Der Pappmaché-Künstlers Jacques Tilly setzt mit seinen Karnevalswagen politische Statements. Sein letzter Wagen stellt Putins Krieg an den Pranger. Nun wird das Gefährt symbolisch für einen guten Zweck versteigert.
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"Meine Aufgabe ist es, eine komplexe politische Situation in ein ganz einfaches Bild zu gießen", sagt Jacques Tilly, deutscher Pappmaché-Künstler aus Düsseldorf. Tilly machte bereits im Februar 2022 Schlagzeilen mit seinem Karnevalswagen: Ein sichtlich frustrierter Putin erstickt an einer blau-gelben Karte, die die Umrisse der Ukraine symbolisiert.
Im Februar 2022, nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine, wurde der Karneval in Städten wie Köln und Düsseldorf für Proteste und politische Kundgebungen genutzt. Die Düsseldorfer Behörden sagten zwar die Karnevalsumzüge komplett ab, dennoch tourte Tillys Installation im Februar unter Sicherheitsvorkehrungen durch die Stadt. Für eine Protestdemonstration gegen den Krieg wurde der Wagen sogar nach Berlin transportiert.
Symbolische Versteigerung
Nun wollen Tilly und die Stadt Düsseldorf den Wagen versteigern - symbolisch und auf Zeit. Besonders großzügige Mitbieter können den Wagen für eine gewisse Zeit nutzen, um ihn etwa vor ein Gebäude oder in den Vorgarten zu stellen. Der Erlös der Auktion kommt der kriegszerstörten Stadt Czernowitz, Düsseldorfs Partnerstadt in der Ukraine, zugute.
Zuvor wurde im März 2022 eine signierte Skizze dieses Karnevalswagens von der Diakonie versteigert. Der Erlös ging an die Hilfe für die neu angekommenen ukrainischen Flüchtlinge in der Düsseldorfer Region.
Tilly: "Putin ist ein politischer Gangster"
Der langjährige Putin-Kritiker Jacques Tilly hat in seiner mehr als drei Jahrzehnte umspannenden kreativen Laufbahn bereits neun Mal Karnevalswagen gebaut, auf denen der russische Präsident abgebildet ist. Im Jahr 2009 karikierte Tilly beispielsweise Putins Angriffe auf die Pressefreiheit in Russland.
Im DW-Gespräch sagte Tilly, Putin sei für ihn immer ein "politischer Gangster" gewesen. "Ich war von Anfang an überzeugt, dass Putin der Mafiaboss einer Clique ist, die den Staat ausbeutet und eine totalitäre Diktatur errichtet hat. Er hat in den letzten Jahrzehnten mit vielen Millionen die Rechtsradikalen in Europa unterstützt. Also ist er ein Gegner Europas, ein Gegner des Pluralismus, ein Gegner der freien und offenen Gesellschaft. Und deswegen ist er mein natürlicher Gegner."
Kann Karneval zu politisch sein?
Der Düsseldorfer Karneval ist für den Pappmaché-Künstler eine gute Gelegenheit, um seine politische Haltung zum Ausdruck zu bringen. Auch die Karnevalswagen anderer Wagenbauer haben zunehmend mutige und satirischen Ausdrucksformen entwickelt, um ihre politische Meinung kundzutun. Manche Kritiker befürchten allerdings, dass diese Politisierung des Karnevals möglicherweise dessen festlichen Charakter beeinträchtigen könnte - kurzum: Zu ernste Themen sind natürlich Stimmungskiller.
Tilly sieht den Karneval dagegen als ein vielfältiges Ereignis: "Es hat ja einen historischen Grund, warum der Karneval entstanden ist. Und der Grund ist einfach der, dass sich die Menschen - gerade in repressiven, autoritären Gesellschaften - einmal im Jahr nicht haben vorschreiben lassen wollen, wie sie zu leben haben. Der Karneval hat die Aufgabe, die Narrenfreiheit hochzuhalten, das heißt der Obrigkeit, den Oberen, den Entscheidern, den Mächtigen einmal im Jahr ungestraft die Wahrheit zu sagen. Ungestraft. Und das ist das rebellische, das anarchische Element des Karnevals."
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Die Funktion der Kunst
Jacques Tilly greift mit seiner Kunst besondere politische Momente auf und scheut sich nicht, Stellung zu beziehen: "Ich bin Humanist und deshalb natürlich immer und selbstverständlich auf der Seite der Opfer. Und meine Aufgabe ist es, die Täter lächerlich zu machen, denn Humor ist eine starke Waffe." Ob Brexit, Corona-Pandemie, die Flüchtlingskrise 2015 oder die Überschwemmungen im Ahrtal im Juli 2021 - Tillys Kreationen zeichnen sich durch selbstbewusste politische Positionen aus und erregen weltweit Aufmerksamkeit.
Politik und Provokation: Jacques Tillys Karikaturen
Der Künstler und Karikaturist Jacques Tilly zeigt seine Werke erstmals in einer Ausstellung in Oberhausen. Seine weltweit bekannten dreidimensionalen Karnevalsfiguren sind vergänglich und nicht oft zu sehen.
