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Verpufft die Mehrwertsteuersenkung?

7. Juli 2020

Erst in Monaten wird sich zeigen, ob die vorübergehende Mehrwertsteuersenkung die Kauflust der Menschen angekurbelt hat. Nicht nur Ökonomen zweifeln an ihrer Wirkung. Eine aktuelle Umfrage zeigt in die gleiche Richtung.

Deutschland Köln Schaufensterpuppen im Schlussverkauf
Bild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/C. Hardt

Es ist eines der Kernstücke des 130-Milliarden-Euro schweren Konjunkturpakets der Bundesregierung. Um die Menschen in Kauflaune zu bringen, wird von Juli bis Dezember 2020 die reguläre Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent und die ermäßigte Mehrwertsteuer von 7 auf 5 Prozent gesenkt. Ob die geschätzten 20 Milliarden Euro, die dadurch dem Fiskus an Steuern entgehen, gut angelegt sind - darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander.

Der Ökonom Gabriel Felbermayr hat seine Zweifel, dass die gestrichenen Mehrwertsteuer-Prozente tatsächlich viel bringen. "Die Senkung der Mehrwertsteuer kommt unerwartet und beruht auf der problematischen Annahme, dass es in Deutschland für die Erholungsphase an Massenkaufkraft mangele. Wird der Preisvorteil nicht an die Konsumenten weitergegeben, stützt das zwar auch die Unternehmen. Allerdings ist nicht gewährleistet, dass es gerade diejenigen sind, die unter der Corona-Pandemie am stärksten gelitten haben", kritisiert der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW).

Nur 11 Prozent der Befragten lassen sich von der reduzierten Mehrwertsteuer locken

Auch der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger kann sich nur wenig für die Maßnahme der Bundesregierung begeistern. "Ich hätte dieses Instrument gezielter eingesetzt und die Bereiche entlastet, die besonders hart getroffen wurden", hatte Bofinger gegenüber der Tageszeitung "Mannheimer Morgen" kritisiert. Die Supermärkte und Online-Händler seien ja ohnehin schon die "Gewinner" der Krise. "Muss ich die alle zusätzlich belohnen? Da habe ich große Zweifel."

Aktuelle Daten sind ernüchternd

Jetzt deutet eine aktuelle Studie in die gleiche Richtung. Das Ergebnis einer gemeinsamen Umfrage des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung Safe an der Frankfurter Goethe-Universität und des Marktforschungsunternehmens Nielsen fällt ernüchternd aus.

Danach planen 89 Prozent der rund 7500 im Juni 2020 befragten Haushalte keine größeren Anschaffungen, weil die Mehrwertsteuer gesenkt worden ist. Nur sieben Prozent wollen ihre geplanten Käufe vorziehen und lediglich vier Prozent planten wegen der Senkung der Mehrwertsteuer zusätzliche Ausgaben. In der Umfrage ging es um Käufe im Wert von mehr als 250 Euro, nach geplanten Autokäufen wurde nicht gefragt.

"Wir sehen, dass die jüngste Mehrsteuersenkung als Bestandteil des großen Konjunkturpakets der Bundesregierung in ihrer Wirkung bei den allermeisten Haushalten verpufft", kommentiert Roman Inderst, Ökonom an der Goethe-Universität, das Resultat der Umfrage.

Kein Wunder, dass die Frankfurter Finanzforscher die konjunkturelle Wirkung der Mehrwertsteuer-Absenkung äußerst skeptisch beurteilen: Beim alltäglichen Konsum fällt nach ihren Berechnungen die durchschnittliche Ersparnis mit sechs Euro im Monat pro Haushalt denkbar gering aus.

Kommt auch ohne Kaufanreize aus: Der boomende Fahrradhandel (Symbolbild)Bild: Getty Images/P. L. Segretain

Mehrheit der Haushalte ohne Kaufkraftverlust

Die Corona-Krise hat den Umfragen zufolge bisher nur eine Minderheit der Haushalte in Deutschland finanziell getroffen. Die große Mehrheit der Menschen fühlt sich sicher, fürchtet weder um das aktuelle Einkommen noch um den Job, fanden die Ökonomen des Frankfurter Leibniz-Instituts zusammen mit den Marktforschern von Nielsen heraus.

Seit Monaten werden regelmäßig rund 7500 Haushalte zu den Folgen der Coronakrise befragt. Und immer wieder gab nur eine Minderheit von rund 18 Prozent an, dass sich ihr Einkommen in der Krise verringert habe. 81 Prozent sehen keine Einbußen und rund 90 Prozent erwarten in den kommenden Monaten zumindest keine Verschlechterung mehr. Überproportional getroffen bleiben aber Selbstständige.

Den Antworten zufolge ist es in Deutschland noch nicht zu einer großen Kündigungswelle gekommen. Aber gerade unter den Millionen von Kurzarbeitern steigt die Sorge, den Job innerhalb der nächsten drei Monate zu verlieren. Diese Befürchtung haben mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" in dieser Gruppe 17 Prozent, fast dreimal so viele wie bei der Gesamtheit der abhängig Beschäftigten.

Sechs Euro Ersparnis pro Monat

Auch wenn die Mehrheit der deutschen Haushalte bisher keine großen Einbußen durch die Folgen der Corona-Pandemie hinnehmen muss, sind die Folgen für andere dramatisch. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Bank ING ergab, dass fast jeder fünfte der Befragten schon die Reserven angegriffen hat. 14 Prozent erklärten, mit Miete oder Baufinanzierung in Verzug geraten zu sein. Auf größere Anschaffungen wollten 43 Prozent erst einmal verzichten. Vor allem für Restaurantbesuche und Urlaub geben die Menschen in Deutschland in der Coronakrise deutlich weniger Geld aus.

 

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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