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Versorgungskrise: Kubas Regierung muss UN um Hilfe bitten

Andreas Knobloch aus Rio
4. März 2024

Milch und Brot sind knapp auf Kuba. Der chronische Devisenmangel verschärft das Problem. Nun hat die Regierung in Havanna erstmals beim Welternährungsprogramm um Unterstützung nachgesucht.

Straßenszene in Trinidad: In einer Toreinfahrt in der Altstadt bietet ein Händler Fleisch und Gemüse an. Trinidad gilt als eine der schönsten Städte Kubas mit vielfältiger kolonialer Geschichte. Die Altstadt gehört zum Weltkulturerbe
Kleiner Händler in der Altstadt von Trinidad (Kuba) Bild: Jürgen Schwenkenbecher/picture alliance

Der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto war dieser Tage in Havanna. Nach seinem Besuch, bei dem er unter anderem mit Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel zusammentraf, zeigte er sich alarmiert. Betto war früher Verbindungsmann zwischen der katholischen Kirche und der Regierung Kubas unter Fidel Castro, den er mehrere Tage lang für den berühmt gewordenen Gesprächsband Fidel y la religión interviewte. Heute arbeitet er mit der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zusammen, um Kubas Lebensmittelproduktion zu steigern. Er habe Kuba noch nie in einer so schwierigen Situation gesehen, sagte er gegenüber einem brasilianischen Journalisten.

Dazu passt eine Meldung der spanischen Nachrichtenagentur EFE, die in der vergangenen Woche für Aufsehen sorgte. Kuba hat das UN-Welternährungsprogramm, kurz WFP, um Hilfe gebeten, da das Land Schwierigkeiten hat, weiterhin subventionierte Milch an Kinder unter sieben Jahren zu verteilen. Zum ersten Mal überhaupt hat die Regierung ein solches Ersuchen an die UNO gerichtet. Das WFP ist seit 1963 auf Kuba tätig und hat die Insel vor allem nach großen Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen mit Nahrungsmitteln unterstützt.

Magermilchpulver schon angekommen

Die UN-Behörde bestätigte eine offizielle Anfrage Ende vergangenen Jahres; man habe bereits mit der Lieferung von Milchpulver auf die Insel begonnen. Von der kubanischen Regierung gab es keine offizielle Bestätigung. Laut EFE hat das WFP bereits 144 Tonnen Magermilchpulver auf die Insel geschickt, das sind knapp sieben Prozent des landesweiten Bedarfs für die Grundversorgung. Dieser liegt nach offiziellen Angaben bei 2000 Tonnen Milchpulver pro Monat.

Kinder unter sieben Jahren und Menschen mit speziellen Diäten aufgrund chronischer Krankheiten erhalten in der Regel über die Libreta de abastecimiento, eine Art Rationierungsheft, eine monatliche Menge Milch zu einem stark subventionierten Preis. Über die Libreta werden auch andere Grundnahrungsmittel wie Reis, Bohnen, Speiseöl oder Hühnchen gleichmäßig an alle Kubaner verteilt. Kuba gibt dafür jährlich 1,6 Milliarden US-Dollar aus - viel Geld für die chronisch leere Staatskasse.

Einiges, wie Bananen, gibt es regelmäßig zu laufen. Aber viele können sich das nicht leisten. Bild: L. F. Postl/blickwinkel/picture alliance

Zudem kommt es immer mal wieder zu Verzögerungen oder Problemen mit der Bereitstellung von Milch, da sich die Verfügbarkeit staatlich gelieferter Milch in den letzten Monaten verschlechtert hat. Einige Provinzen haben die Liefermengen reduziert; in einigen Fällen wurde die Milchlieferung durch Sirup oder vitaminisierte Instant-Soda ersetzt. Die Ministerin für Binnenhandel, Betsy Díaz Rodríguez, nannte "Schwierigkeiten beim Kauf von Milchpulver im Ausland" sowie interne Versorgungs- und Verarbeitungsprobleme der nationalen Milchindustrie als Gründe.

Hauptursache des Übels ist der Mangel an Devisen

"Die ökonomische Situation ist im Fall Kubas sehr komplex und das ist auf den Mangel an Devisen zurückzuführen", sagt der unabhängige kubanische Ökonom Omar Everleny Pérez gegenüber der DW. Viele der grundlegenden Lebensmittel könnten seiner Meinung nach in Kuba hergestellt werden, aber aufgrund vieler Mängel im kubanischen Landwirtschaftsmodell werden sie nicht im Land produziert und müssten größtenteils importiert werden.

