Umstrittenes Anne-Frank-Buch erscheint in Deutschland
Christine Lehnen
17. Februar 2022
"Der Verrat an Anne Frank" soll auf Deutsch erscheinen. Der Verlag verspricht eine korrigierte und kommentierte Ausgabe. Ein Kritiker bezeichnet das Vorhaben als Geschichtsrevisionismus.
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Der Verleger von HarperCollins Deutschland, Jürgen Welte, begründet die Entscheidung damit, man wolle es "allen interessierten Leserinnen und Lesern [...] ermöglichen, sich eine eigene, unabhängige Meinung zum Buch und zu der damit verbundenen medialen Diskussion zu bilden." Man arbeite zurzeit an einer "korrigierten, ergänzten und kommentierten deutschsprachigen Ausgabe", so Welte in einem schriftlichen Statement, das der DW vorliegt.
Ursprünglich war die Veröffentlichung des umstrittenen Buchs "Der Verrat an Anne Frank" von Rosemary Sullivan in Deutschland für den 18.03.2022 geplant gewesen. Ein neues Erscheinungsdatum hat der Verlag bisher nicht kommuniziert. Im schriftlichen Statement Weltes heißt es weiter, man werde sich zu verbleibenden Fragen "bis zum noch nicht feststehenden Erscheinungstermin des Buches nicht äußern."
Yves Kugelmann, Herausgeber des jüdischen Wochenmagazins "Tachles", bleibt skeptisch: "HarperCollins Deutschland erfindet ein neues Buch-Genre: die kommentierte Ausgabe eines Buches mit Hunderten von Fehlern", kritisierte er schriftlich auf Nachfrage durch die DW. "In einer anständigen Welt würde ein solches Buch nicht erscheinen, weil es inhaltlich falsch ist und bei der Leserschaft Gerüchte kolportiert. So macht sich der Verlag zum Komplizen von jenen Revisionisten, die Geschichte umdeuten, Thesen über Fakten und Wissenschaft hinten anstellen.“
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Was steht in dem Buch?
Das Buch "Der Verrat an Anne Frank" ist in mehreren Sprachen bereits im Februar erschienen. Darin legt die Autorin Rosemary Sullivan die Ermittlungsarbeiten eines niederländisch-amerikanischen Teams um den ehemaligen FBI-Agenten Vince Pankoke dar.
Das Team hatte im Februar behauptet, herausgefunden zu haben, wer Anne Frank und ihre Familie im Zweiten Weltkrieg in Amsterdam an die Gestapo verraten hatte. Als Schuldiger wurde mit "85-prozentiger-Wahrscheinlichkeit" ein jüdischer Notar benannt. Die Unschuldsvermutung schien in diesem Fall nicht zu gelten. Das Buch, das der DW in seiner Ursprungsfassung vorlag, erinnerte an eine True-Crime-Geschichte, das Vorgehen der Ermittler erschien spekulativ und unseriös.
Zeugin des Holocaust: Wer war Anne Frank?
Weil ihnen als Juden unter den Nazis der Tod drohte, mussten sich Anne Frank und ihre Familie verstecken. Am 4. August 1944 wurde die 15-Jährige entdeckt und nach Auschwitz deportiert. Ihr Tagebuch ist heute weltberühmt.
Bild: Arno Burgi/ZB/picture alliance
Auf der Flucht vor den Nazis
1934 flüchtet Anne Frank mit ihrer Familie vor den Nationalsozialisten aus Deutschland in die Niederlande. Im Zweiten Weltkrieg müssen sie untertauchen, um den Nazis zu entkommen. Sie leben zwei Jahre lang versteckt in einem Hinterhaus in Amsterdam - bis sie verraten werden: Am 4. August 1944 werden Anne Frank und ihre Familie entdeckt, verhaftet und nach Auschwitz deportiert.
Bild: Cinema Publishers Collection/IMAGO
Familienbande
Anne Frank (vorne links) hatte eine dreieinhalb Jahre ältere Schwester namens Margot (hinten rechts). Ihr Vater Otto Frank machte dieses Foto am achten Geburtstag von Margot im Februar 1934. Anne war damals vier Jahre alt und die Familie bereits im Exil in den Niederlanden.
