"Die Abschreckung wirkt"
2. August 2016DW: Große Hoffnungen, große Ziele. Wo steht denn der deutsche Sport vor den Olympischen Spielen 2016?
Vesper: Wir reisen mit 450 Athletinnen und Athleten nach Rio de Janeiro. Hinzu kommen dann noch über 300 Betreuerinnen und Betreuer, so dass wir doch eine sehr, sehr große Mannschaft nach Rio de Janeiro entsenden. In fast allen Sportarten haben wir Sportlerinnen und Sportler am Start und darauf freuen wir uns. Und natürlich hoffen wir auch, dass wir gut abschneiden.
Der DOSB hat die Medaillen- und Finalplatzerwartungen etwas nach oben geschraubt. Ist das ein Zeichen für Optimismus?
Ja, wir sind durchaus zuversichtlich. Aber wir wissen auch, dass sich im Sport nicht alles im voraus berechnen lässt. Da kann es auch mal eine Enttäuschung geben, es kann aber auch eine positive Überraschung geben. Deswegen hoffen wir natürlich, dass wir das Ergebnis von London mit 44 Medaillen mindestens erreichen. Vielleicht können wir sogar die eine oder andere Medaille mehr holen, aber es kann auch anders herum laufen.
In der Vergangenheit gab es auch Kritik an den ehrgeizigen Olympiavorgaben des DOSB - gerade auch von Athletenseite. Wie sinnvoll sind aus Ihrer Sicht solche Ziele?
Wir machen keine Vorgaben - auch dieses Mal nicht. Wir haben mit den Sportfachverbänden nach den Spielen von London Zielvereinbarungsgespräche geführt und dort identifiziert, was könnte im best case und was im worst case passieren. Daraus haben wir Zielkorridore entwickelt, die dann bei 42 Medaillen minimum und 71 maximum lagen. Allerdings sind dort Sportarten mit eingeflossen, für die wir uns nicht qualifiziert haben, weshalb man das Ergebnis nun etwas herunterrechnen muss. Aber letztlich sind dies Zahlenspiele. Wir sind sicher, dass alle Sportlerinnen und Sportler optimal abschneiden wollen, und wir sind auch sicher, dass wir weder ganz oben, noch ganz unten in diesem Zielkorridor landen werden, sondern irgendwo mittendrin.
450 deutsche Athletinnen und Athleten aus unterschiedlichsten Disziplinen verteilen sich in Rio über das Olympische Dorf. Wie kann da ein Teamgeist entstehen?
Die Kleidung ist ein wichtiger Faktor. Man erkennt sich, hat ein gemeinsames Band. Und wir leben nicht verteilt im Olympischen Dorf, sondern wir leben als deutsche Mannschaft natürlich zusammen in einem Haus und sehen uns. Wir haben dort ein Mannschaftsbüro, wir haben auch Flächen auf denen man sich besprechen kann. Und auch in der Mensa werden wir sicherlich zusammenhocken. Aber wir bleiben nicht nur unter uns. Der Reiz der Olympischen Spiele besteht ja gerade darin, dass man Sportler aus aller Welt kennenlernen und mit ihnen sprechen kann.
Einige der Spitzenathleten haben in letzter Zeit auch den weltweit immer noch in der Praxis sehr unterschiedlichen Umgang mit Anti-Doping-Regeln kritisiert. Wird es in Rio eine echte Chancengleichheit geben können?
Der Kampf gegen Doping ist ein Kampf, den man nicht von heute auf morgen gewinnen kann, sondern das ist ein Prozess. Ein Prozess, der sich immer weiter entwickeln muss und sich meiner Einschätzung nach auch immer weiter entwickelt hat. Ich bin optimistisch, dass wir in Rio im Hinblick auf die Kontrollen noch ein Stück besser sein werden als in London, wo wir schon besser waren als in Peking. Die Abstände zwischen denen, die dopen oder die Dopingmittel entwickeln, und denen, die die Sportlerinnen und Sportler kontrollieren und Doping bekämpfen, wird immer geringer. Deswegen werden alle Proben, die in Rio genommen werden, zehn Jahre lang eingefroren, sodass auch zukünftig entwickelte Analysemethoden zum Einsatz kommen können und später zu einer Aberkennung von olympischen Erfolgen führen können.
Anhand von nachträglichen Tests wurden zuletzt mehrere Olympiateilnehmer bei den Spielen in Peking 2008 und London 2012 überführt. Sind solche Nachtests vielleicht das wirksamste Mittel, das der internationale Sport an der Hand hat?
Was wirkt, ist Abschreckung. Was wirkt ist, dass ein Sportler, der betrügt, Angst haben muss, erwischt und dann gesperrt und aus dem Verkehr gezogen zu werden. Das ist das wichtigste Mittel im Anti-Doping-Kampf. Die Nachtests unterstützen diese Abschreckung und begründen eine Sorge vor dem Erwischtwerden, bei denen, die für Doping empfänglich sind.
Rio de Janeiro ist eine Stadt von großer Sportbegeisterung – aber auch aktuell mit großen Problemen: Überlastete Infrastruktur, finanzielle Last, das Zika-Virus und nicht zuletzt die Sicherheitsfrage. Was erwarten Sie für Olympische Spiele, und was erwarten Sie von den Gastgebern?
Wir erwarten von den Gastgebern, dass sie die Bedingungen für wirklich fröhliche, unbeschwerte Spiele schaffen. Dazu gehört eine effiziente Sicherheit. Die brasilianischen Behörden haben das dem IOC und allen teilnehmenden Mannschaften zugesichert. Ich habe keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass Sie das auch wirklich umsetzen. Wobei ich mir wünschen würde, dass die Sicherheitsmaßnahmen nicht so restriktiv sind, dass die Fröhlichkeit und Spontanität darüber verloren ginge. Auch das Zika-Virus nehmen wir sehr ernst, aber wir haben Vorsorge getroffen, damit wir unsere Sportler optimal schützen, zum Beispiel durch entsprechende Anti-Mücken-Mittel, aber auch durch Bekleidung. Die brasilianischen Behörden haben die Tümpel, in denen die Mücken überwintern, trocken gelegt und überhaupt ist die Mücke im Winter nach unseren Informationen längst nicht so aktiv, wie im Sommer.
306 Entscheidungen in Rio. Haben Sie ein Bauchgefühl, bei wie vielen davon am Ende eine Deutsche oder ein Deutscher oben stehen wird?
Ich hoffe bei möglichst vielen. Ich hoffe bei mindestens so vielen wie in London. Das waren elf Sportler, die für uns Gold gewonnen haben. Aber eine Prognose versage ich mir, ich möchte der Kreativität und dem Ehrgeiz unserer Sportler keine Grenze setzen.
Michael Vesper, geboren 1952, ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Nach Rio de Janeiro reist der studierte Soziologe und Grünen-Politiker wie schon in London 2012 und Sotschi 2014 als Chef de Mission des deutschen Teams. Gleichzeitig ist Vesper auch ein enger Vertrauter des deutschen IOC-Chefs Thomas Bach.
Das Interview führte Joscha Weber.