Verspätungen, Ausfälle, Frust - Deutsche Bahn am Limit
17. Juli 2025
Auf direktem Weg mit der Bahn von Deutschland ins Nachbarland Schweiz? Mit mehr als 40 Direktverbindungen war das einst selbstverständlich. Doch inzwischen ist bereits auf vier Routen im Grenzort Basel Schluss. Die Reisenden müssen dort in Schweizer Züge umsteigen.
"Züge aus Deutschland treffen seit 2022 regelmäßig mit Verspätung ein", schreiben die Schweizer Bundesbahnen (SBB) zur Erklärung. Die Maßnahme sei nötig, um "die Übertragung der Verspätungen auf das schweizerische Netz zu minimieren". Auf anderen Routen von Deutschland in die Schweiz regiert noch das Prinzip Hoffnung. Wenn die Züge mit weniger als zehn bis 15 Minuten Verspätung an der Grenze ankommen, dürfen sie durchfahren. Sonst gilt auch hier: Umstieg.
Verspätungen kosten Millionen - und die Nerven der Fahrgäste
In der Schweiz fahren zwischen 98 und 99 Prozent der Züge exakt nach Fahrplan. In Deutschland sind es seit 2022 nur noch 62 Prozent.
Wobei ein Zug in Deutschland als pünktlich gilt, wenn er weniger als sechs Minuten Verspätung hat. Fahrten, die komplett ausfallen, sind genauso alltäglich wie Züge, die wegen massiver Verspätung vorzeitig enden, also nicht bis zur Endhaltestelle fahren. Wenn gestreikt wird, es besonders heiß oder kalt ist, gibt es noch mehr Probleme. Ähnlich, aber nicht ganz so schlecht schneiden in Europa außer den Deutschen nur die Italiener ab.
Wer mit der Bahn unterwegs ist, braucht viel Zeit, viel Geduld und gute Nerven. Verspätungen von zwei bis drei Stunden sind keine Seltenheit. 2024 musste die Bahn ihren Reisenden fast 200 Millionen Euro Entschädigung zahlen. Das waren knapp 70 Millionen Euro mehr als im Jahr davor.
Marode Infrastruktur: Jahrzehntelange Versäumnisse rächen sich
"Die Deutsche Bahn ist in der größten Krise seit 30 Jahren", gab Bahnchef Richard Lutz im Mai 2025 offen zu. Seit 2017 ist er Vorstandsvorsitzender und versucht seitdem vergeblich, die Bahn wieder auf Kurs zu bringen. "Wir sind in wesentlichen Bereichen weit weg von dem, was wir uns vorgenommen haben und was unsere Kunden von uns erwarten."
Rund 33.500 Streckenkilometer umfasst das Netz der Deutschen Bahn. Als Staatsunternehmen ist der Konzern von finanziellen Zuschüssen des Bundes abhängig. Doch der investierte über Jahrzehnte viel zu wenig in die Infrastruktur. Die Bahn wurde auf Verschleiß gefahren. "Auf einer störanfälligen und veralteten Infrastruktur können wir keinen stabilen Betrieb sicherstellen", stellt Lutz fest.
Das größte Infrastrukturprogramm in der Geschichte der Bahn
Tatsächlich stammen manche Gleise, Schienen, Weichen und Stellwerke noch aus dem 19. Jahrhundert. Viele Anlagen sind komplett verschlissen, kaum noch zu reparieren und inzwischen auch so veraltet, dass sie für den digital gesteuerten Bahnbetrieb, wie er in Zukunft Standard werden soll, nicht zu gebrauchen sind.
Am Neubau geht kein Weg vorbei. 2024 startete das Projekt "Generalsanierung". Es konzentriert sich auf 41 Hauptstrecken mit einer Länge von 4200 Strecken-Kilometern, die für den Betrieb eines Hochleistungsnetzes unverzichtbar sind. Ein Mammutprojekt - das größte in der bisherigen Konzerngeschichte.
Den Auftakt machte die 70 Kilometer lange Strecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim, die sogenannte Riedbahn. Sechs Monate war sie voll gesperrt. Schienen und Schotter, 152 Weichen und 140 Kilometer Oberleitung wurden herausgerissen und neu installiert. Erneuert wurden auch die 20 Bahnhöfe auf der Strecke, die Signaltechnik und der Schallschutz. Der Einbau digitaler Technik war komplizierter als gedacht. Die Baukosten stiegen auf mehr als 1,5 Milliarden Euro - doppelt so viel wie ursprünglich veranschlagt.
