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Verklemmt-freizügige Gesellschaft im Iran

Shahram Ahadi 6. Juli 2004

AIDS ist längst kein Tabuthema mehr im Iran. Der Staat bemüht sich, das Problem in den Griff zu bekommen. Die offiziellen Angaben und die gesellschaftliche Realität klaffen jedoch weit auseinander.

Selbst ultrakonservative Schulen versuchen sich an SexualkundeunterrichtBild: AP

"Der Iran wird von der WHO zu den Ländern gezählt, die am geringsten von der Ausbreitung dieser Krankheit betroffen sind", verkündete der AIDS-Beauftragte des iranischen Gesundheitsministeriums, Dr. Mohammad Mehdi Guya, vor zweieinhalb Jahren. Offiziellen Angaben zufolge gab es bis Ende März 2003 4237 Fälle von HIV-Infektionen und Erkrankungen an AIDS im Iran, was im Vergleich zu den Statistiken anderer asiatischer Länder sehr niedrig erscheint.

Die Zuverlässigkeit dieser Zahl ist jedoch mehr als fragwürdig. "Diese Statistik basiert auf keiner vernünftigen Grundlage. Es handelt sich hierbei um zufällig registrierte Fälle von HIV-Infizierten", sagt Ahmad Ghavidel, Direktor des iranischen Hämophilievereins. "Sie werden vor allem bei Blutspenden und im Verlauf einer ärztlichen Untersuchung festgestellt."

Folge von Perspektivlosigkeit

Heute wird von offizieller Seite die Heroinabhängigkeit als Ursache Nr. 1 der Verbreitung von AIDS im Iran ausgemacht. Drogenkonsum hatte im Iran schon immer Tradition, aber besorgniserregend ist die Tatsache, dass immer mehr junge Menschen wegen Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und mangelnder Freizeitmöglichkeiten der Drogensucht verfallen. Über Heroinsucht und die Gefahr der AIDS-Verbreitung durch diese Risikogruppe reden die Experten in Iran relativ problemlos, während eine offene Auseinandersetzung mit dem Problem der Aids-Übertragung durch Sex entweder nicht oder nur im beschränkten Maße möglich ist.

Sex im Iran

Tatsache ist, dass der nichteheliche bzw. voreheliche Sex in Iran ungesetzlich und strafbar ist. Die Wirklichkeit sieht jedoch ganz anders aus. "Gehen wir davon aus, dass Jungen im Alter von etwa 15 Jahren erstmals sexuelles Verlangen verspüren und dass Männer in unserem Land durchschnittlich mit 26 oder 27 heiraten", macht Ahmad Ghavidel eine Rechnung auf. "Es stellt sich die Frage, wo diese Männer während dieser elf oder zwölf Jahre ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigen." In der Tat hat sich die Prostitution in den letzen Jahren zu einem besorgniserregenden und ernsthaften Problem der iranischen Gesellschaft entwickelt. Aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Misere suchen immer mehr Mädchen und Frauen einen Ausweg in der Prostitution.

Halblegale Prostitution

Interessant ist hierbei das Phänomen der Zeitehe, das im schiitisch-islamischen Iran keine Seltenheit ist. In sunnitisch-islamischen Ländern existiert es nicht oder nur bedingt. Die Zeitdauer, die vor der Eheschließung festgelegt wird, kann eine Stunde, mehrere Tage oder einige Jahre betragen. In den meisten Fällen sind es die in finanzielle und soziale Not geratenen Frauen, die sich einer solchen Zeitehe unterwerfen. Man könnte das Ganze auch als eine Art legaler Prostitution bezeichnen. Angesichts dieser Tatsachen versteht sich die Fragwürdigkeit der offiziell angegebenen Zahl der HIV-Infizierten und AIDS-Kranken von selbst.

Halbwahrheiten in Schule und Fernsehen

Ein wesentlicher Bestandteil der AIDS-Bekämpfung ist die Aufklärung. Seit Jahren bemüht sich der Iran, durch Anti-AIDS-Kampagnen eine Verbreitung der Krankheit einzudämmen. Hierbei tauchen jedoch immer wieder Halbwahrheiten auf, die eine entgegengesetzte Wirkung haben. Es gibt zwar seit einiger Zeit Projekte, die sich der AIDS-Aufklärung in den Schulen widmen und dies auch in den Schulbüchern berücksichtigen wollen.

Es ist dennoch interessant zu sehen, welche Rolle die Massenmedien, insbesondere das Fernsehen, bei der Aufklärung spielen. "Das iranische Fernsehen hat in den letzen drei Jahren eine Wandlung vollzogen", sagt Ghavidel. "Aber die Informationen stimmen nicht immer. Und man spricht im Fernsehen nicht offen und transparent über die HIV-Übertragung durch ungeschützten Sex. Das ist eigentlich die größte Gefahrenquelle in unserer Gesellschaft."

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