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Verliert Russland seinen Verbündeten Aserbaidschan?

Juri Rescheto | Alexey Strelnikov
3. Juli 2025

Nach umstrittenen Verhaftungen in Russland und Aserbaidschan kühlen sich die Beziehungen beider Länder ab. Russlands Einfluss im Kaukasus könnte weiter schwinden.

Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Aliyev sitzen beim Essen zusammen
Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Aliyev im August 2024Bild: Mikhail Tereshchenko/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa/picture alliance

Eine Razzia löst eine diplomatische Krise aus: Der Streit zwischen Russland und Aserbaidschan eskaliert in nur wenigen Tagen und belastet die ohnehin angespannten Beziehungen stark. Es beginnt Ende Juni mit einer umstrittenen Polizeiaktion im russischen Jekaterinburg. Mehrere Männer aserbaidschanischer Herkunft werden im Rahmen der Untersuchungen von Kriminalfällen aus den vergangenen Jahren verhaftet. Ihnen werden Attentate und Mordfälle vorgeworfen. Russische Spezialkräfte gehen dabei offenbar nicht gerade zimperlich vor. Zwei der Verhafteten sterben mutmaßlich infolge der umstrittenen Polizeiaktion.

Baku reagiert prompt und scharf. Das aserbaidschanische Außenministerium drückt "entschiedenen Protest" gegen die "inakzeptable Gewalt" der russischen Sicherheitskräfte aus. Aus Protest werden alle Kulturveranstaltungen mit Russlandbezug abgesagt. Im Staatsfernsehen prangert der Moderator zur besten Sendezeit das "imperiale Gehabe" Moskaus gegenüber den Staaten der ehemaligen Sowjetunion an. Im Büro der staatlichen russischen Medien-Agentur "Sputnik Aserbaidschan" nehmen aserbaidschanische Behörden zwei russische Mitarbeiter fest. Medien zufolge handele es sich um Mitarbeiter des russischen Geheimdiensts FSB.

Moskau wiegelt ab, Baku legt nach

Der Kreml reagiert zurückhaltend. Sprecher Dmitri Peskow bedauert die Entscheidung Bakus und betont, die Situation in Jekaterinburg könne "kein Grund für eine solche Reaktion sein". Das Moskauer Außenministerium weist darauf hin, dass es sich bei den Toten und Inhaftierten zwar um ethnische Aseris gehe, dass sie aber russische Pässe hätten.

Einen Tag später legen aserbaidschanische Justizbehörden nach und verhaften in Baku weitere russische Staatsbürger. Vorwurf: Drogenschmuggel und organisierte Kriminalität. Fotos aus dem Gerichtssaal zeigen, dass einige der Verhafteten Spuren von Gewalt aufweisen. In den sozialen Medien werden die Männer als Programmierer und Touristen aus Jekaterinburg identifiziert.

Die Spirale der gegenseitigen Beschuldigungen dreht sich weiter und schneller. Noch mehr Aserbaidschaner werden in Russland verhaftet: In Jekaterinburg und Woronesch. Das Ganze sei eine neue Belastungsprobe für die Beziehungen beider Länder seit dem Absturz eines aserbaidschanischen Flugzeugs Ende 2024, betonen die von der DW befragten Experten.

Wendepunkt Flugzeug-Katastrophe

Am 25. Dezember 2024 wurde eine aserbaidschanische Maschine mit fünf Besatzungsmitgliedern und 62 Passagieren an Bord von einer russischen Boden-Luft-Rakete getroffen. Die Tragödie ereignete sich über Grosny, wo zu diesem Zeitpunkt die russische Luftabwehr im Einsatz war. Die Maschine versuchte notzulanden und stürzte nahe der kasachischen Stadt Aktau ab. 38 Menschen kamen ums Leben.

Beisetzung von Crewmitgliedern nach dem Absturz des Azerbaijan Airlines-Flugzeugs im Dezember 2024Bild: Resul Rehimov/Anadolu/picture alliance

Der aserbaidschanische Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Arif Junusow ist der Meinung, dass die scharfe mediale Rhetorik, die seitdem in beiden Ländern herrsche, kein Zufall sei. Er ist überzeugt, dass die Informationspolitik sowohl in Russland als auch in Aserbaidschan von staatlichen Behörden koordiniert werde und dass die bilateralen Beziehungen weitgehend von den persönlichen Gefühlen der jeweiligen Staatschefs beeinflusst werde.

