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Politik

Verunsicherung nach Nahles' Rücktritt

2. Juni 2019

Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles ist unklar, wie es mit der SPD und der Regierung in Berlin weitergeht. Die Union erklärt, sie stehe weiterhin zur großen Koalition. Die Opposition pocht auf schnelle Entscheidungen.

Andrea Nahles SPD Vorsitzende
Bild: picture-alliance/dpa/C. Koall

Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte trotz der Krise beim Koalitionspartner SPD die Kontinuität der Bundesregierung: "Wir werden die Regierungsarbeit fortsetzen mit aller Ernsthaftigkeit und großem Verantwortungsbewusstsein", sagte die CDU-Politikerin bei einer Pressekonferenz in Berlin. Merkel verwies dabei auf die Herausforderungen, vor denen Deutschland stehe. Andrea Nahles nannte sie einen "feinen Charakter".

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer würdigte Nahles als "charakterstarke, aufrichtige und verlässliche" SPD-Chefin. Sie forderte die SPD auf, ihre Personalprobleme so zu lösen, dass die große Koalition nicht gefährdet werde. "Dies ist nicht die Stunde für parteitaktische Überlegungen", sagte die CDU-Chefin in Berlin. Die Union stehe für Verlässlichkeit und Handlungsfähigkeit Deutschlands. "Wir stehen weiter zur großen Koalition", sagte Kramp-Karrenbauer.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer: Für den Fortbestand der RegierungBild: Reuters/H. Hanschke

Auch der CSU-Vorsitzende Markus Söder appellierte an die Verantwortung der Sozialdemokraten. "Wir erwarten, dass die SPD dazu beiträgt, dass Deutschland eine stabile Regierung behält", schrieb Söder auf Twitter. In diesen Zeiten brauche es Stabilität. Gleichzeitig äußerte der bayerische Ministerpräsident sein Bedauern: Nahles' Engagement verdiene Respekt. Und: "Sie trägt nicht die Hauptverantwortung für das Wahlergebnis der SPD", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Nahles' Rücktrittsankündigung hatte in Berlin Spekulationen über die Zukunft der großen Koalition ausgelöst. SPD-Vize Olaf Scholz hatte noch vor dem angekündigten Rückzug von Nahles eine weitere große Koalition nach der nächsten Bundestagswahl ausgeschlossen. "Drei große Koalitionen in Folge würden der Demokratie in Deutschland nicht gut tun", sagte der Bundesfinanzminister und Vizekanzler dem Berliner "Tagesspiegel". "Eine Fortsetzung der heutigen Koalition nach 2021 will niemand - nicht die Bürgerinnen und Bürger, nicht die Union - und wir Sozialdemokraten schon gar nicht."

Übergangslösung Dreyer?

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer zollte Nahles auch im Namen der übrigen stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Respekt. Sie versicherte zugleich, die SPD sei nicht führungslos. Die Stellvertreter der Parteivorsitzenden würden dem Vorstand am Montag einen Vorschlag dazu machen, wie es weitergehe. "Die Lage ist sehr ernst, wir dürfen keine Entscheidung über das Knie brechen", mahnte Dreyer. Namen nannte die Ministerpräsidentin nicht, die selbst als kommissarische Parteivorsitzende gehandelt wird.

Malu Dreyer ist angeblich als Übergangsparteichefin im GesprächBild: picture alliance/dpa/A. Arnold

In der Bundestagsfraktion soll der Abgeordnete und Fraktionsvize Rolf Mützenich kommissarisch den Vorsitz übernehmen. Der geschäftsführende Fraktionsvorstand habe sich einstimmig dafür ausgesprochen, der Fraktion dies zu empfehlen, schrieb der Parlamentarische Geschäftsführer Carsten Schneider in einer Mail an die Abgeordneten. Die ursprünglich für kommenden Dienstag geplante Neuwahl des Fraktionsvorsitzes soll nicht stattfinden.

Schon vor der Entscheidung hatte der Kölner Abgeordnete Mützenich sich dazu bereit erklärt: "Ich habe das schon häufiger als Vertretung für Andrea Nahles getan", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Als Dienstältester im Vorstand sei das ein völlig normaler Vorgang. Die SPD müsse sich jetzt die Zeit nehmen, zunächst die inhaltlichen Fragen zu klären, bevor es um die Frage gehe, wer den Fraktions- und den Parteivorsitz übernehme, sagte Mützenich weiter.

"Ein völlig normaler Vorgang": Rolf Mützenich leitet kommissarisch die SPD-FraktionBild: picture-alliance/dpa/M.Kappeler

Hochachtung und Respekt

Politiker der Grünen und der Linkspartei zollten der scheidenden Partei- und Fraktionschefin ebenfalls Respekt. "Hochachtung vor Andrea Nahles", sagte der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch. "So brutal darf Politik nicht sein. Vielleicht denken wir darüber alle nach." Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck bekundeten ihren "Respekt, dass Andrea Nahles hier eine klare Entscheidung trifft". Sie hofften nun, "dass die SPD rasch ihre Personalfragen klärt und sich dann mit neuer Kraft auf ihre Aufgaben konzentrieren kann."

Grünen-Chefs Baerbock und Habeck: Für "rasche Personalentscheidungen" bei der SPDBild: picture-alliance/Eventpress Rekdal

Die AfD sieht die große Koalition vor dem Ende. "Nicht nur die SPD befindet sich in Auflösung, auch die GroKo wandelt nur noch als Untoter über die politische Bühne", erklärte Fraktionschefin Alice Weidel. Die SPD bekomme jetzt die Quittung dafür, "dass sie Verrat am Wähler begangen hat".

AfD-Chef Jörg Meuthen forderte den Rücktritt der Bundesregierung. "Wen interessiert überhaupt noch, ob eine Andrea Nahles zurücktritt und wer ihr dann als nächsterpolitischer Konkursverwalter der früheren Volkspartei SPD nachfolgt?", teilte Meuthen mit. "Wer in diesem Land endlich zurücktreten muss, um den Weg für einen wirklichen Neuanfang freizumachen, ist Angela Merkel und mit ihr die gesamte Bundesregierung."

"Ich schäme mich dafür"

Andrea Nahles wolle mit ihrem Schritt die Möglichkeit eröffnen, "dass in beiden Funktionen in geordneter Weise die Nachfolge geregelt werden kann". Am Montag will Nahles im Parteivorstand ihren Rücktritt erklären, am Dienstag in der SPD-Bundestagsfraktion. Nach Angaben einer Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion will sie auch ihr Bundestagsmandat niederlegen. Einen genauen Zeitpunkt dafür gebe es aber noch nicht.

 

In den vergangenen Wochen wurde der schwindende Rückhalt für Andrea Nahles in den eigenen Reihen deutlich. Viele Genossen kritisierten sie offen und machten sie für das schlechte Abschneiden bei der Europawahl verantwortlich. Dort erreichte die SPD mit 15,8 Prozent ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung. Zugleich wurden die Sozialdemokraten bei der Landtagswahl in Bremen zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg nicht stärkste Kraft.

Nach ihrem Rücktritt kritisierten führende Sozialdemokraten den parteiinternen Umgang mit Nahles in den vergangenen Tagen. Es habe teilweise an Solidarität gemangelt, sagte Malu Dreyer. Kevin Kühnert, Chef der SPD-Jugendorganisation "Jusos", kritisierte auch den Umgang der Sozialdemokraten miteinander. "Wer mit dem Versprechen nach Gerechtigkeit und Solidarität nun einen neuen Aufbruch wagen will, der darf nie, nie, nie wieder so miteinander umgehen, wie wir das in den letzten Wochen getan haben", schrieb Kühnert auf Twitter. "Ich schäme mich dafür."

pgr/gri (afp, dpa, rtr)

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