Doch diese Importe gestalten sich wegen des Devisenmangels aufgrund des Einbruchs des Tourismus und der Verschärfung der US-Sanktionen sowie gestiegener Lebensmittel- und Energiepreise infolge des russischen Krieges in der Ukraine schwierig. Die Versorgungskrise auf der Insel hat sich zugespitzt. Dank neuer Lieferungen aus Brasilien könne die Milchversorgung im Laufe des Monats März sichergestellt werden, erklärte Kubas neuer Minister für die Lebensmittelindustrie, Alberto López Díaz, Ende vergangener Woche.

Benzin ist zum März um 400 Prozent teurer gewordenBild: Ramon Espinosa/AP/picture alliance

Milchpulver aber ist nicht das einzige Grundnahrungsmittel, das die Kubaner beunruhigt. Auch die Versorgung mit Weizenmehl für die staatliche Herstellung bereitet Probleme. Die Regierung hat vor wenigen Tagen angekündigt, dass sie bis Ende März nicht in der Lage sein wird, die Versorgung mit subventioniertem Brot zu gewährleisten. Berichten zufolge haben einige Provinzen die Brotausgabe eingeschränkt. Pérez erinnert daran, dass zuletzt auch die Stromabschaltungen wieder zugenommen haben - wegen des Mangels an Treibstoff.

Der Staat muss sich nicht um alles kümmern

Die schwierige Versorgungslage ist keineswegs neu. Insgesamt ist das Warenangebot aktuell viel besser als beispielsweise noch vor einem Jahr. Die neuen kleinen und mittleren Privatunternehmen importieren immer mehr Lebensmittel. Das große Problem für einen breiten Teil der Bevölkerung sind die Preise. Die Inflation ist weiterhin sehr hoch. Gleichzeitig steckt der Staat in Zahlungsnöten und hat Probleme die Grundversorgung über die Libreta zu gewährleisten, die für viele Kubaner eine wichtige Hilfe ist.

Für Pérez liegt ein Problem darin, dass der Staat allumfassend sein wolle. "Nirgendwo auf der Welt sind Bäckereien im Besitz des Staates." Die kleinen und mittleren Privatunternehmen hätten Weizen und Brot, sagt er: "Wenn es wirklich einen Mangel gibt, dann müssen wir uns die Ursachen ansehen: Warum gibt es einen Mangel? Es ist ein Mangel an Devisen, es sind Fehler im Wirtschaftsmodell. Ich glaube, dass sich der Staat auf die grundlegenden strategischen Bereiche des Landes konzentrieren sollte."

Der Tourismus ist eine wichtige Einnahmequelle des Staates. Doch vom Einbruch während der Corona-Pandemie hat sich der Sektor bis heute nicht wirklich erholt. Bild: Ramon Espinosa/AP/dpa/picture alliance

Ende des Jahres hat die Regierung ein Maßnahmenpaket zur makroökonomischen Stabilisierung inklusive Subventionsabbau sowie Sprit- und Energiepreiserhöhungen angekündigt, um das gewaltige Staatsdefizit und die schwere Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen. Am vergangenen Freitag wurde die drastische Preiserhöhung für Benzin um über 400 Prozent umgesetzt, die unter Verweis auf einen angeblichen  "Cyber-Sicherheitsvorfall in den IT-Systemen" zunächst um einen Monat verschoben worden war. Auch soll die Grundversorgung über die Libreta neu aufgestellt werden - von einem Modell, das Produkte subventioniert, zu einem Modell, das sozial schwache Gruppen finanziell unterstützt.

Mit dem privaten Sektor zu besseren Zeiten

Die Bitte um Unterstützung an das WFP ist vor diesem Hintergrund vielleicht als Pragmatismus der kubanischen Regierung zu sehen, um den Staatshaushalt zu entlasten und Handlungsspielraum für die geplanten Reformen zu schaffen. Ein solches Ersuchen an die UNO hat im Fall Kubas aber immer auch eine politische Ebene. Die Regierung in Havanna dürfte befürchten, dass das Gesuch von rechten US-Medien und Exilkubanern in Miami instrumentalisiert wird.

Pérez schaut trotz allem verhalten optimistisch in die Zukunft. "Die Wirtschaftskrise in Kuba ist immer noch kompliziert, wir haben es nicht geschafft, aus dem Loch herauszukommen, obwohl wir nicht schlechter dastehen als in den vergangenen Jahren." Aber es gäbe eine Vision, dass sich der Tourismus erholen werde und dass es Verträge für wichtige medizinische Dienstleistungen geben werde. "Ich glaube, dass es kurzfristig etwas eng wird, aber wenn die politischen Verantwortlichen richtig ansetzen, hat der private Sektor immer noch einen Raum, der perfekt abgedeckt werden kann, und es muss nicht der Staat sein."

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