"Veteranen aus Taiwan willkommen"
3. September 2015Zum ersten Mal in ihrer Geschichte feiert die Volksrepublik China das Ende des Zweiten Weltkriegs in Asien, also die Kapitulation Japans, mit einer großen Militärparade. Bislang hatte Peking seine Rüstung immer nur zum Nationalfeiertag am 1. Oktober zur Schau gestellt. Warum also ausgerechnet jetzt, am 70. Jahrestag? Westliche China-Experten sehen verschiedene Motive hinter dieser für China ungewöhnlichen Propaganda-Veranstaltung, die nach innen und außen gerichtet ist.
Sie wird zum einen als Reaktion auf die japanischen Bestrebungen unter Ministerpräsident Abe gesehen, die Verfassung zu ändern und wieder reguläre japanische Streitkräfte zuzulassen. Zum anderen soll gegenüber den USA der Anspruch Chinas als die dominierende Regionalmacht im Süd- und Ostchinesischen Meer und darüber hinaus im West-Pazifik unterstrichen werden. Was die Botschaft nach innen betrifft, so wolle Präsident Xi vor allem das Signal aussenden, dass er die Armee fest im Griff hat, sagt Kristin Shi-Kupfer vom Berliner China-Institut Merics.
"Unterbewertete Rolle Chinas beim Sieg über Japan"
Die Veranstaltung heißt offiziell "Gedenken zum 70. Jahrestag an Chinas Sieg im Widerstandkrieg gegen Japan und den weltweiten Sieg gegen den Faschismus." China will also mit der Parade auch an seine wichtige Rolle im Zweiten Weltkrieg erinnern, die nach Ansicht mancher Historiker nicht richtig gewürdigt wird. "Aus westlicher Sicht wäre es wichtig, die Asymmetrie zu beenden und China stärker als Schauplatz des Zweiten Weltkriegs wahrzunehmen. Wir sind bei der Wahrnehmung des Zweiten Weltkriegs sehr stark europazentriert", sagt Cord Eberspächer vom Düsseldorfer Konfuzius-Institut. "Die Rolle des Kriegsschauplatzes China auch während des Krieges zwischen Japan und den USA im Pazifik wird gemeinhin völlig unterschätzt. Die Besetzung Chinas und der fortgesetzte Widerstand hat auf japanischer Seite so viele Soldaten gebunden, dass er den amerikanischen Vormarsch erheblich erleichtert hat", sagt der China- und Militärexperte.
Und Chinas Beitrag zum Ergebnis des Zweiten Weltkriegs war der Beitrag ganz Chinas, also auch des Teils, der sich schließlich nach Taiwan zurückgezogen hat. Die Insel war der Zufluchtsort der chinesischen Nationalisten, der Kuomintang (KMT) unter Chiang Kai-shek, nachdem sie 1949 von Mao Zedongs Kommunisten vom Festland vertrieben worden waren. Während des Zweiten Weltkriegs waren die beiden Todfeinde, Kommunisten und Nationalisten, durch den gemeinsamen Gegner Japan auf Gedeih und Verderb zur Zusammenarbeit verdammt gewesen. Das wurde aber nach der Gründung der VR China und der Verlegung der Republik China nach Taiwan schnell vergessen, beide Seiten reklamierten den Hauptanteil am verbissenen Widerstand gegen die Eroberer und damit letztlich am Sieg über Japan für sich und negierten den Anteil der anderen Seite.
Neue Sicht auf Rolle der KMT in China
Das änderte sich jedoch mit dem Aufkommen der Entspannungspolitik. Nach dem Besuch Nixons in China 1972, dem Tod der Antagonisten Mao und Chiang Mitte der 70er Jahre, und der Auflösung des Ostblocks verlor auch das "Duell an der Straße von Taiwan" an Sprengkraft, wie Rana Mitter in seinem Buch "Forgotten Ally" schreibt. Und damit war Raum für eine neue Sicht auf die Kriegszeit in China, eine Sicht, in der auch die Rolle der KMT gewürdigt wird. Seit Ende der 80er Jahre entstanden Museen und Gedenkstätten, unter anderem in der "Rückzugshauptstadt" Chongqing, in denen die Verdienste Chiangs und seiner Truppen herausgestellt werden. Insofern hat es eine gewisse Logik, dass Peking zur jetzigen Parade eine Einladung an Veteranen aus Taiwan ausgesprochen hat, sich an den Feierlichkeiten zu beteiligen.
