Kritiker sehen Demokratie in Ungarn gefährdet
27. Dezember 2010Am 1. Januar 2011 übernimmt Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft für sechs Monate - und zeitgleich tritt ein höchst umstrittenes Mediengesetz in Kraft. Die rechtsnationale Regierungspartei FIDESZ brachte das Gesetz mit ihrer Zweidrittelmehrheit in der Nacht zum Dienstag (21.12.2010) durchs Parlament. Aufgebracht und empört darüber demonstrierten etwa 1500 Menschen in Budapest gegen das Gesetz. Sie sehen die Pressefreiheit und den Rechtsstaat bedroht.
Willkürliche Medienkontrolle und Zensur
Mit dem Gesetz darf die im Juli gegründete Nationale Medien- und Nachrichtenbehörde (NMHH) auch private Fernseh- und Rundfunksender sowie Zeitungen und Internetportale künftig kontrollieren. Die NMHH entscheidet bereits über Budgets und Personal der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender sowie über die staatliche Nachrichtenagentur MIT und versucht so, die Berichterstattung zentral zu steuern. Durch die umfangreichen neuen Machtbefugnisse der Medienbehörde, die ausschließlich mit regierungstreuen Mitgliedern besetzt wurde, können unliebsame Kritiker und Sendungen sanktioniert werden. Jetzt kommt mit dem verabschiedeten Mediengesetz auch die Kontrolle der privaten Medien hinzu.
Zensur mit Bußgeld
Ab dem 1. Januar 2011 kann nun die Aufsichtsbehörde NMHH Redaktionen vorübergehend schließen und drakonische Strafen verhängen: bei Print- und Onlinemedien umgerechnet bis zu 90.000 Euro, bei Radio- und TV-Sendern bis zu 700.000 Euro. Und auch den Geschäftsführern der Medien drohen Bußgelder von bis zu 7000 Euro. Wann ein Verstoß gegen das "allgemeine Interesse und die Sitten" vorliegt, das entscheiden die Kontrolleure zukünftig nach eigener Interpretation. Auch wenn gegen verhängte Bußgelder ein Klagerecht eingeräumt wird, gezahlt werden muss zukünftig sofort. Und da Prozesse oft Jahre dauern, gefährden die Bußgelder damit auch die Existenz von Journalisten und Medien.
Vernichtende Kritik an Mediengesetzen
International wird das neue Mediengesetz heftig kritisiert. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sieht in dem Paragrafenwerk eine Bedrohung für die Presse- und Meinungsfreiheit. Diese Regulierung führe zu Selbstzensur und sei eine "Gesetzeslage wie sie sonst nur unter autoritären Regimen zu finden ist", erklärte die Medienbeauftragte der OSZE, Dunja Mijatovic.
Der ungarischstämmige Publizist Paul Lendvai, Chefredakteur der in Wien erscheinenden "Europäischen Rundschau", bezeichnet das neue Mediengesetz als "Rückschlag für die Demokratie mit noch nicht abschätzbarer Tragweite". Auch einer der Vorgänger Viktor Orbans im Amt des Ministerpräsidenten, Ferenc Gyurcsány, reagierte empört: "Wir haben uns nicht vorstellen können, dass so eine Situation eintritt."
EU-Reaktionen: Schweigen und Kritik über zukünftigen EU-Ratspräsidenten
Am 1. Januar übernimmt Ungarn turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft. Heftige Kritik kommt vor allem aus dem Europaparlament und aus Luxemburg. Man werde Ungarn sehr genau an den europäischen Standards zur Pressefreiheit messen, sagte der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Martin Schulz, der "Frankfurter Rundschau". Sollten diese nicht erfüllt werden, werde Budapest große Probleme bekommen.
Noch deutlicher äußerte sich der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. Das Gesetz verstoße gegen Geist und die Worte der EU-Verträge, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Es stelle sich die Frage, ob ein solches Land würdig sei, die EU zu führen. Asselborn forderte die EU-Kommission auf gegen die Mediengesetze unverzüglich vorzugehen. Wenn Ungarn mit diesem Gesetz den EU-Ratsvorsitz übernehme, müsse man wirklich von Doppelstandards der Europäer sprechen. Denn die Europäische Union sehe sich bisher zu Recht als weltweite Speerspitze im Kampf für Meinungs- und Pressefreiheit.
Autor: Gero Rueter
Redaktion: Nicole Scherschun