Aliyevs Ärger über Putin

Für den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev habe der Flugzeugabsturz eine persönliche Dimension gehabt, stellt Junusow fest. Zum Zeitpunkt des Vorfalls habe sich auch eine Präsidentenmaschine im Himmel über Russland befunden. Auch sie hätte theoretisch zum Ziel von russischen Luftabwehrraketen werden können. Auch habe sich als erster offizieller Vertreter Tschetschiens Machthaber Ramsan Kadyrow und nicht Russlands Präsident Wladimir Putinfür den Vorfall bei den Aserbaidschanern entschuldigt. Das habe für Irritationen in Baku bei Präsident Ilham Aliyev persönlich gesorgt. "Aliyev nannte Kadyrow zwar nicht beim Namen, kritisierte aber scharf, dass es nicht andere seien, die ihn anrufen sollten", so der Politologe. Hätte Kremlchef Putin zuerst bei Aliyev angerufen, hätte die öffentliche Konfrontation vermieden werden können.

Ramsan Kadyrow (r.) mit Putin (Archivbild von 2023)Bild: The Kremlin Moscow/SvenSimon/picture alliance

Der unabhängige Kaukasus-Experte Kirill Kriwoschejew ist der gleichen Meinung. Der DW sagt er: "Putin hat sich bei Aliyev nur formell entschuldigt, und es war offensichtlich, dass Aliyev damit kaum zufrieden war." Der Wissenschaftler betont jedoch, dass die jüngsten Ereignisse in Jekaterinburg kaum vom Kreml initiiert worden seien. Russische Strafverfolger hätten ihre eigene Logik: "Sie betrachten jede Diaspora, einschließlich der aserbaidschanischen Community, als organisierte kriminelle Gruppe. Das ist ein Trend, der in Teilen der russischen Elite verbreitet ist." Die diplomatische Krise als Folge sei dabei eher ein Kollateralschaden.

Kriwoschejew zufolge nutze das offizielle Baku die Verschärfung der Lage, um seine Position auf der internationalen Bühne zu stärken: "Für Aliyev ist es wichtig, als souveräner Führer aufzutreten, der in der Lage ist, sowohl zu Russland als auch zum Westen Nein zu sagen".

Selbstbewusst gegenüber Moskau

Baku habe aufgehört, Moskau als eine externe Kraft wahrzunehmen, die in der Lage sei, die Regeln im Kaukasus zu diktieren, meint auch der aserbaidschanische Politikwissenschaftler und Parlamentsabgeordnete Rasim Musabekow im Gespräch mit der DW. Aserbaidschan habe begonnen, seine eigene Energie- und Militärinfrastruktur zu entwickeln. Das wiederum habe den Kreml irritiert. Russlands mediale Rhetorik gegenüber Aserbaidschan habe sich deutlich verschärft. Moskau versuche jetzt, den Einflussverlust in der Region zu kompensieren, indem es Druck auf die aserbaidschanische Diaspora ausübe.

Das könnte nicht nur diplomatische, sondern auch wirtschaftliche Folgen haben, zum Beispiel im Energiebereich. "Wir sollten nicht vergessen, dass es Sanktionen gegen Russland gibt. Aserbaidschan hat aber an einigen Stellen Moskau geholfen, diese zu umgehen. Das Europäische Parlament hat eine Kommission eingesetzt, die zum Beispiel untersuchen soll, wessen Gas nach Europa verkauft wird - aserbaidschanisches oder vielleicht doch russisches," bemerkt Junusow. Wenn sich die Beziehungen zwischen Moskau und Baku weiter verschlechtern würden, sei auch dieser vermeintliche Deal zwischen den beiden Ländern in Gefahr.

Auch andere bilaterale Projekte seien gefährdet, fügt der Abgeordnete Musabekow hinzu: die Entwicklung des internationalen Verkehrskorridors "Nord-Süd" durch Aserbaidschan sowie das Projekt zur Synchronisierung der russischen und iranischen Stromnetze. Schwierigkeiten bei der Durchleitung von russischem Gas in den Iran seien nicht auszuschließen, warnt er.

Dennoch seien wirtschaftliche Interessen für Aserbaidschan nach wie vor wichtig, resümiert Politikwissenschaftler Kriwoshejev. "Aserbaidschans Wirtschaft würde sich am liebsten aus der Politik heraushalten. Doch während Baku noch Handlungsspielraum hat, verfügt Moskau über immer weniger Druckmittel." Russland verliere im Südkaukasus an Einfluss.

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