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Verrückt nach "Made in Japan"

Martin Fritz (aus Tokio)28. Dezember 2015

Ungeachtet der politischen Eiszeit zwischen Tokio und Peking reisen immer mehr Chinesen nach Japan. Dort kaufen sie so extrem viel ein, dass es inzwischen dafür ein eigenes japanisches Wort gibt.

Chinesische Touristen in Tokyo (Foto: AFP)
Bild: Getty Images/AFP/T.Kitamura

Auf der Chuo-Straße im Tokioter Einkaufsviertel Ginza ist Parken eigentlich verboten. Dennoch stehen hier jeden Tag bis zu ein Dutzend Reisebusse für chinesische Touristen und verursachen regelmäßig ein kleines Verkehrschaos. Die Fahrer warten darauf, dass die Chinesen von ihrem Großeinkauf in den nahe gelegenen Luxus-Kaufhäusern und Duty-Free-Geschäften zurückkehren und schwer bepackt mit Kartons und Einkaufstüten wieder in ihre Busse steigen.

Ein Grund für das Chaos ist, dass die Touristen länger einkaufen als verabredet und den Zeitplan der Bustouren durcheinanderbringen. "Bakugai", explosives Kaufen, haben die Japaner das Phänomen der Touristen aus China getauft, die wie Heuschrecken in japanische Kaufhäuser, Elektronikläden und Drogerien einfallen und in rauen Mengen einkaufen. Der Begriff "bakugai" wurde jetzt sogar zum "Wort des Jahres" gekürt, so sehr war er 2015 in aller Munde in Japan.

4,6 Mio. Chinesen machten Shopping-Tour in Japan in den elf Monaten 2015Bild: He Juan

"Explosives Kaufen"

Das Verkehrschaos in Ginza ist die unbeabsichtigte Folge der staatlichen Förderung des Tourismus. Dafür hat die japanische Regierung die Bedingungen der Visavergabe vor allem für Besucher aus Asien kräftig gelockert, um den Umsatz in Gastgewerbe und Einzelhandel anzukurbeln. Das ist so erfolgreich gelungen, dass die Zielmarke von 20 Millionen Touristen für 2020 - eine Verdoppelung gegenüber 2013 - bereits in diesem Jahr knapp erreicht wird. Denn die starke Abwertung der japanischen Währung seit dem Herbst 2012 macht den Aufenthalt in Japan günstig und das Einkaufen dort erschwinglich.

"Bakugai zeigt die hohe Qualität von japanischen Waren", prahlte Luo Yiwen, Präsident der japanischen Elektronikkette Laox. Deren chinesische Muttergesellschaft Suning Laox hatte als einer der ersten Einzelhändler den Tourismusboom vorausgesehen und frühzeitig in den Ausbau der Duty-Free-Abteilungen investiert. 1,5 Millionen Chinesen gingen in diesem Jahr in den 30 Laox-Geschäften in Japan einkaufen. Bis 2018 sollen 50 neue Filialen dazukommen. Denn der Höhepunkt ist noch nicht erreicht. Die japanische Regierung will ihr Besucherziel auf 30 Millionen anheben.

Chinesische Touristen im japanischen Apple-StoreBild: He Juan

Stärkste Besuchergruppe

Bisher stellen Chinesen das stärkste Kontingent der ausländischen Touristen in Japan. Von Januar bis Ende November kamen nach Angaben der Japan National Tourism Organization (JNTO) fast 18 Millionen Besucher nach Japan. Mehr als jeder Vierte davon reiste aus China an. Die Zahl von 4,6 Millionen Chinesen lag mehr als doppelt so hoch wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Zum Vergleich: 3,6 Millionen Besucher kamen aus Südkorea und 3,4 Millionen aus Taiwan.

Entsprechend laut klingelten die Kassen des japanischen Einzelhandels. Im dritten Quartal überstiegen die Ausgaben der ausländischen Touristen in Japan erstmals in einem 3-Monats-Zeitraum die Marke von 1 Billion Yen (7,6 Milliarden Euro). Im Schnitt gaben die Touristen 187.000 Yen (1.416 Euro) pro Kopf aus. Mit rund 40 Prozent der gesamten Ausgaben im zweiten Quartal war der Anteil der Chinesen überproportional hoch. Im dritten Quartal zwischen Juli und September ließen sie sich die Reise 281.000 Yen (2.127 Euro) pro Kopf kosten. Davon wurde die Hälfte für Einkäufe ausgegeben.

Kreuzfahrtschiffe in Fukuoka

Auch die Städte auf der China zugewandten Seite von Japan erleben einen regelrechten Ansturm von Kreuzfahrtschiffen aus dem Reich der Mitte. Das Ziel dieser Mega-Butterfahrten der Chinesen: So viele Waren "Made in Japan" einzukaufen, wie in eine Kabine passen. 2014 steuerten 91 Kreuzfahrtschiffe aus China die Hafenstadt Fukuoka auf der südlichen Hauptinsel Kyushu an. In diesem Jahr wird sich diese Zahl in etwa verdreifachen. Denn mit dem Schiff lässt sich mehr transportieren als mit dem Flugzeug, wo Übergepäck bezahlt werden muss.

Der Boom hat Fukuoka das am schnellsten wachsende Steueraufkommen aller Städte in Japan beschert. Der Andrang ist so groß und dauerhaft, dass Fukuoka Anfang Juli ein neues Terminal für die Cruiser in Betrieb nahm. Dadurch wurde die Abfertigungskapazität vervierfacht. Ein einzelnes Schiff kann bis zu 5.000 Chinesen an Bord haben. Sie werden mit Bussen vom Hafen zu den Elektronik-Kaufhäusern und den Einkaufsmeilen der Canal City in Fukuoka gefahren. Binnen weniger Stunden geben sie dort im Schnitt 90.000 Yen (682 Euro) aus.

Chinesische Touristen verlassen das KreuzfahrtschiffBild: picture-alliance/dpa

Begehrte Original-Markenware

Dabei konzentrieren sich die Besucher auf Waren "Made in Japan". Einmal wegen der hohen Qualität, zum zweiten weil es sich wegen der scharfen Kontrollen in Japan mit Sicherheit um Original-Markenware handelt. "In China sind vor allem billige Raubkopien im Umlauf", gesteht ein chinesischer Einkaufstourist. Als drittes Motiv zählt das gute Preis-Leistung-Verhältnis durch den günstigen Wechselkurs. Gefragt ist alles von hochwertigen Haushaltswaren wie Reiskochern, Saugrobotern und Luftreinigern über elektrische Zahnbürsten bis hin zu Drogerie-Waren wie Make-up, Kondomen und Magenmedizin.

Noch dramatischer ist der Ansturm in der Hafenstadt Sakaiminato in der Präfektur Tottori. Wenn ein Schiffsriese aus China kommt, werden in der beschaulichen Kleinstadt mehr Chinesen als Japaner gezählt. Dort stürzen sich die Besucher verstärkt auf Edelobst wie Nashi-Birnen und andere Delikatessen - natürlich ebenfalls alles "Made in Japan". Nur bei einem Produkt werden die hohen Erwartungen vieler Chinesen in Japan enttäuscht - wenn sie entdecken, dass die begehrten elektrisch heizbaren Toilettenbrillen eigentlich in China hergestellt sind.

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