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Versteckspiel am Grenzstein

Nemanja Rujevic21. August 2015

Mazedonien hat seine Grenze zu Griechenland weitgehend abgeriegelt und lässt nur noch vereinzelt Flüchtlinge ins Land. Anders an der Grenze zu Serbien. Da können Migranten gerne raus, berichtet Nemanja Rujević.

Mann im hohen Gras bei Grenzstein Foto: DW/N. Rujevic
Bild: DW/N. Rujevic

Toni kennt sich hier aus. Der Dörfler aus Tabanovce - dem nördlichsten Ort Mazedoniens, direkt an der Grenze zu Serbien gelegen - trägt Schlappen und ein T-Shirt mit einem goldenen Doppeladler und der Aufschrift "Russija". Er hat schon jede Menge Fernsehteams gesehen und ist froh, den wilden Weg weisen zu können.

Genau diesen Weg nehmen die Flüchtlinge, die von Taxifahrern an der Autobahn abgesetzt werden. Alle kommen aus der südlichen Grenzstadt Gevgelija, und alle wollen weiter nach Serbien. "Sie klauen hier das Essen aus Gärten und Höfen. Sie sind hungrig. Aber mit der lokalen Bevölkerung wollen sie keinesfalls Probleme", sagt der Mann. Vor fünf Minuten sei eine Gruppe von etwa 50 Flüchtlingen denselben Weg entlang gekommen.

"Die Hälfte wird bei uns bleiben. Die planen bestimmt einen Krieg", ist sich Toni sicher. Solche Äußerungen sind in Mazedonien oft von Leuten zu hören, die sich über die Boulevardpresse nur oberflächlich informieren - Mainstream ist die Meinung aber nicht.

Die serbischen Grenzschützer können nicht überall sein.Bild: DW/N. Rujevic

"Ich muss klug vorgehen"

Am Bahnhof lassen sich gerade Dutzende Flüchtlinge nieder, die das Glück hatten, einen Platz im Zug von Gevgelija zu ergattern. Hier in Tabanovce steht nun ein provisorisches Camp des UN-Flüchtlingshilfswerks, UNHCR. Weiße Zelte bieten nur mäßigen Schutz von der unerträglichen Hitze.

Von den Helfern und Ärzten ist nachmittags nichts zu sehen - sie kommen nur morgens vorbei. Die meisten Flüchtlinge holen sich hier nur etwas Wasser und ziehen dann weiter Richtung Norden. Rund zweitausend Menschen überqueren täglich die Grenze, behaupten die serbischen Behörden. Ein Flüchtling in Tabanovce erklärt, wie es geht: "No police - go. You see police - go back."

Zaman aus Marokko trifft mit seinem großen Rucksack ein. Er ist eher ein Sonder-, wenn auch kein Einzelfall: Der freundlich lachende Mann hat vier Jahre lang in Athen gelebt - ohne Papiere. "Das griechische Volk ist nett. Die Polizisten sind aber echte Rassisten." Zaman bestätigt die Gerüchte, dass die griechische Polizei den Flüchtlingsstrom gen Norden dazu nutzt, illegale Migranten hinauszuwerfen, die schon jahrelang in Griechenland gelebt haben.

So sind in Mazedonien viele Chinesen zu treffen, die ihr Geld früher mit Massagen an den griechischen Stränden oder mit dem Verkauf von Ramschwaren an Touristen in Athen verdient haben. Sie sind hier die einzigen, die lieber zurück nach Süden wollen. Zaman hat ein Leben ohne Menschenwürde jedoch satt. "Hoffentlich finde ich in Deutschland, was ich suche. Das ist nicht viel: einen ehrlichen Job und ein ehrliches Leben."

Zaman (links) aus Marokko will unbedingt weiter nach Norden.Bild: DW/N. Rujevic

Schmiergeld läuft nicht

Zuerst wird der Marokkaner ein paar hundert Meter weiter die serbische Grenze überqueren müssen. Mazedonische Grenzpolizisten gibt es nicht, doch ihre serbischen Kollegen zeigen sich gelegentlich mit Maschinengewehren und Ferngläsern bewaffnet. "Ich muss klug vorgehen", sagt Zaman ruhig. Bestechungsgeld für Polizisten, das gehe selbstverständlich nicht: "So viel Geld habe ich nämlich gar nicht."

Die Männer in den Uniformen der serbischen Gendarmerie - eigentlich eine Einheit des Militärs - sehen auch nicht so aus, als würden sie Schmiergeld akzeptieren. Vier von ihnen warten gelangweilt an einem Hang mit perfektem Blick nach Tabanovce. "Ihr seid schon 500 Meter auf serbisches Territorium spaziert", sagt einer, während die anderen über Journalisten lachen, die den kleinen weißen Grenzstein überhaupt nicht bemerkt haben. "Jetzt müsst ihr in Haft", scherzen sie.

Einer mit glattrasiertem Schädel und tätowierten Oberarmen schimpft über seine mazedonischen Kollegen, die sich keine Mühe geben, die Grenze nach Serbien zu sichern. Die Sache hier sei simpel: "Migranten versuchen in Massen, über die Grenze zu kommen. Dann schicken wir sie zurück."

Gutes Geschäft für Busunternehmer

Mit den Grenzpatrouillen will Serbien sich nicht abriegeln, sondern vielmehr die Flüchtlingsbewegung "dosieren". Auf Flüchtlinge, die es nach Serbien schaffen, wartet ein Aufnahmelager in Preševo, einer mehrheitlich von Albanern bewohnten Kleinstadt im äußersten Süden des Landes.

In dieser Einrichtung bekommen Neuankömmlinge ihre Reisepapiere, die zeitlich begrenzte Bewegungsfreiheit in Serbien zulassen. In einem Schreiben, in das die DW Einblick hatte, bittet das serbische Innenministerium Busunternehmen, Sonderlinien vom Lager nach Belgrad einzurichten. Das nehmen die Unternehmen gerne auf - schließlich bezahlen Migranten umgerechnet 13 Euro für das Ticket.

Serbien will die Richtung Norden ziehenden Menschen ins Nachbarland Ungarn weiterleiten. Deswegen verlassen auch die vier Gendarmen nach wenigen Minuten ihren Posten auf der Anhöhe, steigen in zwei Geländewagen ein und fahren los. Als die Autos fort sind, stehen ein paar afghanische Familien, die hinter einem Gebüsch gewartet hatten, wieder auf - und machen sich auf den Weg zu dem unauffälligen weißen Grenzstein.

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