1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Gesellschaft

QAnon auf dem Vormarsch

Ines Eisele | Mirjam Benecke
25. September 2020

Eine geheime Elite - sagt der Verschwörungsmythos - entführt Kinder und will die Weltherrschaft an sich reißen. In den USA entstanden, breitet sich QAnon mittlerweile global aus, auch in Großbritannien und Deutschland.

Verschwörungsmythos QAnon |  Protest in München
Bild: Sachelle Babbar/ZUMA Wire/Imago Images

Auch bei den jüngsten Anti-Corona-Protesten in London sind sie wieder dabei gewesen, die Anhänger der QAnon-Verschwörungsmythen. Am vergangenen Samstag versammelten sich gut Tausend Menschen am Trafalgar Square, um gegen die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung des Coronavirus zu demonstrieren. Sie skandierten unter anderem "Wählt eure Seite" und hielten Plakate hoch, auf denen "Freiheit statt Angst" stand und "Stoppt den Kinderhandel".

"QAnon ist der Tofu der Online-Bewegungen"

Dieser letzte Slogan ist ein klares Indiz für QAnon. Denn laut der im Internet entstandenen Bewegung verschleppt und misshandelt eine internationale pädophile Elite Kinder, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen. Zu dieser Elite sollen etwa Hillary Clinton und der US-amerikanische Investor George Soros gehören, und sie versucht angeblich, unter anderem mit dieser Droge die Weltherrschaft an sich zu reißen. 
Dem Mythos zufolge führt sie eine Art Geheimregierung an, auch "Deep State" genannt, die hinter den Kulissen die Politik der USA und der ganzen Welt steuert. Auf der anderen, der "guten" Seite, stehe US-Präsident Donald Trump, der den Kampf gegen "Deep State" aufgenommen habe.

Für QAnon-Unterstützer ist Hillary Clinton die Böse, Donald Trump der GuteBild: Justin Lane/dpa/picture alliance

Soweit zu den zentralen Behauptungen der QAnon-Erzählung - die jedoch ständig weitergesponnen wird und sich auch mit anderen, oft antisemitischen Verschwörungsmythen überlappt. Jakob Guhl vom Londoner Institute of Strategic Dialogue (ISD) veranschaulicht: "QAnon ist der Tofu der Online-Bewegungen. Er kann verschiedene Geschmäcker annehmen - je nachdem, womit man ihn mischt.“

Schulterschluss mit Alt-Right, Reichsbürgern und Esoterikern

Das jüngste Beispiel sei die Verquickung von QAnon mit der Bewegung, die glaubt, dass die Corona-Maßnahmen übertrieben seien oder das Virus gar nur eine Erfindung, um die Bevölkerung mit Impfstoffen zu manipulieren. Dies wurde bei Protesten in verschiedenen Ländern gut sichtbar, wo sich neben Impfgegnern, Esoterikern und Rechten auch QAnon-Anhänger tummelten. Die weltweite Corona-Krise hat laut einer neuen Studie des ISD QAnon insgesamt einen kräftigen Schub verpasst. Von März bis Juni dieses Jahres gab es demnach auf Twitter, Facebook und Instagram so viele QAnon-bezogene Posts wie nie zuvor in einem vergleichbaren Zeitraum seit dem Aufkommen des Verschwörungsmythos im Jahr 2017. Dabei spielt die Erzählung zunehmend auch anderswo als im Ursprungsland USA eine Rolle. 

Briten teilen QAnon-Content am zweithäufigsten

Guhl erläutert: "Auch wenn die überwältigende Mehrheit der Inhalte immer noch in den USA geteilt wird, wächst die internationale Dimension. Jüngst war Großbritannien das Land, in dem QAnon Inhalte am zweitmeisten geteilt wurden, Hashtags am zweitmeisten benutzt werden." Danach folgten Kanada, Australien, und bereits an fünfter Stelle Deutschland - bemerkenswert, wie der Extremismusforscher findet, "denn QAnon ist doch sehr Amerika-fokussiert und zudem in englischer Sprache. Es gibt Spekulationen, dass diese im Vergleich zu anderen nicht-englischsprachigen Ländern große Verbreitung in Deutschland daran liegt, dass es hier bereits eine sehr gut ausgebildete Szene an Verschwörungserzählungen gibt und Bewegungen wie die Reichsbürger, an die QAnon gut andocken konnte." 

In der Corona-Pandemie hat QAnon zudem in Sänger Xavier Naidoo und Starkoch Attila Hildmann populäre Anhänger gefunden, die die kruden Thesen unter ihren Fans verbreiten. Guhl schätzt, dass "der harte Kern der Gläubigen" sich in Deutschland auf wenige Hunderttausend beläuft. Eine sicherlich deutlich größere Gruppe allerdings sei zumindest empfänglich für QAnon-Inhalte und habe schon von bestimmten Elementen gehört. 

