Flüchtlinge sehen sich zur Prostitution gezwungen
25. April 2017Ahmad (Name geändert) kam mit 16 Jahren aus Syrien nach Berlin. Er und seine Familie hatten bis dahin als palästinensische Flüchtlinge in Damaskus gelebt. Bei seiner Ankunft 2015 hatte Ahmad noch die Hoffnung, seine Eltern und seine 8-jährige Schwester nach Deutschland nachholen zu können. Doch die Familie lebt bis heute in der syrischen Hauptstadt.
Ahmad ist mittlerweile über 18 Jahre alt und damit aus der Unterstützung für Jugendliche herausgefallen, einen Platz im Jugendheim gibt es für ihn nicht mehr. Mit zahlreichen anderen Asylbewerbern musste Ahmad in eine Turnhalle umziehen. Dort wurde er von anderen Jungen misshandelt: verprügelt, bedroht und gemobbt. Sozialarbeiter und Sicherheitsleute gab es dort nicht.
Hinzu kam die Angst vor Abschiebung, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihm nur noch subsidiären Schutz für ein Jahr gewährte. Von einem Sozialarbeiter erfuhr der Flüchtling, dass er frühestens nach drei Jahren einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen könne.
Ahmad packte seine Sachen und rannte weg. Er hat heute keine feste Adresse mehr, ihn erreicht keine Post und damit auch keine finanzielle Unterstützung. Für den jungen Syrer begann mit der Flucht ein Teufelskreis: Ahmad driftet ab, zunächst in die Drogenszene, dann auch in die Prostitution. Gegen Sex mit einem älteren Mann sichert er sich einen Platz zum Wohnen für ein halbes Jahr.
Ahmads Fall ist nur einer von vielen, berichtet Diana Henniges von der Organisation "Moabit hilft". Ihr Urteil ist eindeutig: Die Prostitution unter Flüchtlingen in Deutschland steige. Meist kommen die Betroffenen aus Iran, Afghanistan, Pakistan, Syrien oder dem Irak. Die Flüchtlinge, so Henniges, seien in der Regel zwischen 16 und 25, einige bis zu 35 Jahre alt. Der Tiergarten in Berlin sei zu einem Treffpunkt für Prostitution geworden, wo Flüchtlinge auch übernachten. Einige Flüchtlinge seien heute ausreisepflichtig und ihnen drohe die Abschiebung, andere seien aus Heimen geflogen. "Moabit hilft" berichtet aber auch über Fälle, in denen die Geflüchteten ihre Dienstleistungen in Wohnungen anbieten.
Ohne Familie und Halt
Viele junge Flüchtlinge kommen alleine nach Deutschland. Es seien auch Kinder darunter, die sich prostituieren. "Und nur weil jemand 18 ist, heißt das nicht, dass er jetzt erwachsen ist. Das vergessen die Behörden häufig", betont Diana Henniges. Der mangelnde Halt stelle die Flüchtlinge vor eine Herausforderung, die sie oft nicht bewältigen könnten. "Oft sind die jungen Menschen mit der Vorstellung geflohen, dass sie ihre Familie nachholen können. Die Enttäuschung, dass sie nur subsidiären Schutz bekommen oder gar keine Flüchtlingseigenschaft, ist natürlich auch ein großer Schock."
Wie anfällig die Jugendlichen für die Prostitution seien, hänge von vielen Faktoren ab, betont Henniges. "Es ist individuell verschieden. Das hängt vom Aufenthaltsstatus ab, wie gebildet sie sind, wie lange sie schon hier sind, ob eine Drogenabhängigkeit vorliegt oder sie obdachlos sind. Jeder Fall ist anders."
Mangel an Perspektiven
Ralf Rötten, Vorsitzender der Berliner Jugendhilfsorganisation "Hilfe für Jungs e.V.", bestätigte im Interview mit der DW, dass es mehr und mehr junge Flüchtlinge gebe, die sich gezwungen sehen, ihren Körper für Geld zu verkaufen. Der Verein schickt Sozialarbeiter in den Tiergarten, um dort Aufklärungsarbeit zu leisten. Die Mitarbeiter informieren über AIDS und andere sexuell übertragbare Krankheiten. Außerdem ist der Verein eine Anlaufstelle für anonyme Beratungen. Knapp 400 solcher Gespräche habe sein Verein im vergangenen Jahr organisiert, erklärt Rötten. Allerdings sehen viele der Geflüchteten keine Alternative zur Prostitution, weil sie keiner regulären Arbeit nachgehen können. Viele stünden vor dem Problem, dass über ihre Asylanträge noch nicht entschieden wurde: "In der Zeit dürfen sie keinen Deutschkurs, keinen Integrationskurs besuchen, nicht studieren und nicht arbeiten", erklärt Rötten.
Trotz der Hilfsangebote, für deren Finanzierung ein Verein wie "Hilfe für Jungs" immer wieder hart kämpfen müsse, sieht Rötten ein grundsätzliches Problem: "Die Verbindung von Menschen auf der Flucht und Prostitution ist so alt wie die Menschheit. Weil sie keine andere Möglichkeit haben an Geld zu kommen, müssen diese geflüchteten Menschen ihren Körper gegen Geld anbieten."
Für Henniges ist das Problem in Deutschland besonders drängend: "Den jungen Flüchtlingen in Berlin geht es alles andere als gut. Es muss sehr viel mehr für sie getan werden."