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Versinken die Halligen bald im Wattenmeer?

Tamsin Walker
14. Januar 2020

Rund fünf Kilometer vor der deutschen Nordseeküste liegen zehn kleine Inseln im Wattenmeer. Die Halligen sind durch den steigenden Meeresspiegel bedroht. Regelmäßige Überschwemmungen sollen ihr Fortbestehen sichern.

Luftbild Landunter Halligland
Bild: LKN-SH/Martin Stock

Stirbt der Wattwurm? – Das Wattenmeer im Klimawandel

06:02

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Aus der Ferne könnte man die nebeligen Hügel, die der blaugrauen Wasseroberfläche des deutschen Wattenmeeres entsteigen, für Schatten am Horizont halten. Aber aus nächster Nähe sind die Halligen sehr real. Diese zehn winzigen Flecken tief gelegenen Sumpflands inmitten der Nordsee haben sich immer wieder dem Zorn der Wellen und den Launen des Wetters widersetzt. Beide - Wellen und Wetter - können hier extrem sein.

Deiche zum Schutz vor dem Meer gibt es auf den Halligen kaum. Von hier aus nach Westen kommt nur noch die Nordsee und nach vielen Seemeilen dann irgendwann Großbritannien. Wann immer sich um die Halligen eine Sturmflut bildet, kann das Meer ungehindert eindringen und alles verschlingen. In Extremfällen ragen dann nur noch die Häuser der Menschen, die hier leben, aus dem Meer. Gebaut sind die Behausungen auf künstlich angelegten Erdhügeln - den sogenannten Warften. Das Phänomen ist als "Land unter" bekannt.

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Obwohl der Begriff "Land unter" bedrohlich klinge, sei es eine unglaubliche Erfahrung mit eigenen Augen zu sehen, wie die Nordsee die Halligen überflute, so Sandra Wendt. Sie ist auf Hooge aufgewachsen, der zweitgrößten der zehn Halligen. Wendt erzählt, dass Menschen extra nach Hallig Hooge kommen, um das Naturschauspiel selbst zu erleben. 

Das Meer holt sich das Land zwischen den von den Menschen erbauten Warften zurückBild: picture-alliance/dpa/Hitij

"Das ist wirklich toll, weil man einfach weiß, das Wasser kommt, läuft rüber und fließt wieder ab. Es verursacht keinen großen Schaden. Im Gegenteil", sagt sie, "es ist wichtig für die Halligen."

Land unter schafft Lebensräume

Seit Jahrhunderten lagern die Überschwemmungen, die auf den Halligen mit niedrigen Deichen durchschnittlich vier- bis fünfmal im Jahr und auf den Halligen ohne jeden Küstenschutz durchschnittlich vierzig bis fünfzig Mal im Jahr stattfinden, Sedimente ab. Dank dieser Sedimentablagerungen können die Halligen wachsen und mit dem natürlichen Schwanken des Meeresspiegels mithalten.

Typisch für die deutsche Nordseeküste sind hohe, grasgrüne Deiche. Sie wurden erbaut, um das Wasser fernzuhaltenBild: DW/D. Kaufmann

Und das ist nicht nur für das Leben auf den Halligen selbst wichtig, sondern auch für den Schutz der nordwestdeutschen Festlandküste. Die liegt größtenteils unter dem Meeresspiegel und ist extrem auf die hoch aufragenden, grünen Inseln im Meer angewiesen. Die Halligen funktionieren für das Festland wie ein Deich, sie schützen es vor Überflutungen.

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"Die Halligen und die anderen Inseln vor dem Festland bilden eine Art Barriere gegen die hohen Wellen", sagt Hans-Ulrich Rösner. Er leitet das Wattenmeerbüro der Naturschutzorganisation WWF.  "Weil es sie gibt, ist das Wasser vor den Hauptdeichen weniger tief. Deshalb müssen die Deiche etwas weniger stark sein, um den gleichen Schutz zu bieten."

Es besteht also ein großes Interesse am Fortbestehen der kleinen Halligen, von denen die mit Abstand größte - mit knapp zehn Quadratkilometern Fläche - Langeneß ist. Doch in Zeiten des Klimawandels könnte sich der Erhalt der Halligen als schwierig erweisen. 

Katja Just, Bürgermeisterin von Hallig Hooge, steht neben einem Mast, der anzeigt, wie hoch das Meer steigen kannBild: DW/Tamsin Walker

Auf Hooge gibt es ein Schleusentor, das die Hallig trocken halten soll. Außerdem wurde in den 1930er Jahren ein niedriger Deich gebaut, um die Zahl der Überflutungen in den Sommermonaten, wenn Kühe und Schafe auf dem salzigen Land grasen, zu reduzieren. Doch dadurch werden weniger Sedimente angespült. Und das bedeutet, dass die Hallig nicht mehr so wachsen kann wie früher. Weil die Meeresspiegel heute schneller steigen, ist das problematisch.

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"Wir brauchen Land unter, damit das Land wächst und jetzt wird sogar überlegt, regelmäßig die Schleusentore offen zu lassen, damit mehr Wasser reinkommt und dann die Tore zu schließen, damit das Wasser länger in der Hallig bleibt”, sagt Katja Just. Die gebürtige Bayerin ist Bürgermeisterin auf Hooge. 

Die zuständige Behörde, der Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein (LKN.SH), prüft das Konzept für eine Reihe von Halligen. Bis zu einer endgültigen Entscheidung dauert es aber noch einige Jahre.

Jan Dell Missier steht am Fuße seiner Warft, die gerade aufgestockt worden istBild: DW/T. Walker

Zuflucht vor dem Sturm

Momentan wird an einer Erhöhung der Außenhöhe der Warften auf Hooge gearbeitet, so dass die Häuser wie in einem Schutzring eingebettet sind. Die Bauarbeiten sind eine Reaktion auf die beiden Wirbelstürme Christian und Xaver, die Ende 2013 kurz hintereinander über den Norden Europas hinweggefegt sind.

"Es waren 3,50 Meter über normal gemeldet, aber 3 Meter sind es zum Glück nur geworden", erinnert sich der auf Hallig Hooge lebende Jan Dell Missier. "Schon bei 3 Meter war das Meer auf Kronhöhe der alten Warften, bei 3,50 Meter wären die Häuser alle vollgelaufen."

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Nach diesem Vorfall wandten sich die Bewohner von Hooge an das LKN.SH auf dem Festland. Sie baten die Behörde, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Halligen einzuleiten.

"Sie sagten, dass die Wellen noch nie so heftig gewesen waren", erzählt Thomas Langmaack. Er ist am LKN.SH für den Bereich Wasserwirtschaft verantwortlich. "Die Leute waren besorgt, sie hatten Angst."

Während Zyklon Xaver wütete, wurden die Deiche rund um die Hallig Langeneß überflutetBild: picture-alliance/dpa/M. Hitij

Sandra Wendt hat Zyklon Xaver als "wirklich schreckliche Erfahrung" in Erinnerung. Die auf Hooge aufgewachsene Frau erzählt, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben Angst hatte, auf der kleinen Insel zu sein.

"Ich hatte noch nie einen Sturm so heulen gehört oder gesehen, wie der Wind die Glasscheiben in den Fenstern biegt."

Besagte Nacht hatte sie zu Hause verbracht, in ihrem Schutzraum. Der steht auf einem eigenen Fundament und ist so robust, dass er selbst den heftigsten Stürmen standhält. Auch dann, wenn das Haus um ihn herum weggespült wird. Die Küstenschutzbehörde will in Zukunft dafür sorgen, dass auf jeder Warft, die meist mehrere Häuser beherbergt, mindestens ein solcher Schutzraum steht.

"Der sogenannte Fluchtraum sieht ganz normal aus, wie ein ganz normales Zimmer. Nur wenn man tatsächlich Bilder anbringen möchte, dann merkt man, da ist etwas anders. Es ist eine Stahlbetonwand", erzählt Sandra Wendt.

Auf jeder Warft soll in Zukunft mindestens ein Haus mit Schutzraum stehenBild: DW/T. Walker

Mit dem Hochwasser leben

Jan Dell Missier hatte keine Angst in jenen Nächten, als die Zyklone über ihn hinweggefegt sind. Für ihn sind die noch nie dagewesenen Stürme jedoch ein Indikator dafür, dass sich die Dinge grundlegend verändert haben. Er fragt sich, ob sein Leben wie gewohnt weitergehen kann: "Man denkt schon einmal darüber nach, wie es wäre, wenn die Hallig bei jedem Hochwasser überflutet würde. Ob man dann wirklich noch hier leben kann, wenn es nur noch die Warften gäbe."

Aus der Ferne sind die Halligen nicht mehr als kleine Punkte im Meer. Aus der Nähe betrachtet sind sie ein gewaltiges NaturschauspielBild: DW/T. Walker

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Diverse Studien stellen fest, dass zumindest einige der zehn Halligen in den nächsten fünfzig bis einhundert Jahren in der Nordsee verschwinden. Bürgermeisterin Katja Just meint, dass viele Einheimische zwar Vorsichtsmaßnahmen treffen, aber mit Blick auf die Zukunft nicht unruhig werden: "An einem Ort mit der Angst zu leben, dass es den Ort bald nicht mehr gibt, das wäre ja emotionaler Selbstmord", sagt sie. "Wenn wir immer darüber nachdenken würden, was beim nächsten Sturm mit Ausmaßen wie Christian oder Xaver passieren könnte, dann müssten wir wegziehen."

Und das sei, so Sandra Wendt mit Blick auf die graue See und die anderen Halligen in der Ferne, einfach undenkbar. "Das ist unsere Welt. Das ist unser Leben. Die Leute mögen aus anderen Gründen hier wegziehen, aber nicht wegen des Wassers. Nicht, wenn man hier geboren ist."

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