Bild: Otto Frank/AP Photo/picture alliance
Versteck in Amsterdam
Otto Frank, Annes Vater, konnte in Amsterdam die Niederlassung der Firma Opekta übernehmen. Als die Judenverfolgung einsetzte, richtete der Vater im Hinterhaus des Büros ein Versteck ein. Die vierköpfige Familie lebte dort von 1942 bis 1944, zusammen mit vier weiteren Verfolgten. Hier schrieb Anne Frank ihr weltberühmtes Tagebuch. Seit 1960 ist das Anne-Frank-Haus (Foto) ein Museum.
Bild: Daniel Kalker/picture alliance
Annes Versteck
Im Anne-Frank-Haus in Amsterdam können Besucher das Hinterhaus, in dem sich Anne mit ihrer Familie versteckte, besichtigen. Monatelang musste das junge Mädchen ihr enges Zimmer mit dem jüdischen Zahnarzt Fritz Pfeffer teilen, den sie in ihrem Tagebuch "Albert Dussel" nannte. Rechts ihr Schreibtisch, an dem sie fast jeden Tag schrieb.
Bild: H.Mund/DW
Tagebuch als beste Freundin
Von Anfang an schreibt Anne fast jeden Tag in ihr Tagebuch. Es wird für sie zu einer Art Freundin, der sie den Namen "Kitty" gibt. Das Leben, das Anne im Versteck führt, ist völlig anders als die sorglose Zeit davor: "Am besten gefällt mir noch, dass ich das, was ich denke und fühle, wenigstens aufschreiben kann, sonst würde ich komplett ersticken", ist dort zu lesen.
Bild: Ade Johnson/picture alliance/dpa
Tod in Bergen-Belsen
Anne Frank und ihre Schwester Margot werden am 30. Oktober 1944 aus Auschwitz nach Bergen-Belsen gebracht. In diesem Konzentrationslager kommen insgesamt mehr als 70.000 Menschen ums Leben. Nach der Befreiung des KZs werden die Opfer unter Aufsicht britischer Soldaten von Lastwagen zu den Massengräbern gebracht. Hier starben auch Anne und Margot Frank. Anne war erst 15 Jahre alt.
Bild: dpa/picture alliance
Annes und Margits Grabstein
In Bergen-Belsen steht auch der Grabstein von Anne. Das jüdische Mädchen aus Frankfurt am Main hatte sich ihr Leben anders vorgestellt: "Ich will nicht umsonst gelebt haben wie die meisten Menschen. Ich will den Menschen, die um mich herum leben und mich doch nicht kennen, Freude und Nutzen bringen. Ich will fortleben, auch nach meinem Tod" - so lautet ihr Tagebucheintrag vom 5. April 1944.
Bild: Julian Stratenschulte/picture alliance/dpa
Berühmt durch ein Tagebuch
Annes großer Traum war es, Journalistin oder Schriftstellerin zu werden. Dank ihres Vaters erscheint ihr Tagebuch am 25. Juni 1947. Der Titel: "Das Hinterhaus." Es folgen viele weitere Auflagen und Übersetzungen. Anne Frank wird zur Symbolfigur für die Opfer der Nazi-Diktatur. "Wir alle leben mit dem Ziel, glücklich zu werden, wir leben alle verschieden und doch gleich." (Anne Frank, 6. Juli 1944)
Bild: Arno Burgi/ZB/picture alliance
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Wie hat sich die Diskussion bisher entwickelt?
In den Niederlanden hatte das Buch deshalb für hitzige Diskussionen gesorgt. Historikerinnen und Historiker fanden zahlreiche sachliche Fehler. Auch jüdische Verbände kritisierten die Veröffentlichung des Buches scharf.
Daraufhin hatte sich der niederländische Verlag ambo anthos bereits für die Veröffentlichung entschuldigtund bekanntgegeben, keine zweite Auflage herausgeben zu wollen, bis das Ermittlerteam die aufgeworfenen Fragen beantwortet habe.
Anne Frank und ihre Familie wurden 1945 in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet. Einzig der Vater Otto überlebte und gab nach dem Krieg Annes Tagebuch heraus, das seitdem Millionen Leserinnen und Leser auf der ganzen Welt erreicht hat.