Bild: DW/G. Reucher
Das Brexitmonster
Karikaturen XXL von dem Satriker Jacques Tilly zeigt die Ausstellung "Politik und Provokation". Tilly entwirft seine dreidimensionalen Großfiguren für den Düsseldorfer Karneval. Einige davon sind vom 2.2. bis zum 14.6. in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen zu sehen. Ein zentrales Thema: der Brexit.
Bild: DW/G. Reucher
Donald Trump soll erwachsen werden
Auch Donald Trump ist ein dankbares Motiv für den Künstler und Karikaturisten Jacques Tilly. Hier sitzt er mit voller Windel auf einem Globus und zerreißt das Pariser Klimaabkommen. Umweltaktivisten hatten 2017 die sieben Meter hohe Skulptur im Original beim Protest gegen den G20-Gipfel in Hamburg vor der Elbphilharmonie aufgestellt.
Bild: Greenpeace/Maria Feck
Fridays for Future
Die schwedische Umwelt- und Klimaschützerin Greta Thunberg zieht die Eltern-Generation wütend an den Ohren und fordert "Tut endlich was gegen die Klimakatastrophe". Jacques Tilly unterstützt ihre Ideen und Ziele. Der Wagen, der nach dieser Zeichnung für den Düsseldorfer Rosenmontagszug 2019 gebaut wurde, fährt immer noch mit bei zahlreichen Aktionen der Fridays-for-Future-Bewegung.
Bild: Jacques Tilly
Merkel in der Flüchtlingswelle
Von 2016 ist dieses Modell des Motivwagens "Flüchtlingswelle" von Jacques Tilly für den Rosenmontagszug. Angela Merkel sitzt im Boot und wird von einer Welle mit der Aufschrift "Flüchtlingswelle" förmlich mitgerissen. Dennoch bleibt sie dabei gleichsam angespannt und in stoischer Gelassenheit aufrecht sitzen, die Hände wie immer zur Raute gehalten.
Bild: DW/G. Reucher
Meister der 3D-Karikatur: Jacques Tilly
Alle Figuren von Jacques Tilly baut ein Team in seiner Wagenhalle in Düsseldorf. Ein Gerüst aus Holzstangen wird mit Maschendraht verkleidet, dann mit Pappmaschee überzogen und später bemalt. Tillys Figuren stechen hervor durch die charakterstarken Gesichtszüge der Figuren, die einen hohen Wiedererkennungswert haben. Seine pointierten Großkarikaturen brauchen nur wenige Worte der Erklärung.
Bild: Laura Thorenz
Trump und Merkel
Ein Markenzeichen von Jacques Tilly sind seine Politikerköpfe. Ob Angela Merkel oder Donald Trump, man erkennt die Gesichter sofort. Die Figur von Donald Trump gehört zu Tillys Wagen, der Prinz bin Salman von Saudi-Arabien mit einer blutigen Kettensäge zeigt. Schutzengel Donald Trump hält dabei seine Hände behütend über Saudi-Arabien. In der Ausstellung ist allerdings nur die Trump-Figur zu sehen.
Bild: DW/G. Reucher
Für Meinungsfreiheit und Demokratie
Das "Demokratie-Blatt" hat 2017 nicht nur Karnevalisten beeindruckt. Raupen, die die rechtskonservativen Politiker Kaczynski, Trump, Erdogan, Putin, und Orban symbolisieren, nagen an der Demokratie. In Polen unterstützt der Wagen, der nach dieser Vorlage gebaut wurde, die Kampagnen der Regierungskritiker für Demokratie und Verfassung. Er hat bereits 15.000 Kilometer zurückgelegt.
Bild: Jacques Tilly
Blond ist das neue Braun
Immer wieder setzt Jacques Tilly ein Zeichen gegen Rechtspopulisten weltweit. Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus sieht er durch eine "neue Welle des autoritären Denkens" bedroht. Im Karneval hat er das Thema mehrfach aufgegriffen. 2017 mit dem Wagen "Blond ist das neue Braun", wo er Trump, Le Pen und Wilders in eine Reihe mit der Karikatur von Adolf Hitler stellt.
Bild: Hojabr Riahi
Nicht provozieren um jeden Preis
Nach den Anschlägen auf Journalisten des Satiremagazins "Charlie Hebdo" im Januar 2015 in Paris war die Welt geschockt. Viele Karnevalsgesellschaften haben wegen der Gefahrenlage darauf verzichtet, das Thema satirisch umzusetzen. Jacques Tilly hat "Kritik mit Augenmaß" geübt und das Thema bei seinem Wagen mit den Worten "Satire kann man nicht töten" aufgegriffen.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini
9 Bilder1 | 9
Allein im Jahr 2019 wurden rund 1500 Bilder von Tillys Karnevalswagen in 100 Ländern reproduziert. Die Bilder des aktuellen Putin-Wagens sind in russischer, ukrainischer, deutscher und englischer Version auf Tillys Großplastiken-Website verfügbar und können von jedermann ohne Genehmigungspflicht verwendet werden.
