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Politik

Vertrauter des Papstes unter Verdacht

11. November 2020

Der Skandal um sexuellen Missbrauch in der polnischen katholischen Kirche erreicht immer höhere Kreise. Mit Kardinal Dziwisz steht nun ein enger Vertrauter von Papst Johannes Paul II. unter Vertuschungsverdacht.

Kirchturmspitze mit Kreuz
Bild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

Kardinal Stanislaw Dziwisz ist nicht irgendjemand. Er begleitete das ganze Pontifikat lang den polnischen Papst Johannes Paul II. als dessen Privatsekretär, kannte ihn schon davor und wich bis zum Tod des katholischen Kirchenoberhaupts im Jahre 2005 nicht von seiner Seite. Johannes Paul II. selbst sagte über Dziwisz, er sei "unersetzbar".

Immer nahe dran, eher schweigsam, galt er als größter Vertrauter des Papstes. Wer an Johannes Paul II. herankommen wollte, musste erst am Kardinal vorbei. Er hatte etwas von einem Beschützer, richtete dem Papst das Gewand, stützte ihn im Alter. Jetzt aber könnte er selbst den Schutzschirm des Kirchenoberhaupts gebrauchen.

Privataudienz gegen Bares?

Denn am Montag zeigte der Privatsender TVN24 eine Reportage von Marcin Gutowski über den heute 81-jährigen Dziwisz. Darin werden schwere Vorwürfe erhoben: Der Kardinal hätte von Missbrauchsfällen durch den Gründer der "Legionäre Christi", Marcial Maciel Degollado, und dem früheren US-Kardinal Theodore McCarrick gewusst und beide dennoch gestützt. Außerdem habe Dziwisz 10.000 Dollar angenommen und so 1988 auf Wunsch von McCarrick dessen Begleiter eine Privataudienz beim Papst ermöglicht.

Am Dienstag veröffentlichte der Vatikan einen eigenen Bericht zum Fall McCarrick. Er geht der Frage nach, warum Johannes Paul II., obwohl er über eine Reihe von Hinweisen zu möglichen Fällen des sexuellen Missbrauchs durch McCarricks verfügte, diesen dennoch zum Erzbischof und dann zum Kardinal beförderte. Auch der Name Dziwisz wird in dem Bericht wiederholt erwähnt.

Kardinal Dziwisz, Bischof von Krakau und ehemaliger Sekretär des Papstes Johannes Paul II. (Kevelaer, 2012)Bild: DW/B. Cöllen

Dziwisz selbst aber schweigt. Immer wieder zeigt der Autor der Fernsehreportage "Don Stanislao - Das andere Gesicht von Kardinal Dziwisz", wie er den Geistlichen erfolglos um ein Interview "in guter, freundschaftlicher Atmosphäre" zu überreden versucht, damit er die Dinge aus seiner Sicht schildern könne.

Schließlich aber wird der Film ohne ein neues Interview gesendet, versehen nur mit kurzen Aussagen des Kardinals und mit Fragmenten eines Telefongesprächs. Darin warnt der Kardinal vor einem "internationalen Skandal", den die Recherchen auslösen könnten. Es ginge ihm um Polen. "Ich bin ein Mensch, der dem Papst, der Kirche und Polen diente. Und jetzt diese Vorwürfe? Um Gottes Willen!"

"Als ich den Film gesehen habe, hat mich am meisten die Verhaltensweise des Kardinals erschüttert, seine Reaktionen auf die Vorwürfe des Journalisten", kommentiert Artur Sporniak von der liberal-katholischen Zeitung "Tygodnik Powszechny". "Er kann nicht begreifen, dass er dem gleichen Recht und den gleichen Regeln unterliegt wie alle anderen. Dass es keine Ausnahmen gibt." Ein Europaparlamentarier der Linken alarmierte die Staatsanwaltschaft. Es gebe keine "heiligen Kühe".

Der Film hat die Diskussion über Pädophilie in der Kirche und deren Vertuschung neu entfacht. Am Tag nach der Ausstrahlung nahm der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki, Stellung: "Ich hoffe, dass alle Fragwürdigkeiten, die in dieser Reportage dargestellt werden, von einer entsprechenden Kommission des Vatikans aufgeklärt werden", hieß es in einer Erklärung.

Dziwisz selbst hatte seine Zusammenarbeit mit einer "unabhängigen Kommission" zugesichert. Diese könne aber nur vom Papst berufen werden, betont im DW-Gespräch der Priester und Philosoph Andrzej Kobylinski. Weder ein lokales noch ein staatliches Gremium könnten über einen Kardinal urteilen.

Vertrauenserosion der polnischen Kirche

Kobylinski erwartet einen "beschleunigten Absturz" der katholischen Kirche in Polen. Die schon jetzt "galoppierende Säkularisierung der jungen Generation" werde "rasant voranschreiten". Die Kirche erlebe einen Vertrauensverlust. Für Kobylinski eine traurige Entwicklung, an der Priester wie Bischöfe selbst schuld seien, "indem sie Fehler machten und Versäumnisse zuließen. In den vergangenen Jahren geht es hier überwiegend um Pädophilie-Skandale und deren Vertuschung", so der Warschauer Priester und Theologe.

Erst vor wenigen Tagen hatte der Vatikan in einem anderen Fall geurteilt und gleich mehrere Strafen gegen den 97-jährigen früheren Erzbischof von Breslau/Wroclaw verhängt. Kardinal Henryk Gulbinowicz darf keine Bischofsinsignien mehr nutzen, keine Messen zelebrieren und wird auch nicht in der Breslauer Kathedrale beigesetzt. Gulbinowicz wird unter anderem des sexuellen Missbrauchs beschuldigt.

Joachim Frank, Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP), erinnert daran, was der Missbrauch in anderen Ländern auslöste. Etwa durch François Ozons Film "Gelobt sei Gott" nach wahren Missbrauchsfällen, der "sogar im laizistischen Frankreich große Wellen geschlagen hat". Er könne sich durchaus vorstellen, dass ähnliches jetzt auf Polen zukommt.

"Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat eine solche Dimension, dass sich keiner unter Berufung auf Verdienste wegducken kann nach dem Motto, 'lasst ihn doch in Ruhe, er hat so viel Gutes getan'. Denn was hieße das aus der Perspektive der Opfer, die Schlimmes durch Priester erlitten haben?" Im Gespräch mit der DW mahnt er zugleich gerechte Urteile an. "Licht und Schatten gehören zur Wahrheit", sagt Frank.

"Hände weg von den Kindern!" - Demonstration gegen Pädophilie in Warschau, 2018Bild: Wlodek Ciejka

Wie auch immer das Urteil ausfällt, es reicht über den Kardinal hinaus. Der Fall Dziwisz hat, laut Philosoph Kobylinski, eine "nationale Dimension", denn Johannes Paul II. sei in Polen nicht nur eine Figur der Kirche, sondern integraler Bestandteil des "nationalen Gedächtnissen und der Identität". Er spielte eine prägende Rolle im sozialistischen Polen, gab den Leuten Halt und Hoffnung.

Die Vorwürfe gegenüber Dziwisz belasten auch Johannes Paul II. und werfen die Frage nach der Verantwortung des Papstes auf, besonders im Fall der "Legionäre Christi". Den Ordensgründer habe er "gedeckt bis zum Schluss". Die schnelle Heiligsprechung des Papstes sei "vielleicht verfrüht" erfolgt, sagt Kobilinsky.

Denkmäler des polnischen Papstes stehen im ganzen Land. Das von Henryk Jankowski dagegen wurde bereits vergangenen Jahr aus Gdansk/Danzig entfernt, nachdem sich Missbrauchsopfer gemeldet hatten. Jankowski, der 2010 verstarb, war legendärer "Kaplan der Solidarnosc" und Beichtvater Lech Walesas, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Solidarnosc und späteren Staatspräsidenten.

Von Dziwisz stehen schon zu Lebzeiten Denkmäler im Land, an denen nun ebenfalls gerüttelt werden wird; Dienstagabend zogen Demonstranten vor dessen Haus in Krakau und vor die Kurie in der Stadt, in der er Erzbischof war. Eine dieser Dziwisz-Skulpturen steht im südlichsten Polen, in Zakopane, der Stadt in der Hohen Tatra, in den Bergen, die Johannes Paul II. so geliebt hat. Eine andere in Dziwisz's Geburtsort, Raba Wyzna, die dritte ganz in der Nähe davon. Jedes Mal zeigen die Denkmäler Dziwisz nicht allein, sondern an der Seite von Johannes Paul II.