Der Preis der vielen Spiele
3. Juni 2022Vier Spiele in zehn Tagen während einer Saison sind heutzutage für einen Fußballprofi keine Ausnahme mehr. Diese hohe Quantität an Partien aber auch noch Anfang Juni bestreiten zu müssen, ist auch für die hartgesottensten Spieler eine überaus große Herausforderung. Warum die Profis keine Pause haben? Die Nations League beginnt - und das bedeutet ein straffes Programm etwa für die deutschen Nationalspieler. Das Team von Bundestrainer Hansi Flick spielt in den kommenden Tagen erst gegen Italien, dann gegen England. Danach muss die Mannschaft nach Ungarn reisen um dann nur drei Tage später in Dortmund erneut den Italienern gegenüberzustehen. Zeit für Regeneration bleibt kaum - ein Problem, das allerdings nicht nur die deutsche Elf betrifft.
Bundestrainer Hansi Flick wird deshalb wohl auf ein Rotationssystem setzen, um seinen Spielern zumindest kleine Pausen zu ermöglichen. Dennoch, der mentale und physische Druck der auf den Spielern lastet, ist enorm. Laut einer neuen Studie vom Internationalen Verband der Profifußballer FIFPRO haben 54 Prozent aller Spieler angegeben bereits eine Verletzung als unmittelbare Folge von Überlastung davongetragen zu haben. 82 Prozent aller Profi-Trainer sind der Meinung, dass sich der Spielplan negativ auf die Psyche der Spieler auswirkt.
"Es ist enorm wichtig, Regularien einzuführen, die die Spieler vor einer Überlastung schützen," sagt FIFPRO-Generalsekretär Jonas Baer-Hoffmann der DW. "Die Menge der Spiele heutzutage ist eine enorme Belastung für das psychische und physische Wohlbefinden der Nationalspieler, die sich auch auf die Leistung auf dem Spielfeld bemerkbar macht. Es müssen verpflichtende Mechanismen eingeführt werden, um den Druck auf die Spieler zu verringern."
De Bruyne: "Kein Mitspracherecht"
Auch die anstehende WM in Katar, die im November und Dezember stattfinden wird - also während der Zeit, in der die europäischen Ligen ausgespielt werden - verschärft dies die angespannte Lage zusätzlich. Die jeweiligen Verbände unterbrechen dafür ihre Ligen. Ohnehin gibt es bereits sehr viele Partien: Das jüngste Champions-League-Finale zwischen Liverpool und Real Madrid war für Mohamed Salah und Sadio Mane von den "Reds" bereits das 70. Saisonspiel.
Die eigentlich festgelegten Ruhezeiten für Spieler werden schon lange nicht mehr eingehalten. Aus dem Bericht der FIFPRO geht hervor, dass über die Hälfte der 1055 befragten Profis angaben, das als Problem zu empfinden. Sogar 87 Prozent der Spieler sind der Meinung, dass es weniger eng getacktete Spiele geben müsste. Also solche Zyklen, bei denen die Regenerationszeit zwischen zwei Partien weniger als fünf Tage beträgt. Weiterhin glauben nur 22 Prozent der Profis, dass ihre Sorgen auch wirklich wahr-und ernstgenommen werden.
"Die Nations League ist unwichtig für mich," sagt Kevin De Bruyne. "Als Spieler können wir zwar über Urlaub und Erholung sprechen, aber letztendlich haben wir kein Mitspracherecht. Wir folgen dem Spielplan und tun, was wir tun müssen. Das wars", sagt der Profi von Manchester City und der belgischen Nationalmannschaft. "Wir haben alle zwölf Monate etwas mehr als drei Wochen Urlaub. Als Außenstehender kann man nicht nachvollziehen, wie man sich als Spieler nach einer Saison fühlt."
De Bruyne ist nicht der einzige Spieler, dem die Regenrationspausen zu gering sind. Der FIFPRO-Bericht enthält einen offenen Brief, der unter anderem von Spielern wie Arturo Vidal und Leonardo Bonucci unterzeichnet wurden. Darin heißt es: "Wir sind Sportler und keine Maschinen. Unser Körper und Geist haben natürliche Grenzen. Wenn wir uns zu sehr anstrengen, ohne entsprechende Erholungsphasen zu haben, gehen wir kaputt. Angemessene Pausen zwischen den Spielzeiten sind unerlässlich. Mit der Aufblähung des internationalen Spielkalenders und der Vervielfachung der Wettbewerbe verbringen die Spieler mehr Zeit als je zuvor auf Reisen - oft über mehrere Zeitzonen hinweg. Das muss so nicht sein."
Anstrengende Reisen
Laut der Studie stellt das häufige Reisen generell eine unterschätzte Gefahr für die Spieler dar. Manche Profis, besonders aus dem südamerikanischen und afrikanischen Raum, sind oft viele tausend Kilometer im Flugzeug unterwegs. "Es ist nicht so luxuriös, wie es erscheint," sagt Senegals Saliou Ciss, der in der französischen Ligue 1 für die AS Nancy spielt.
"Die Öffentlichkeit hat oft ein verzerrtes Bild davon, wie das Leben der großen Mehrheit der Nationalspieler im Ausland aussieht. Wir haben alle den Wunsch, die Interessen unserer Vereine mit denen unserer jeweiligen Verbände in Einklang zu bringen", sagt Ciss. "Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass diese Reisen, die oft nicht unter besten Bedingungen stattfinden, ermüdend sind. Und wenn dann noch der immer anspruchsvollere Spielplan dazu kommt, kann das manchmal sogar die Moral der Mutigsten unter uns schwächen."
Nicht nachhaltig
Eine mögliche Lösung des Problems könnte sein, in Zukunft längere, dafür aber weniger Länderspielpausen im Kalender anzusetzen. Die Idee wurde erstmals von der Fifa vorgeschlagen und wird bereits diskutiert. Aber bis eine Lösung gefunden ist, liegt die Belastungssteuerung jedes Einzelnen im Ermessen des Spielers selbst, des Trainers und des medizinischen Personals. Eines ist für FIFPRO-Generalsekretär Baer-Hoffmann jedoch klar: "So kann es nicht weitergehen. Der Weg, auf dem wir uns im Moment befinden, ist nicht nachhaltig und nicht nachvollziehbar. Das Modell setzt auf die Spieler als Hauptdarsteller, verweigert ihnen jedoch die angemessene Ruhe und Erholung. Eine Reform ist dringend notwendig. Und die Arbeit beginnt hier, indem wir auf die Spieler hören, die ihren Körper besser kennen als jeder andere."
Aus dem Englischen adaptiert von Mathias Brück