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Verurteilung nach Kirchenasyl

3. Juni 2021

Aus Angst vor Abschiebung suchen Flüchtlinge in Deutschland den Schutz der Kirchen. "Kirchenasyl" hat Tradition. Doch die Justiz erhöht den Druck. Kirchenvertreter sprechen von einer "Eskalation".

Symbolbild Kirche Kirchentür verschlossen
Schutz vor Verfolgung hinter kirchlichen MauernBild: picture-alliance/dpa/M.Schutt

Sie ist verurteilt: Die katholische Ordensfrau Juliana Seelmann wurde vom Amtsgericht Würzburg wegen Gewährung von Kirchenasyl schuldig gesprochen. Richter Rene Uehlin sprach laut Agenturen von einem "Rechtsbruch, der nicht entschuldigt werden kann". Und sagte: "Wir leben in einer Demokratie, nicht in einem Gottesstaat." 

Die 38-jährige Franziskanerin hatte zwei Frauen aus Nigeria geholfen. Sie waren in Italien, wohin sie die Flucht gebracht hatte, nach eigenen Angaben zu Zwangsprostitution gezwungen worden – und flohen weiter nach Deutschland. Wurden nach Italien zurückgeschickt, kamen wieder in die Zwangsprostitution, flohen wieder nach Deutschland. Bis sie bei den Franziskanerinnen Zuflucht fanden. Kirchenasyl. "Ich musste die beiden Frauen ins Kirchenasyl aufnehmen, um sie zu schützen", sagte die Ordensfrau vor Gericht. Sie habe "nach meinem Gewissen und Glauben" nicht anders handeln können.

Ordensschwester Juliana SeelmannBild: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

Eine Äbtissin unter Druck

"Kirchenasyl", dieser Schutz im kirchlichen Raum ist rechtlich nicht geregelt, hat aber eine weit über tausendjährige Tradition. Aber nun ist das Gerichtsverfahren gegen Schwester Juliana bereits das dritte gegen katholische Ordensangehörige binnen kurzer Zeit. Bundesweites Aufsehen erregte im Sommer 2020 ein Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Bamberg wegen "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt" gegen die Äbtissin des Benediktinerinnenklosters Kirchschletten, Mechthild Thürmer. Sie sollte 2500 Euro zahlen und zahlte nicht – nun wartet sie auf ihr inzwischen einmal vertagtes Gerichtsverfahren.

Schwester Mechthild Thürmer, Äbtissin der Abtei KirchschlettenBild: Privat

Bruder Abraham Sauer von der Abtei Münsterschwarzach kam im April im Amtsgericht Kitzingen vor Gericht – und wurde freigesprochen, weil er sich auf die Gewissensfreiheit berief. Das will die Staatsanwaltschaft wohl nicht hinnehmen und erwägt Rechtsmittel gegen das Urteil. Man spürt die härtere Linie der Staatsanwaltschaften.

Zuletzt hatte es eine solche Welle 2017 und 2018 in Rheinland-Pfalz gegeben. Damals nahm die Polizei einmal sogar eine koptische Familie in kirchlichen Räumen fest, in Ludwigshafen. Monate später wurden in mehreren Orten Räume beider Kirchen durchsucht. Dann kam ein evangelischer Pfarrer vor Gericht und musste zahlen. Und in Bad Kreuznach gab es Ermittlungsverfahren gleich gegen fünf Pfarrerinnen und Pfarrer. Das wirkte wie eine Kampagne.

"Eine Eskalation"

Die jetzige Häufung in Bayern hat für den Jesuiten Dieter Müller eine Vorgeschichte. Seit 2017 sei im Freistaat ein "rasanter Anstieg" beim Vorgehen der Justiz in Sachen Kirchenasyl zu verzeichnen. Das hätten die Generalstaatsanwaltschaften in Bayern bestätigt, so Müller. Seitdem habe es hunderte Ermittlungsverfahren gegeben, die zumeist noch eingestellt worden seien. Sie hätten katholische und evangelische Pfarreien, Ordensgemeinschaften, Frauen und Männer getroffen. "Ich selbst hatte auch schon vier solcher Ermittlungsverfahren, die aber eingestellt wurden."

2019 kam im bayerischen Immenstadt der evangelische Pfarrer Ulrich Gampert vor Gericht, dessen Gemeinde einen afghanischen Flüchtling aufgenommen hatte - er musste 3000 Euro Strafe zahlen. 

Der evangelische Pfarrer Ulrich Gampert stand 2019 in Bayern vor GerichtBild: picture-alliance/dpa/B. Liss

Müller ist stellvertretender Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche". Neu sei nun, erläutert er, dass es Strafverfahren gebe. "Was wir jetzt erleben, ist eine Eskalation", sagt Müller der Deutschen Welle. "Es wird nicht mehr eingestellt, sondern regelrecht verhandelt vor Gericht, weil die bislang drei Personen sich geweigert haben, die Geldstrafe zu bezahlen."

"Kirchenasyl soll schwieriger werden"

Müller spricht von einem erkennbaren Versuch, "Kirchenasyl nochmal schwieriger zu machen". Dazu passt der Fall aus Rheinland-Pfalz 2018. Die Landeskirche zahlte dort für den Pfarrer. Der Geistliche äußert sich nicht mehr dazu, auch von der Landeskirche kommt nicht mehr viel. 

Dieter Müller, Jesuit, stellvertretender Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche"Bild: SJ-Bild/Leopold Stübner SJ

Im jüngsten Urteil sprach Richter Uehlin gegen Schwester Juliana aus dem Kloster Oberzell eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus, für den eine zweijährige Bewährungszeit gilt. Diese betrifft eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen je 20 Euro. 

Direkte politische Zusammenhänge gibt es beim Thema Kirchenasyl nicht. Aber interessant ist folgende kleine Geschichte am Rande des Ökumenischen Kirchentages in Frankfurt im Mai. Im Rahmen des "Politischen Nachtgebets" gab es eine Briefaktion zum Thema "Kirchenasyl" mit Schreiben an die drei Kanzlerkandidaten Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD). Eine schriftliche Antwort ist bislang nur aus dem Büro Baerbock bekannt. "Es darf nicht sein, dass diese Handlung nach dem Prinzip der christlichen Nächstenliebe durch Strafandrohung des Staates verunmöglicht wird", heißt es da. Kirchenasyl sei für die Betroffenen oft der letzte "Rettungsanker". Ein Rechtsstaat, der das verhindern wolle, "zeigt Schwäche, nicht Stärke". 

"Den Menschen muss geholfen werden"

Gut 100 Kilometer östlich von Würzburg schildert Mutter Mechthild, die Äbtissin, ihren Umgang mit dem juristischen Streit. Ob sie heute etwas anders machen würde? "Nein", sagt sie der Deutschen Welle, "Menschen, die in einer solch schlimmen Lage sind, muss geholfen werden." Und sie berichtet, dass ihr "nicht nur einmal" Menschen telefonisch angeboten hätten, die Strafzahlung von 2500 Euro zu übernehmen und der Ordensfrau dadurch das Gerichtsverfahren zu ersparen. Aber das wolle sie nicht.  

Häufig ist Kirchenasyl das letzte Mittel als Schutz vor AbschiebungBild: Daniel Kubirski/picture alliance

Und dann kommt sie auf die Not der Frauen zu sprechen, die bei ihr in Kirchschletten oder bei Schwester Juliana in Oberzell im Kirchenasyl waren. "Ich möchte auch nicht zu Zwangsprostitution gezwungen werden", so Mutter Mechthild.

In Bezug auf das weitere juristische Verfahren zeigt sie sich ganz gelassen. "Ich kann das nicht glauben, dass man in Deutschland verurteilt wird für eine Hilfeleistung. Das fände ich unmenschlich." Und dann zitiert sie das Grundgesetz.

 "'Jeder Mensch hat die gleiche Würde', steht da. 'Jeder Mensch', heißt es, und nicht 'jeder Deutsche'."

Deutschland: Letzte Chance Kirche

12:36

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