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Kunst

Verneigung vor einem Genie

20. März 2017

Wer kennt diese Werke nicht: Der Kuss, der Denker, das Höllentor. Frankreich startet ins Rodin-Jubiläumsjahr und zeigt mit zwei Ausstellungen in Paris, welche Wirkung der Bildhauer auf andere Künstler hatte.

Kroatien Ausstellung Auguste Rodin, Werk Der Kuss
Bild: picture-alliance/Pixsell

Markus Lüpertz verehrt ihn schon seit Jugendzeiten. Auguste Rodins Skulptur "Der Schreitende" habe ihn, noch bevor er Künstler wurde, im Alter von 16 oder 17 Jahren, so sehr beeindruckt, dass er sie nie wieder vergessen habe. Das ist auf einem Wandtext in der Ausstellung im Grand Palais zu lesen.

So wie dem deutschen Bildhauer erging es vielen Künstlern bei einer ersten Begegnung mit der Welt von Auguste Rodin. Ob Begeisterung oder Ablehnung - seine Kunst setzt sich im Gedächtnis fest. Die Melancholie, die Unvollkommenheit, die Weltabgewandtheit, aber auch die erotische Wirkung von Rodins Skulpturen und Zeichnungen schrauben sich ins Bewusstsein. Wie Rodins Werk in Markus Lüpertz Kunst nachklingt? In einem Saal gegen Ende des Ausstellungsparcours steht "Der Morgen oder Hölderlin", entstanden im Jahr 2011: Der Kopf ist hinter einer Maske versteckt, die Gliedmaßen sind klobig, die Beine sind zum Schritt gespreizt. Die Nähe zu Rodins Skulptur "Der Schreitende" von 1877 ist deutlich erkennbar.

Vorbild bis heute: Auguste RodinBild: picture-alliance/dpa

1917 verstarb Rodin in Meudon

Die Ausstellung im Grand Palais ist keine klassische Retrospektive zu Rodins hundertstem Todestag am 17. November. Warum auch? Das Werk des 1840 in Paris geborenen und 1917 in Meudon gestorbenen Künstlers ist ganzjährig im Musée Rodin auf dem linken Ufer der Seine, nur zwei Metrostationen entfernt, zu besichtigen. Die Kuratoren fragen: Was ist mit Rodins Werk passiert, wie kam es bei Zeitgenossen, beim Publikum, bei Sammlern an und wie lebendig ist es heute noch, 100 Jahre nach seinem Tod?

Rodin sei kein typischer Avantgardist gewesen, sondern ein Künstler, der anderen den Weg bereitet habe, sagt die Direktorin des Musée Rodin und Kuratorin der Ausstellung im Grand Palais in Paris, Catherine Chevillot. Seine Neuerungen wurden von vielen Künstlern erkannt und weitergesponnen.

Markus Lüpertz schuf 2013 seine Skulptur "Der Morgen oder Hölderlin 2011"Bild: DW/S. Oelze

Rodins eigener "Schreitender" befindet sich in einem Saal gegen Ende der Ausstellung. Die beeindruckend riesige Bronzefigur ist von Kunstwerken umgeben, die Bezug auf dieses Meisterwerk nehmen, oder direkt von ihm beeinflusst sind. "Der Schreitende" von Auguste Rodin zeigt den enthaupteten Johannes der Täufer, geschaffen im Stil der griechischen oder römischen Statue. Aber er ist verstümmelt: Rodin ließ Arme und Kopf weg. Vorlage war die "Venus von Milo".

Was war so neu an Rodin?

Sein Werk erzählt viel über die Krise, aber auch über die neuen Erfahrungen des modernen Menschen im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Der Torso, das Fragment als endgültige Werkgestalt, anatomisch unvollständige Figuren entwickelten sich zu Rodins Markenzeichen. Seinen Skulpturen fehlen Köpfe, Arme, Beine. Doch sie sind keine Studien, sondern fertige Werke. Hat er sich auch mit dem Zeitgeist, wie der aufkommenden Begeisterung für die Psychoanalyse von Sigmund Freud, auseinandergesetzt? Catherine Chevillot betont, dass Rodin ein einfacher Mensch gewesen sei, kein Intellektueller. Er habe nicht besonders viel gelesen. Sein großes Interesse galt der Erforschung von Form und Materie.