Auf die Frage, was für ihn heute die Aufgabe der Kunst sei, sagte Tilly gegenüber der DW: "Ich mache auf Missstände aufmerksam, weise auf Fehlentwicklungen und Skandale hin. Ich mache im Humorbereich das, was Journalisten in ihrem Bereich machen. Mit den Mitteln der Satire und des Bildes."
"Make FasteLOVEnd, Not War": Friedensdemo statt Kamelle in Köln
Es ist Rosenmontag, eigentlich Höhepunkt der Karnevalszeit. Doch der traditionelle Umzug in Köln wurde abgesagt. Stattdessen zog es Hunderttausende auf die Straße, um ein Zeichen gegen den Krieg in der Ukraine zu setzen.
Bild: Ina Fasssbender/AFP/Getty Images
Der etwas andere Rosenmontagszug
Eigentlich sollte es an diesem Rosenmontag in Köln ruhig bleiben. Der traditionelle Umzug war aufgrund der aktuellen Corona-Lage bereits abgesagt worden. Doch der Angriff Russlands ließ auch den Kölnern keine Ruhe und so zogen sie zu Abertausenden auf die Straße, um ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine zu zeigen.
Bild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance
Auch die Prunkwagen sind mit dabei
Verkleidet waren die Kölner Jecken trotzdem, und auch einige ursprünglich für den Karnevalsumzug gebauten Prunkwagen kamen zum Einsatz, wie dieser, der den Angriff auf den Frieden als Thema hat. Sowohl die Polizei als auch das Festkomitee Kölner Karneval zählten mindestens 250.000 Teilnehmer.
Bild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance
Ein Zeichen setzen
Auch Prominente liefen mit: Mitglieder von bekannten Kölner Bands, wie Peter Brings oder Wolfgang Niedecken, selbstverständlich Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (hier rechts im Bild) und auch der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Hendrik Wüst (M.). Er sagte: "Das ist heute die beste Art, auf den Beinen zu sein, nämlich für Frieden und Freiheit in Europa zu demonstrieren."
Bild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance
Stop Putin: "Make FasteLOVEnd, Not War“
Die Demonstranten eint ein Motto: "Make FasteLOVEnd, Not War" - die kölsche Version von "Make Love, Not War". Für alle Nicht-Kölner: Der Fastelovend ist im rheinischen Dialekt die Bezeichnung für Karneval oder Fasching. Offizielle Karnevalssitzungen wurden aus Pietätsgründen abgesagt, privat gefeiert wird mitunter trotzdem.
Bild: Oliver Berg/dpa/picture alliance
"Karneval ist immer auch politisch"
Daniel und Ralph sind Mitglieder der "Roten Funken", eines traditionellen Kölner Karnevalsvereins mit langer Geschichte. An diesem Rosenmontag Verzichten die Funken auf ihre Säbel, eigentlich Teil ihres traditionellen Kostüms. "Der Karneval sollte auch in schwierigen Zeiten stattfinden", sagt Ralf. Denn Karneval sei schon immer auch eine Gelegenheit gewesen, sich politisch zu äußern.
Bild: Jeannette Cwienk/DW
Die Demo, ein Muss
Gunther ist für den Karneval aus Hamburg angereist. "Ich habe mir extra freigenommen, nicht zu feiern war keine Option", sagt er. In den Kneipen sei der Krieg - wenn überhaupt - nur am Rande Thema gewesen, berichtet Tina. Dass der Rosenmontagszug nun als Friedensdemonstration stattfindet, finden beide sehr gut. Nicht hierherzukommen, war ebenfalls keine Option, betonen die beiden.
Bild: Jeannette Cwienk/DW
Karneval auf Sparflamme
Kerstin und Anna sind mit einer Gruppe von zwölf Leuten da. "Dieses Jahr feiern wir auf Sparflamme. Es war schon bedrückend, am Donnerstagmorgen aufzuwachen und in der Ukraine war Krieg. Das muss man ganz bewusst verdrängen, um feiern zu können." Aber es sei eine bewusste Entscheidung für die Lebensfreude gewesen - auch, um die "Akkus" nach dem schwierigen Corona-Winter wieder aufzuladen.
Bild: Jeannette Cwienk/DW
"Putins Krieg, nicht Russlands"
Jenny und Nadine haben dagegen aufs Feiern verzichtet. "Es passt einfach nicht zusammen", sagt Jenny. Sie sind gekommen, um ein klares Zeichen gegen den Krieg zu setzten. Ihnen macht Mut, dass so viele Menschen auf die Straße gehen, auch international. Jetzt ist Zeit zu zeigen, dass wir zusammenstehen und füreinander da sind, sagt Nadine. Und beide betonen: "Es ist Putins Krieg, nicht Russlands."