Kostenexplosion und Kritik: Der Bundesrechnungshof schlägt Alarm
Der Bundesrechnungshof, der die staatliche Haushaltsführung kontrolliert, warf dem Bundesverkehrsministerium daraufhin Versäumnisse vor. Man hätte von der Bahn verlangen müssen, dass sie die Wirtschaftlichkeit ihres Vorgehens nachweise. "Die bis dato marktüblichen Preise für Bauleistungen haben sich innerhalb kürzester Zeit vervielfacht", schrieb der Bundesrechnungshof im Mai an den Haushaltsausschuss des Bundestags. Zudem hätten sich Engpässe bei Fachkräften und Baugeräten ergeben.
Weitere Gelder für Generalsanierungen dürften erst bereitgestellt werden, wenn das Verkehrsministerium "zweifelsfrei nachgewiesen habe, dass diese notwendig und wirtschaftlich" seien. Als Konsequenz gab die Bahn bekannt, dass die Generalsanierung um sechs Jahre bis 2036 gestreckt wird.
Berlin - Hamburg: Vollsperrung auf Deutschlands wichtigster Strecke
Als nächstes wird auf der 280 Kilometer langen Strecke Berlin-Hamburg gebaut. Mit bis zu 30.000 Fahrgästen täglich ist es die meistgenutzte Städte-Direktverbindung im deutschen Fernverkehr. Rund 230 Regional-, Fern- und Güterzüge fahren jeden Tag über die Gleise zwischen den beiden größten deutschen Metropolen. Ab 1. August wird die Strecke für geplant neun Monate voll gesperrt.
Fernzüge müssen einen Umweg von 100 Kilometern fahren. Güterzüge werden noch großräumiger umgeleitet. Im Regionalverkehr sollen rund 170 Busse täglich 86.000 Kilometer zurücklegen, um die vom Bahnverkehr abgekoppelten Orte zwischen Berlin und Hamburg weiter anzubinden. Schon jetzt ist absehbar, dass sowohl die Bauarbeiten als auch der Ersatz-Verkehr weitaus komplexer und störanfälliger sein werden als bei der Riedbahn.
Sparmaßnahmen gefährden Nutzen
Ein enormer Aufwand, der inzwischen umstritten ist. Denn die Bahn hat ihre ursprünglichen Baupläne erheblich abgespeckt. Der Einbau des einheitlichen europäischen Zugsicherungssystems ETCS ist auf das nächste Jahrzehnt verschoben. Der Grund: Es müsse gleichzeitig noch herkömmliche Technik eingebaut werden, weil nicht alle Züge bereits mit der zukünftigen Technik fahren können. Das mache die Bauarbeiten kompliziert und kostenintensiv, hieß es in einer Pressemitteilung der DB im Mai.
Auch die Zahl der Weichen wurde reduziert. Zusammen mit Überholgleisen hatten sie sicherstellen sollen, dass schnelle Züge langsame überholen können. Wohl aus Kostengründen wurde auch hier eingespart. Die absehbaren Baukosten sind bereits in der Planung auf 2,2 Milliarden Euro gestiegen.
Rechnungshof fordert Strukturreform
Die Bundesregierung hat der Bahn für die Sanierung der Strecken zusätzliche Mittel versprochen. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) sprach von Investitionen in Höhe von 107 Milliarden Euro in die Schiene bis zum Jahr 2029. Das Geld soll zum großen Teil aus dem Anfang des Jahres aufgelegten schuldenfinanzierten Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz kommen.
Der Bundesrechnungshof warnt. Die Regierung könne nicht davon ausgehen, dass Geld allein "die Dauerkrise” bei der Bahn nachhaltig lösen könne, heißt es in dem Bericht vom Mai. Der Rechnungshof fordert eine Gesamtstrategie für die Bahn, zu der auch eine "Anpassung der Konzernstruktur" gehören soll. Gemeint ist damit, den Konzern mit seinen vielen hundert Beteiligungen und Tochtergesellschaften zu entflechten.
Trennung von Netz und Betrieb: Mehr Wettbewerb auf der Schiene?
Seit Jahren wird auch diskutiert, Schieneninfrastruktur und Transport zu trennen. Das Ziel: mehr Privatanbieter und damit Wettbewerb auf der Schiene zu ermöglichen. Derzeit haben die Rechnungsprüfer wenig Hoffnung, dass es mit der Bahn bald wieder aufwärts geht. Sie werde, so heißt es in dem Bericht, "in absehbarer Zeit die verkehrs- und klimapolitischen Erwartungen" nicht erfüllen können.