Welchen großen Einfluss seine Neugier und Experimentierfreudigkeit auf Zeitgenossen und nachfolgende Künstler hatte, breitet das Grand Palais in 14 Sälen auf zwei Etagen aus. In drei Kapitel gliedert sich die Ausstellung: der expressionistische Rodin, der schockierende Rodin, der experimentelle Rodin. Mit seinen ab- oder weggedrehten Körpern, Variationen und Wiederholungen, den Gipsabgüssen von Füßen, Köpfen, schreienden oder verzerrten Mündern, entwickelte sich Rodin zu dem Künstler der Jahrhundertwende. Vielleicht war er zu seiner Zeit der radikalste Künstler.

Trennung von Camille Claudel war ein schlimmer Schlag

Von seiner langjährigen Geliebten Camille Claudel ist in der Ausstellung erstaunlicherweise nur ein Werk zu sehen. "Sie war eine große Bildhauerin, aber Rodin war das Genie", sagt die Kunsthistorikerin und Ko-Kuratorin Antoinette Le Normand-Romain und räumt zugleich alle Gerüchte aus dem Weg, Claudel könnte eine Urheberschaft an den Werken des Meisters beanspruchen. "Sie waren leidenschaftlich miteinander vereint. Claudel hat ihm bei seinen bekanntesten Werken unterstützt: dem Höllentor oder den Bürgern von Calais, aber mehr auch nicht", erklärt Chevillot. Claudel habe Hände, Köpfe, Füße modelliert. Beide hätten sehr unter der Trennung gelitten: "Rodin war zwei Jahre lang depressiv."

Etienne-Martin, Pied-Jambe (Fuß-Bein), 1990Bild: DW/S. Oelze

Die Weltausstellung von 1900 brachte den Wendepunkt in Rodins Karriere. Er verkaufte in einem eigenen Pavillon am Place de l'Alma in Paris 150 Werke. Wegen Rodin kamen Künstler und Sammler nach Paris. Rodin veräußerte Skulpturen im Wert von 200.000 Francs (ca. 30.500 Euro). Die jungen Modernen eiferten ihm nach und studierten sein Werk.

Unvollkommenheit erhob Rodin zum Stilprinzip

Die Rodin-Begeisterung verlief in Wellen. Am größten war sie um die Jahrhundertwende. Damals besuchten zahllose Kollegen sein Atelier. Rainer Maria Rilke, der zeitweise als Sekretär von Rodin arbeitete, schrieb 1903 eine hymnische Studie, in der er den Künstler idealisierte und zur Vaterfigur der Moderne hochstilisierte. Zwischen den beiden Weltkriegen geriet Rodin ins Abseits. Figuratives galt als altmodisch. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch setzte erneut eine intensive Auseinandersetzung und eine Wiederentdeckung des Figurativen in der Skulptur ein. Germaine Richier, Henry Moore, Per Kirkeby, Etienne-Martin schufen Torsi oder einzelne Installationen mit Füßen, Armen oder Köpfen, die sich an Rodin anlehnten.

Installation von Kiefer: Solche Abgüsse verwendete auch RodinBild: DW/S. Oelze

Auch bei Alberto Giacometti fand seine besondere Art, den Skulpturen Leben einzuhauchen, Nachhall: 1960 schuf der Schweizer Künstler seinen langbeinigen "Schreitenden" ("L'Homme qui marche").

Kiefer - Rodin: Dialog der Künstler im Musée Rodin

Dass das Interesse an Auguste Rodin bis heute anhält, belegt der Besuch des Musée Rodin, wo Anselm Kiefer derzeit seine Sicht auf die Modernität Rodins darlegt. Der in Südfrankreich lebende Kiefer hat erstmals 2013 Rodins Atelier in Meudon besucht und dort auch von der Existenz des Buchs "Die Kathedralen von Frankreich" erfahren. Rodin schrieb und illustrierte es 1914. Es zeigt seine Faszination für die Größe und Sinnlichkeit der Architektur. Anselm Kiefer befasste sich auf Wunsch des Musée Rodin mit der wenig bekannten Schrift und schuf ein eigenes Künstlerbuch, das schon durch seine Materialität etwas Architekturales besitzt.

Die beiden Künstler trennt mehr, als es Verbindungen gäbe. Doch beide stellen eine Beziehung von Tradition und Moderne her. Sie experimentieren mit dem Material und suchen nach einer neuen Sprache des Volumens und der Oberflächen. Auch hundert Jahre nach dem Tod von Auguste Rodin verneigen sich Künstler vor dem weltbekannten Bildhauer Rodin.

Die Ausstellung "Rodin. L'exposition du centenaire" im Grand Palais dauert vom 22. März bis zum 31. Juli 2017. "Kiefer-Rodin" im Musée Rodin kann noch bis 22. Oktober 2017 besucht werden.

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