Q, der angebliche Geheimdienstmitarbeiter

Im Oktober 2017 brachte ein anonymer Nutzer unter dem Namen Q die Verschwörungserzählung im Internetforum 4chan in Umlauf. Dabei sponn er den bereits im US-Wahlkampf 2016 entstandenen Mythos namens Pizzagate weiter, wonach in einer Pizzeria in Washington, D.C., ein Kinderpornoring agiere, in den Hillary Clinton verwickelt sei - diese jeglicher Fakten entbehrende Behauptung wurde übrigens auch kürzlich vom britischen Sänger Robbie Williams für glaubwürdig erklärt. 

Q behauptete seinerzeit, als Geheimdienstmitarbeiter über Insiderwissen zu verfügen und dass Clinton bald verhaftet werde. Zwar geschah das nicht, doch trotzdem fanden seine kryptischen Posts immer mehr Zuspruch. Seitdem haben sich Qs Thesen fast wie ein Selbstläufer immer weiter verbreitet - Foren, Gruppen, Posts und Videos finden sich auf Telegram, Facebook, Twitter, Instagram und Youtube. 

Das berauschende Gefühl, dabei zu sein

Die Narrative von QAnon docken jeweils an das an, was lokal relevant ist. QAnon funktioniere als "eine Art Meta-Verschwörungsmythos", der anderes in sich integriere, so Guhl. Das können dann in Deutschland die Ansichten der Reichsbürger sein oder in Großbritannien die von Brexit-Befürwortern. So tauchten etwa bei Protesten für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs auch QAnon-Anhänger auf, in Boris Johnson sehen manche von ihnen einen Verbündeten des angeblichen Weltretters Trump. 

Lektüre für Verschwörungsfans: "QAnon - An Invitation to the Great Awakening" ist bei Amazon ein Bestseller Bild: Future Image/Imago Images

Die Möglichkeit, QAnon selbst weiterzuentwickeln und vermeintliche Puzzleteile zusammenzusetzen, bezeichnet Internetexperte Sascha Lobo in seiner wöchentlichen Kolumne im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" als wichtigste Zutat für den Erfolg der "derzeit erfolgreichsten und bedrohlichsten Verschwörungsideologie im Netz". Er führt den sogenannten Ikea-Effekt ins Feld, das heißt, dass Menschen ein Möbelstück - beziehungsweise im Falle QAnons einen Mythos - für wertvoller und besser halten, wenn sie selbst daran mitgebaut haben. Egal, wie schief und krumm das Billy-Regal - oder der Mythos - am Ende dasteht.

Spott ist fehl am Platz

So abstrus und wahnhaft der QAnon-Mythos auch erscheinen mag - es handelt sich um weit mehr als nur ein harmloses Internetphänomen. Abgesehen von der Präsenz bei Anti-Corona- und Brexit-Protesten oder auch Kundgebungen gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder ist die Bewegung auch schon anderweitig ins analoge Leben geschwappt: Nachdem Unterstützer in den USA Gewalttaten geplant und durchgeführt hatten, erklärte das FBI QAnon 2019 zur potenziellen terroristischen Bedrohung.

QAnon-Unterstützer auf einer Demonstration gegen Kinderhandel in London Anfang SeptemberBild: Dave Rushen/ZUMA Wire/Imago Images

In Deutschland legte der Attentäter von Hanau vor seiner Tat in einem Pamphlet sein rassistisches und von Verschwörungserzählungen geprägtes Weltbild dar. Zwar bekennt er sich darin nicht namentlich zu QAnon, doch er berichtet unter anderem von einem weltweit agierenden Geheimdienst, der die Menschen fernsteuert. Der 42-Jährige erschoss im Februar in zwei Shisha-Cafés im hessischen Hanau neun Menschen, danach tötete er seine Mutter und sich selbst. 

QAnon-Anhänger - politische Würdenträger?

Nicht nur Radikalisierung und Gewalt sind eine Gefahr. Experte Guhl weist darauf hin, dass bei den anstehenden US-Wahlen im November mittlerweile QAnon-Unterstützer sowohl für die Republikaner als auch als unabhängige Kandidaten für den Kongress anträten: "Leute, die davon ausgehen, dass eine geheime Elite von Kinderschändern Präsident Trump stürzen will, werden dann möglicherweise gewählt und haben Einfluss auf die Gesetzgebung."

Facebook und Twitter sperrten im Sommer Tausende von Accounts von Unterstützern der Bewegung. In Deutschland forderte vergangene Woche der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, dass auch Messengerdienste die Verbreitung von QAnon stärker eindämmen.

Jakob Guhl findet diese Maßnahmen richtig, weist aber auf das grundsätzliche Problem der Algorithmen in den sozialen Netzwerken hin, die kontroverse Inhalte begünstigen. Zudem sei es wichtig, "die Medienkompetenz für Social Media und Falschinformationen zu stärken" - gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, die viele Leute zusätzlich verunsichert, allerdings keine leichte Aufgabe.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen