1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Verschwundene Bilder: Werner Tübke

29. September 2010

Ist ein Maler zwangsläufig ein Staatskünstler, wenn er Auftragswerke durchgeführt hat? Werner Tübke gilt als einer der wichtigsten Maler aus der DDR. Einige seiner Werke werden allerdings nur politisch bewertet.

Abbauarbeiten des Wandbildes von Werner Tübkes Arbeiterklasse und Intelligenz, 1973, Mischtechnik auf Holz, 12 Tafeln, insgesamt 270 x 1380 cm, Karl-Marx-Universität Leipzig, 2006, Universität Leipzig (Foto: Margret Hoppe)
Werner Tübke, Arbeiterklasse und Intelligenz, 1973, Mischtechnik auf Holz, 12 Tafeln, 270x1380 cm, Karl-Marx-Universität Leipzig, 2006, Universität Leipzig

Margret Hoppe steht hinter einer Großbildkamera, ihr dunkelbrauner Lockenkopf steckt unter einem schwarzen, lichtundurchlässigen Tuch. "Noch ein bisschen rein - so ist gut!" ruft sie im Gemäldedepot des Museums für Bildende Kunst Uwe Wagner zu. Der Magazinverwalter schiebt eine Bilderschiene wieder ein Stück zurück. Auf ihr sind Einzelteile des Wandbildes "Arbeiterklasse und Intelligenz" von Werner Tübke befestigt.

"Auf dem Gemälde ist wirklich eine Zweiteilung zu sehen, auf der einen Seite die Arbeiterschicht, auf der anderen Auszüge aus dem Universitätsleben", beschreibt Fotografin Hoppe das Bild. Im Depot kommen auf den Bilderschienen nur einzelne Figuren zum Vorschein, der Gesamteindruck des 14 Meter langen Wandgemäldes bleibt verborgen. "Tübke hat hier ganz konkrete Personen dargestellt, wie zum Beispiel den ehemaligen Rektor."

Margret Hoppe drückt auf den Auslöser ihrer analogen Großbildkamera und fotografiert den großen Depotraum. Drei Schienen mit den Einzelteilen von "Arbeiterklasse und Intelligenz" sind aufgefächert in den Gang geschoben. Schon über mehrere Jahre begleitet die 29-jährige Fotografin das Wandgemälde, hat es fotografiert, als es noch im Rektoratsgebäude der Universität Leipzig hing, dann bei der Abnahme 2006 im Folge von Umbauarbeiten, heute im Depot des Museums.

Der Partei den Pinsel geliehen? Tübke bei den Arbeiten am Wandbild im Rektoratsgebäude, 1973Bild: picture-alliance/ZB



Mit eigener Geschichte konfrontiert

"Ich find das Bild richtig spannend", sagt Magazinverwalter Uwe Wagner. "Es zeigt die Geschichte von Leipzig, mit allen Schwierigkeiten." Unter anderem ist hier auch Paul Fröhlich zu sehen, ehemals hochrangiger Parteifunktionär in der DDR, mitverantwortlich für den Abriss der Leipziger Universitätskirche St. Pauli. "Klar, es gibt noch Leute, die die Dargestellten noch persönlich kennen. Da kann ich verstehen, dass denen das weh tut, wenn man das sieht. Aber so ist das eben, wenn man mit der eigenen Geschichte konfrontiert wird, die an einer Stelle nicht so angenehm war."

Rudolf Hiller von Gaertringen, Kustos der Universität Leipzig, geht stärker mit dem Gemälde ins Gericht: "Das ist ein Propaganda-Bild, das die DDR bestellt hatte. Und wir legen großen Wert darauf, genau zu zeigen, was die Vorgaben der Partei waren. Die Bildsprache ist von Tübke ist zwar eine andere, als das, was die DDR-Nomenklatur da erwartet hat. Aber inhaltlich und ideologisch kann ich keine großen Divergenzen erkennen." Tübke habe "der Partei seinen Pinsel geliehen", so Hiller von Gaertringen weiter. "Das ist natürlich eine Sache, die heute für diejenigen, die noch größere Bestände besitzen, oder die ihn sammeln, eine unbequeme Botschaft, die man nicht so gerne sieht."