"Ich denke, die Einladung an Taiwan soll ein Signal sein", sagt Cord Eberspächer. "Man möchte den Verständigungsprozess weiterführen, und zwar auf einer Ebene, dass er von beiden Seiten ohne Gesichtsverlust und Aufgabe von Standpunkten zu verwirklichen ist." Bemerkenswert findet Eberspächer, dass Taipeh es seinen Bürgern "ausdrücklich freistellt, teilzunehmen. Sie sollen nur allgemein darauf achten, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Insofern ist das schon eine gewisse Bewegung aufeinander zu", sagt der China-Experte.
Kritik an Peking-Reise des Ex-Präsidenten Taiwans
Die Angst vor Vereinnahmung ist allerdings sehr präsent auf Taiwan. Das zeigt sich sehr deutlich an den kritischen Reaktionen auf die als "privat" deklarierte Reise des früheren Vize-Präsidenten und Ex-KMT-Vorsitzenden Lien Chan zur Parade nach Peking. Der Besuch hat in Taiwan einen empfindlichen Nerv getroffen und scharfe Kritik hervorgerufen. Was kein Wunder ist: Beide Seiten, China und Taiwan, reklamieren offiziell immer noch für sich, ganz China zu repräsentieren, was von Peking auch formell mit der Androhung von Waffengewalt für den Fall, dass Taiwan sich für unabhängig erklären sollte, untermauert wird.
Die Teilnahme eines taiwanischen Politikers an der Siegesfeier in Peking könnte, so die Kritik in Taiwan, als Kotau vor der kommunistischen Führung verstanden werden, nach dem Motto: Wir haben zwar alle gemeinsam gekämpft, aber das ändert nichts daran, dass aus dem Sieg hervorgegangene heutige China von Peking und der KP Chinas vertreten wird. Es wäre fatal, wenn ausgerechnet ein Politiker der KMT wie Lien Chan einer solchen Interpretation Vorschub leiste, meint etwa der einflussreiche taiwanische Historiker und Autor Chen Fang-ming. "Die Legitimation der KMT basiert auf dem Widerstandskrieg gegen Japan, und Lien Chan untergräbt mit seiner Reise nach Peking, wo die Volksbefreiungsarmee sich selber feiert, diese Legitimation der KMT", erklärte Chen gegenüber taiwanischen Medien.
Ungleiche Waffenbrüder
Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende der oppositionellen DPP und Präsidentschaftskandidatin Tsai Ing-Wen. Sie verweist auf die "unterschiedliche Interpretation der Vergangenheit durch Taiwan und Peking" und darauf, dass Peking seine militärischen Interventionspläne nicht aufgegeben habe. Liens Reise widerspreche auch der Erwartung der taiwanischen Bevölkerung, und schließlich könne seine Reise ein "falsches Signal" an die Welt senden, nämlich das Taiwan sich Peking unterordne.
Auch die mit der KMT sympathisierende Zeitung Lien Riabo (United Daily News) lehnt die Reise Liens ab. Bei einem früheren hohen KMT-Funktionär und Ex-Vizepräsidenten sei es Augenwischerei, von einer Privatreise zu sprechen, sie sei auf jeden Fall politisch. Offenbar habe Lien Chan die aktuelle Stimmungslage in Taiwan nicht zur Kenntnis genommen, die sehr kritisch gegenüber dem Festland sei, so der Kommentator.
Die chinesische Begleitmusik zu dem Besuch von Lien Chan mag also noch so sehr die historische Waffenbrüderschaft beschwören und betonen, dass der Kampf der "taiwanischen Mitbürger ein unschätzbarer Teil des Kampfes des ganzen chinesischen Volkes war", wie Xinhua einen hohen KPCh-Funktionär zitiert: Das schiere Machtungleichgewicht zwischen beiden Seiten und Pekings nie zurückgenommene Drohung mit Waffengewalt werden unbelastete gemeinsame Militärparaden auf absehbare Zeit unmöglich machen.