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Vertrauensvorschuss

Cornelia Rabitz27. Januar 2003

Am Gedenktag für den Holocaust (27.01.03) wurde in Berlin der Staatsvertrag zwischen Bundesregierung und dem Zentralrat der Juden unterzeichnet. Er stellt die Zusammenarbeit auf eine kontinuierliche Grundlage.

Ein Staatsvertrag zwischen der Bundesregierung und der

offiziellen Vertretung der Juden in Deutschland, unterschrieben am Gedenktag für die Opfer des Holocaust (27. Januar), 58 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz - mehr Symbolkraft lässt sich kaum denken. Drei Millionen Euro für den Zentralrat - eine Verdreifachung der Fördermittel - sind zwar keine übermäßig große, aber dennoch eine bedeutende Summe.

Mit der finanziellen Zuwendung zeigt die Bundesregierung, dass sie auf Verlässlichkeit und Verantwortung setzt. Sie honoriert die ganz großen Integrationsleistungen, die hierzulande von den jüdischen Gemeinden erbracht werden. In 83 Gemeinden leben wieder 100 000 Juden in Deutschland. Knapp sechs Jahrzehnte nach dem Ende des Völkermords lässt sich sagen, dass dieses Land ihnen wieder Heimat geworden ist. Drei Millionen Euro stärken eben auch die Hoffnung auf ein weiteres vertrauensvolles Miteinander.

Die massive Zuwanderung von Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion fordert freilich von den Gemeinden einen integrativen Kraftakt, denn den neu Hinzugekommenen ist der religiös-kulturelle Hintergrund des Judentums ebenso fremd wie die Erfahrungen der Überlebenden des Genozids sowie der zweiten und dritten Generation ihrer Nachkommen. Die Neuankömmlinge sind nicht wie diese in der Verfolgungsgeschichte verwurzelt. Stattdessen muss für sie viel soziale, kulturelle und religiöse Arbeit erbracht werden.

Die Gemeinden befinden sich in einem Transformationsprozess - das zeigt auch der unmittelbar vor der Vertragsunterzeichnung neu aufgebrochene Streit zwischen Liberalen und Orthodoxen. Die Monopolstellung des Zentralrats wird in Frage gestellt von mittlerweile 14 liberalen Reformgemeinden - und das ist mehr als ein religiöser Familienstreit um die Auslegung von Vorschriften oder Riten. Es geht um die Verteilung der Fördergelder, von denen die Liberalen einen Anteil fordern. Es geht um Fragen der Anerkennung und des Pluralismus - eine politische Debatte, die gerade erst beginnt und die auch nicht von oben abgeschnitten werden kann.

Und dann wäre da noch die politische Weltlage. Die schwelende Irak-Krise nährt Gefühle der Unsicherheit und Bedrohung. Weltweit geraten auch jüdische Einrichtungen ins Visier von Terroristen.Vor dem Hintergrund des ungelösten Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern registriert man zunehmende antisemitische Töne. Was ist legitime Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs? Was kaum verhüllter Antisemitismus? In den Augen vieler Juden hat sich in Europa ein Stimmungswandel breitgemacht, zugunsten der Palästinenser und gegen Israel. Verheerende Selbstmordattentate, verbale Drohungen gegen Israel - das Existenzrecht des einzigen Staats der Juden scheint in Frage gestellt. Des Staates, der gegründet wurde als Antwort auf den Holocaust und der immer noch so etwas wie ein Rettungsanker, ein Bezugspunkt ist auch für jene, die bewusst und selbstbewusst in der Diaspora leben.

Dieser speziellen Sensibilität sollte man sich hierzulande stets bewusst bleiben. Von Normalität, und sei sie noch so beschwörend herbeigewünscht, kann daher nicht die Rede sein. Das Geld für die Zukunft der Juden in Deutschland - die Vertragsunterzeichnung am Holocaust-Gedenktag - ist dennoch eine Brücke über die Abgründe der Vergangenheit und eine Brücke in die Zukunft.