das historisch schlechte Abschneiden der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl. "Jetzt habt ihr mich mit 81,94 Prozent ausgestattet. Ich wünsche mir, dass auf Grundlage dieses Ergebnisses bessere Zeiten kommen."

Eine herbe Schlappe erlitt der Hamburger Regierungschef Olaf Scholz bei der Wahl der sechs stellvertretenden Parteivorsitzenden. Scholz, der zuletzt Kritik am Kurs von Schulz geäußert hatte, bekam nur 59,2 Prozent - vor zwei Jahren waren es noch 80,2 Prozent. Das beste Ergebnis erzielte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die erstmals für einen Vizeposten kandidierte und starke 97,5 Prozent bekam. Neben ihr wurde die bayerische SPD-Chefin Natascha Kohnen neu in die Parteispitze gewählt - mit 80,1 Prozent.

Ja zur GroKo-Sondierung

Zuvor hatte der Parteitag Sondierungsgesprächen mit CDU und CSU über eine Regierungsbildung zugestimmt. Am kommenden Mittwoch wollten sich die Spitzen von CDU, CSU und SPD zum Ausloten von Gemeinsamkeiten treffen, meldet die Deutsche Presse-Agentur ohne Angabe von Quellen.

Malu Dreyer wirbt für offene Gespräche mit der UnionBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Die Sozialdemokraten haben allerdings die grundsätzliche Entscheidung über eine Neuauflage der Großen Koalition vertagt. Vor der Abstimmung war die SPD-Führung auf einen Vorschlag des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen eingeschwenkt, wonach ein Sonderparteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union entscheiden soll.

"Kein Automatismus in irgendeine Richtung"

Dieser solle etwa Mitte Januar einberufen werden, wenn die Sondierungsgespräche mit der Union zu förmlichen Koalitionsverhandlungen werden sollen. Die Parteispitze hatte dafür nur einen kleinen Parteitag vorgesehen, der von Mandatsträgen und SPD-Funktionären dominiert ist. Ein möglicher Koalitionsvertrag würde am Ende der Verhandlungen dann allen 440.000 Mitgliedern zur Abstimmung per Brief vorgelegt werden.

Neu in die Parteispitze gewählt: Die bayerische SPD-Chefin Natascha KohnenBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Schulz bat seine Partei eindringlich um freie Hand für Gespräche mit der Union über eine Regierungsbildung und stellte zugleich Bedingungen. Es gebe keinen Automatismus in irgendeine Richtung, sagte er auf dem Bundesparteitag. 

GroKo? Opposition? Tolerierung?

Als einer der letzten Redner hatte SPD-Vize Ralf Stegner dafür geworben, für Inhalte zu kämpfen und "beinhart" mit der Union zu verhandeln. Er sei kein Befürworter der großen Koalition, aber die SPD könne nicht sagen: "Wir reden nicht." Deshalb müsse der Antrag von Schulz angenommen werden. Ohne Gespräche ziehe man der SPD bei Neuwahlen sonst "das Fell über die Ohren". Die Partei sei nicht für sich selber da, sondern "für die Menschen da draußen".

Die SPD-Jugend fordert dagegen den Ausschluss einer neuen großen Koalition. Juso-Chef Kevin Kühnert hält eine Erneuerung der SPD nur außerhalb einer großen Koalition für möglich. Für die SPD gebe es eine Verantwortung, "dass noch etwas übrigbleibt von diesem Laden", sagte Kühnert zum Auftakt der Generaldebatte unter großem Applaus. Allerdings wurde der Antrag der Jusos, eine Neuauflage der GroKo grundsätzlich auszuschließen, vom Parteitag mit großer Mehrheit abgelehnt.

Juso-Chef Kevin KühnertBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Malu Dreyer suchte den Mittelweg. Sie warb für offene Gespräche mit der Union. Eine Entscheidung, "Nein zu sagen, ohne dass man in ein Gespräch miteinander geht", sei falsch. Es dürfe erst nach Beratungen entschieden werden, was der richtige Weg sei, sagte Dreyer. Die Frage sei nicht nur, was für die SPD, sondern auch was für das Land die beste Variante sei. Dies könne aus ihrer Sicht auch die Tolerierung einer unionsgeführten Minderheitsregierung sein.

Vereinigte Staaten von Europa

Zum Auftakt des Parteitages hatte der SPD-Vorsitzende die Stärkung der EU als eines der zentralen politischen Ziele ausgerufen. "Europa ist unsere Lebensversicherung", sagt Martin Schulz. Er wolle die Europäische Union bis 2025 in die Vereinigten Staaten von Europa mit einem gemeinsamen Verfassungsvertrag umwandeln. Die EU-Mitglieder, die dieser föderalen Verfassung nicht zustimmen, müssten dann die EU verlassen, sagte Schulz in Berlin.

Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa nach dem Vorbild der USA gibt es schon weitaus länger als die Europäische Union. Die Sozialdemokraten haben sich 1925 erstmals dafür ausgesprochen. Schulz nennt jetzt erstmals einen konkreten Zeitpunkt, bis zu dem dieses Ziel realisiert werden soll: 100 Jahre nachdem die Sozialdemokraten einen solchen Schritt erstmals gefordert haben.

"Schulz spaltet Europa"

Bundeskanzlerin Angela Merkel reagierte zurückhaltend auf den Vorschlag des SPD-Vorsitzenden, bezog aber nicht klar Stellung. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wies den Vorstoß dagegen schroff zurück und nannte den früheren Präsidenten des EU-Parlaments einen "Europaradikalen". "Schulz spaltet damit Europa", sagte er.

An diesem Freitag setzt die SPD ihren Bundesparteitag mit der Wahl des Generalsekretärs fort. Für das Amt vorgeschlagen ist der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil. Der 39-Jährige soll nach dem Willen des Parteichefs die Mitgliederbeteiligung durch eine stärkere Digitalisierung vorantreiben.

rb/jj (afp, dpa, rtr, dw)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen