Mythos Modigliani
23. April 2009DW-WORLD.DE: Ihre Ausstellung ist die erste nach fast 20 Jahren in Deutschland. Warum hat es so lange gedauert? Wurde Modigliani hierzulande vernachlässigt?
Susanne Kleine: Nun, das Thema 'Modigliani' kann durchaus heikel sein, aber vernachlässigt worden ist er sicher nicht. Über ihn wurde sehr viel geschrieben. Ich glaube, dass es eher etwas damit zu tun hat, ob sich jemand an dieses Thema heran wagt. Es ist bekannt, dass Werke von Modigliani schon zu seinen Lebzeiten kopiert worden sind. Das heißt, da bleibt immer noch ein bisschen Skepis: ist es nun ein echter Modigliani oder nicht? Es haben sich schon früh Menschen daran gemacht, ein Werkverzeichnis zu erstellen, das aber nicht vollständig ist. Heute gibt es da zwei Kontrahenten. Und die streiten sich darüber, wer nun ein gültiges Werkverzeichnis erstellt hat. Es gibt also keine Garantie.
Das heißt, jedes Ihrer Bilder, die Sie hier ausgestellt haben, könnte auch eine Fälschung sein?
Nein, auf keinen Fall. Natürlich haben wir bei allen unseren Werken gründlich geforscht, woher sie kommen. Aber es gibt zwei, drei Bilder in der Ausstellung, von denen nicht hundertprozentig erwiesen ist, ob sie wirklich Originale sind, obwohl sie in den Werkverzeichnissen zu finden sind.
Sie bezeichnen Modigliani in Ihrer Ausstellung als Mythos. Was macht ihn dazu?
Ich denke, der Mythos ist durch verschiedene Details begründet. Er ist sehr früh gestorben, er hat ein sehr ausschweifendes Leben geführt, er war krank, er hat sich Alkohol und Rauschmitteln hingegeben. Dann noch der tragische Tod seiner Lebensgefährtin Jeanne Hébuterne, die sich einen Tag nach seinem Tod, im neunten Monat schwanger, aus dem Fenster gestürzt hat. All diese Geschichten sind sehr geeignet für die Legendenbildung und stellen ihn in eine Reihe mit anderen Künstlergrößen, wie zum Beispiel James Dean, der ja auch sehr früh starb.
Außerdem sah er sehr gut aus. Das heißt, Modigliani erfüllt das Künstlerklischee so gut wie kaum ein anderer.
Besser geht’s gar nicht, ja!
Ist Modiglianis Leben deshalb dreimal verfilmt worden?
Ganz sicher. Die Filme sind wunderbar, aber natürlich sind sie absolut falsch und erfüllen jedes denkbare Klischee. Es gibt auch andere Künstlergrößen in dieser Zeit. Aber die haben ein verhältnismäßig normales Leben geführt und waren deshalb uninteressant.
Wodurch unterscheidet sich Ihre Ausstellung über Modigliani von früheren Ausstellungen?
Werner Schmalenbach hat ihn vor fast 20 Jahren vor allem als kunsthistorische Person gesehen. Er betonte den Künstler und nur ihn - verständlicherweise. Wir kombinieren das jetzt mit seinem Leben, denn ich bin der Meinung, dass Leben und Werk nicht zu trennen sind, gerade bei Modigliani. Wir haben auch sehr viele Zitate in die Ausstellung eingefügt, weil ich es wichtig finde, wie ihn seine Kollegen und Freunde damals gesehen haben. Und das liefert dem Betrachter den Hintergrund, um sich der Person Modigliani zu nähern.
Was macht denn die Persönlichkeit Modiglianis aus?
Ich bin keine Psychologin, aber es ist klar, dass Modigliani eine sehr singuläre Position eingenommen hat in einer Zeit voller gesellschaftlicher Umbrüche, zur Zeit des Ersten Weltkrieges. In dieser Zeit ist auch kunsthistorisch viel passiert, wenn Sie an den Fauvismus und den Kubismus denken. Viele Strömungen haben sich dort entwickelt, sind dort gereift. In dieser turbulenten Lebenswelt ist Modigliani jemand, der sehr ruhig und klar seinen Weg geht. Er konzentriert sich absolut auf die Reduktion des Formalen.
Bilderschönheit gegen Kriegshässlichkeit, Einfachheit gegen äußeres und inneres Chaos?
Ich kann mir das schon so erklären, dass er versucht mit seiner Malerei einen Ausgleich zu schaffen. Er widmet sich ja sehr und ausschließlich dieser klaren, fassbaren Form. Da liegt es nahe, dass er damit versucht, einen Gegenpol zu setzen zu dem turbulenten und zerrissenen Leben.
1917 wurde eine Ausstellung seiner Bilder verboten, weil nackte Frauenkörper zu sehen waren. Das wirkt heute geradezu lächerlich. Es gab doch auch schon zu Modiglianis Zeit eine lange Tradition der Aktmalerei. Woher die Aufregung?
Zu 1917 gibt es tatsächlich diese wunderbare Anekdote, dass die Galeristin Berthe Weill in Paris eine Ausstellung mit Bildern Modiglianis machen wollte. Diese Ausstellung war mit Porträts und Akten bestückt. Dummerweise lag die Galerie direkt gegenüber einer Polizeistation und der dortige Polizeipräfekt hat sich sehr aufgeregt über einen Akt, den man im Schaufenster sehen konnte. Genau das war das Skandalöse. Diese Nacktheit war nun nicht mehr in Akademien oder in Museen oder in den eigenen vier Wänden zu sehen, sondern in einem öffentlichen Raum. Das heißt, sie war für alle sichtbar. Die Bilder wurden dann auch am gleichen Tag abgehängt und die Vernissage war vorbei.
Lässt sich Modiglianis persönlicher Stil in wenigen Worten zusammen fassen?
Ganz am Anfang hat er noch sehr klassisch gemalt, sich an Vorbildern wie z.B. Cezanne orientiert. Dann hat er sich den Karyatiden gewidmet, Tempelstatuen, die ganz bezeichnend sind für seine Arbeit. Durch die Auseinandersetzung mit der Formensprache dieser stützenden Tempelstatuen und mit Figuren aus anderen Kulturkreisen hat er dann ab 1915 begonnen, das in seine eigene Formensprache umzusetzen.
Gerade zum Ende seines Lebens finden sich in seinem Werk die langgestreckten Hälse, die gelängten Gesichter, die schematisierten Augen, die Nase, der Mund. Alles ist auf eine sehr klare, "einfache" Ausdrucksform reduziert.
Weiß man, wie er darauf kam, Menschen so zu malen?
Er war ein guter Student. Er hat sich sehr mit vorhergehenden Epochen auseinandergesetzt, er war beeindruckt von der Renaissance-Malerei von der gotischen Längung. Wenn Sie Sich mal Mariendarstellungen oder Botticelli anschauen, dann sehen Sie auch dieses Phänomen dieses hochgezogenen Halses in dieser Verherrlichung und Überhöhung, diesem Hin zum Göttlichen. Und das sind Elemente, die ihn fasziniert haben. Er hat das nicht übernommen, aber er hat es transformiert.
Viele von Modiglianis Gesichtern wirken eher traurig.
Aber seine Bilder sind niemals depressiv. Gerade die letzten Werke von 1918 und 1919 zeichnen sich durch eine unheimliche Anmut, Poesie und Melancholie aus. Trotz Krieg waren seine Lebensumstände nicht schlecht. Er war nach Südfrankreich auf’s Land gezogen, seine Frau hatte ihr erstes Kind bekommen.
Seine Bilder spiegeln zwar nicht Lebensfreude, es gibt keine lachenden, springenden Menschen darauf, aber er dokumentiert sie mit einer sehr großen Offenheit und Genauigkeit gegenüber den Personen und ihrem Wesen.
Das heißt, er hat genaue Charakterstudien betrieben. Ein junges, ungelenkes Mädchen, das versonnen in die Gegend schaut ist genauso abgebildet, aber keinesfalls schlichter Naturalismus?
Entscheidend ist, wie kann ich eine Form reduzieren und trotzdem etwas ausdrücken? Außerdem ist es ein Mädchen aus dem einfachen Volk. In seinen letzten Jahren ist er immer mehr dazu übergegangen, Menschen darzustellen, die keinen engen Bezug zu ihm haben. Vorher waren es immer Lebensgefährten oder Weggefährten oder Frauen, mit denen er zusammen war.
Etwas ganz Praktisches: es ist oft zu lesen, dass Modigliani zu Lebzeiten nicht besonders gewürdigt wurde, dass er seine Bilder nur wenig verkaufen konnte. Wovon hat er gelebt?
Nicht gewürdigt ist ganz falsch. Er wurde extrem geschätzt von seinen Weggefährten und vielen Künstlern seiner Zeit. Er war sehr integriert in die Kunstszene. Und es gab Händler, Galeristen, die Bilder von ihm verkauft haben. Das Bild ist da ein bisschen schief. Er war nicht bettelarm. Zu Beginn hat er sicher ein gewisses Vermögen aus dem Elternhaus mitbekommen. Und damit konnte er nach Paris aufbrechen, auch wenn das Geld dann schnell verbraucht war. Aber er wurde immer unterstützt von Händlern und Freunden, die ihm Geld oder Material gegeben haben. Und er hat, ganz gemäß dem Klischee, Zeichnungen gegen Essen getauscht. Er lebte nicht komfortabel, aber er konnte leben und arbeiten.
Das Interview führte Günther Birkenstock
Redaktion: Cornelia Rabitz