Selbstportrait, 1988Bild: VG Bild-Kunst-Bonn

"DDR-Propaganda-Bild"


Dennoch ist der Kustos dafür, dass das Gemälde wieder in der Universität aufgehängt wird. Doch der Termin verzögert sich vier Jahre nach der Einlagerung des Gemäldes immer wieder, zuletzt weil die klimatischen Bedingungen an der vorgesehenen Wand nicht optimal seien. Kaum ein Bild hat eine derartige Kontroverse in Leipzig ausgelöst wie Tübkes "Arbeiterklasse und Intelligenz".

So berichtete auch die Onlineausgabe der Tageszeitung "Die Welt" noch vor einem Jahr von einem "DDR-Propaganda-Bild". Über die Pläne der Universität, das Gemälde wieder aufzuhängen, war weiter zu lesen: "Während Leipzig 20 Jahre nach dem Mauerfall als Zentrum des Widerstands gefeiert wird, entwickelt es sich gleichzeitig zum Mekka für die Liebhaber typischer DDR-Kunst." In der Kommentarfunktion meldeten sich auch Leser zu Wort. Einer schrieb: "einfach Bild zerstören, fertig, einfach den ganzen PDS/SED Schrott komplett abfackeln". Ein anderer fügte hinzu: "alle DDR Kunst verbrennen - sofort".

Dass Tübkes Bilder besonders in den 50er und 60er Jahren auch massiv von den DDR-Kulturfunktionären abgelehnt wurden, bleibt in dieser öffentlichen Debatte unerwähnt. Ebenso sein kunstgeschichtliches Verdienst, das für Kunsthistoriker nicht von der Hand zu weisen ist. Annika Michalski schreibt beispielsweise gerade an ihrer Doktorarbeit über Tübkes Selbstportraits. "Was mich sehr an ihm immer fasziniert hat, ist diese Verschmelzung von kunstgeschichtlichen Ebenen. Bezüge der Antike und der Renaissance hat er zu einem ganz eigenen Stil verschmolzen", erklärt Michalski.

Abhängen - Aufhängen - Abhängen: Das Leipziger Museum holte das Gemälde 2009 kurz vorherBild: dpa

Sachliche, kunstwissenschaftliche Betrachtung


Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit arbeitet sie auch in der Tübke Stiftung. Im ehemaligen Atelier des Malers sind hier Bilder und Grafiken der verschiedenen Schaffensperioden Tübkes ausgestellt. So war er unter anderem auch Professor an der renommierten Leipziger Kunsthochschule, Geburtsstätte für einen ganzen Tross talentierter Maler. "Tübke hatte einen enormen Einfluss auf die Kunst, von der heute so viel gesprochen wird, auf Neo Rauch und auf die zweite und dritte Generation der sogenannten Leipziger Schule. Er ist eigentlich der Gründervater dieser Schule."

Werner Tübke (1929 - 2004)Bild: picture-alliance/ ZB

Die politische Diskussion um das Werk des Malers ermüdet Annika Michalski. "Wenn man heute fragt, ob Tübke Staatskünstler gewesen ist - darauf kann ich nur antworten, dass ich zu einer Generation gehöre, für die das keinen Begriff darstellt", sagt die junge Nachwuchswissenschaftlerin. "Wir befinden uns längst in einer Zeit, in der man die Werke wieder sachlich betrachten sollte und weniger als Symptome eines politischen Systems."

Die Kunstwissenschaftlerin Annika Michalski, 30 Jahre alt, und die Fotografin Margret Hoppe, 29 Jahre alt, stammen beide aus der Generation, welche die DDR als Kinder miterlebt hat. Die Idee zu Hoppes Fotoarbeit "Die Verschwundenen Bilder" liegt daher auch in ihrer Biografie. "Nach der Wende habe ich plötzlich gemerkt, wie die Spuren meiner Kindheit und auch die Bilder meiner Kindheit verschwunden sind."

14 dieser verschwundenen Bilder hat sie bisher festgehalten. Eigentlich ist auf diesen Fotos nicht viel zu sehen: leere Wände und bröckelnde Mauern oder Rückseiten von Gemälden in Depots. Doch gerade diese Leere der Fotos ist es, die die teilweise Verweigerung von deutsch-deutscher Erinnerungsarbeit so klar thematisiert.

Autorin: Nadine Wojcik
Redaktion: Manfred Götzke

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen