1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Verwirrung um Corona-Impfung

23. Oktober 2020

Ein Corona-Impfstoff noch in diesem Jahr? Gesundheitsminister Spahn dämpft die Euphorie. Und selbst wenn Anfang 2021 ein Impfstoff vorliegen sollte: Die Verabreichung wird Jahre dauern.

Vom Impfstoff wird abhängen, wie die Pandemie weitergeht
Bild: Allan Carvalho/NurPhoto/picture-alliance

Es klingt wie eine Verheißung in Zeiten stetig steigender COVID-19-Fälle: Ein Impfstoff gegen das Corona-Virus noch in diesem Jahr! Das jedenfalls meldet die "Bild"-Zeitung. Sie beruft sich dabei auf Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der Minister, mittlerweile selbst mit COVID-19 infiziert und in Quarantäne, habe noch Anfang der Woche verkündet, die Mainzer Firma BioNTech stehe kurz vor der Zulassung eines Impfstoffes.

Nur wenige Stunden später dementiert Spahns Sprecher. Und der Gesundheitsminister meldet sich in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" selbst zu Wort. Er rechne "Anfang des nächsten Jahres" mit einem Impfstoff gegen COVID-19 für die deutsche Bevölkerung. Es könne Januar sein, vielleicht auch Februar oder März - oder sogar noch später.

Pandemie-Müdigkeit und Hoffen auf Normalität

Ein Impfstoff in Wochen oder doch zumindest in ein paar Monaten? Weihnachten frisch geimpft und sorglos unterm Tannenbaum mit der ganzen Familie? Oder wenigstens im kommenden Sommer nach Impf-Piks wieder in den Urlaub? Allein diese Vorstellungen elektrisieren die Deutschen, die von immer mehr Einschränkungen, steigenden Infektionszahlen und der Angst vor einem erneuten Lockdown zunehmend genervt sind.

Mit dem Impf-Piks zurück in die Normalität: Die Hoffnung vieler MenschenBild: picture-alliance/dpa/R. Guenther

Vorbereitungen für Corona-Impfungen in ganz Deutschland sollen nun zügig vorbereitet werden, heißt es bei "Bild" weiter. Dazu müssten bundesweit Impfzentren eingerichtet werden. Das Bundesgesundheitsministerium habe alle Landesregierungen aufgefordert, innerhalb einer Zwei-Wochen-Frist Standorte für Impfzentren zu nennen. Nur so könne eine schnelle Impfung für möglichst viele Menschen möglichst schnell verfügbar gemacht werden.

Impfzentren seien nötig, weil der Corona-Impfstoff auf minus -78 Grad gekühlt und dann verabreicht werden müsse. Der Sprecher des Gesundheitsministers sagte zu diesem Pressebericht: "Zwischen Bund und Ländern laufen derzeit Abstimmungen." Ein Dementi ist das nicht.

Leben mit dem Virus

Ein Piks, ein Pflaster und Corona wird nur noch eine langsam verblassende Erinnerung sein? So wird es nicht kommen, warnen viele Experten. Welt-Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery schwört die Menschen deshalb schon jetzt auf längeres Durchhalten ein: "Wir müssen noch über Jahre mit dem Virus leben und damit umgehen: Abstand halten, Hände waschen, Masken tragen" werde noch jahrelang wichtig bleiben, sagte Montgomery in einem Zeitungsinterview.

Der Welt-Ärztepräsident dämpft zudem die Hoffnung, dass ein Impfstoff schnell verfügbar sein werde. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechnet zwar bis Mitte 2021 damit. "Doch bis die gesamte Bevölkerung geimpft ist, wird es zwei, drei Jahre dauern", schätzt Montgomery. Denn: "Für eine Impfung aller auf einen Schlag gibt es weder genug Dosen noch genug Personal."

"Müssen lernen, mit dem Virus zu leben": Welt-Ärztepräsident Ulrich Montgomery Bild: imago/photothek/T. Trutschel

Impfung dauert Jahre

Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrats Gesundheit der Bundesregierung, Matthias Schrappe, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, auch er rechne damit, dass eine Impfkampagne gegen Corona mehrere Jahre dauern werde. In einer Modellrechnung seien seine Kollegen und er von 60 Millionen Menschen ausgegangen, die geimpft werden müssten. Wenn pro Arbeitstag 60.000 Impfdosen verabreicht würden, würde die Impfung aller 1000 Arbeitstage dauern. "Also etwa vier Jahre", erklärt der Mediziner.

Diese Rechnung sei aber wahrscheinlich noch zu optimistisch. Impfprogramme in der Vergangenheit - wie gegen Pocken oder Polio - hätten Jahrzehnte gedauert. "Das ist ein komplizierter gesellschaftlicher Prozess", sagte Schrappe. Schon einen Konsens zu finden, wer zuerst geimpft werde, sei schwierig. "Das können nicht Ärzte entscheiden, dass muss die Politik regeln."

Bestimmte Personengruppen sollen Vorrang haben

Die EU-Kommission empfiehlt ihren Mitgliedsstaaten bestimmte Personengruppen bei der Impfung vorrangig zu behandeln. Da anfangs nur geringe Mengen Impfstoff zur Verfügung stünden, sollten etwa medizinisches Personal, Menschen über 60 Jahre, Kranke und Personen mit sozialen Nachteilen die Impfung zuerst bekommen. Diese Prinzipien sollen auch in Deutschland gelten.

Aus dem Gesundheitsministerium hieß es am Freitag, an einem "Priorisierungskonzept wird gearbeitet". Pflegekräfte, Ärzte und medizinisches Fachpersonal müssten ganz oben stehen, forderte Jens Spahn im "Spiegel"-Interview, das er noch vor seiner Erkrankung gegeben hatte. Einer Impfpflicht erteilte der Minister einen klare Absage.

Grippe: Impfbereitschaft steigt

02:05

This browser does not support the video element.

Mangelware Grippeimpfstoff

Erst kürzlich hatte sich der Gesundheitsminister medienwirksam gegen Grippe impfen lassen und Werbung für die Vorsorge gemacht. Nun melden einige Arztpraxen in Deutschland, dass ihnen bereits die Impfstoffe ausgegangen seien. In Bayern zum Beispiel haben einige Praxen den bestellten Impfstoff erst gar nicht erhalten. Gesundheitsminister Spahn wollte jedoch nicht von Versorgungsengpässen reden, es gebe höchstens Lieferengpässe. Fachleute befürchten, dass es bei einer Corona-Impfung ähnlich Komplikationen geben könnte.

Im "Spiegel"-Interview dämpft Gesundheitsminister Spahn schon jetzt gehörig jeden Optimismus auf ein schnelles Ende der Corona-Krise durch eine Impfung: "Natürlich wäre es das Beste, ein Impfstoff würde Neuinfektionen verhindern." Es wäre aber auch schon ein Gewinn, "wenn er den Krankheitsverlauf milder macht".

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema