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PolitikAfrika

Ingabire: Kampf für ein demokratisches Ruanda

Sandrine Blanchard
6. September 2022

Die prominente ruandische Oppositionspolitikerin Victoire Ingabire fordert einen neuen Regierungsstil und eine Versöhnungskommission für Ruanda. Alle Wunden müssten verheilen, sagt Ingabire im exklusiven DW-Interview.

Ruanda Victoire Ingabire Oppositionsführerin
Victoire Ingabire kurz nach ihrer Haftentlassung 2018Bild: CYRIL NDEGEYA/AFP

Victoire Ingabire Umuhoza ist eine der großen Oppositionsfiguren in Ruanda. Seit Jahren fordert sie eine Demokratisierung der Institutionen ihres Landes. Der Regierung ein Dorn im Auge, kam sie 2010 für 15 Jahre in Haft. Doch Präsident Paul Kagame begnadigte sie 2018. Die Politikerin wirft Kagame Unterdrückung und Willkür vor - und setzt sich unermüdlich dagegen ein. Warum, das erklärt sie im Gespräch mit DW-Redakteurin Sandrine Blanchard.

 

DW: Sie sind eine der wichtigsten Figuren der Opposition gegen Präsident Paul Kagame in Ruanda und Vorsitzende der Partei Dalfa-Umurinzi. Sie blicken auf eine lange politische Karriere zurück, die mit Hindernissen gespickt war: Zum Beispiel Ihre Verurteilung 2010 zu 15 Jahren Haft wegen Verschwörung gegen die Staatsgewalt. Sie saßen in Einzelhaft und sind ständig Repressalien ausgesetzt - wie können Sie trotzdem Ihre politischen Aktivitäten fortsetzen?

Victoire Ingabire Umuhoza: Ja, ich habe sechs Jahre in Einzelhaft verbracht. Aber ich wurde vom Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker von all diesen Verbrechen freigesprochen. Mein Kampf gilt der Demokratisierung unseres Landes, damit wir Institutionen aufbauen können, die jeder Schicht unserer Gesellschaft Sicherheit und Zuversicht geben.

Erste Schritte in Freiheit: Ingabire nach der Haftentlassung im September 2018Bild: CYRIL NDEGEYA/AFP

Vor wenigen Tagen veröffentlichten Sie einen Beitrag im belgischen Medium LeVif.be. Darin fordern Sie einen neuen Regierungsstil in Ruanda und schildern die Geschichte des Landes seit der Unabhängigkeit, prangern auch autoritäre Auswüchse der regierenden Ruandischen Patriotischen Front (RPF) an, die seit 1994 an der Macht ist. Sie fordern einen nationalen Dialog - was versprechen Sie sich davon?

Ruander müssen gemeinsam eine Lösung suchen, die unserer Situation angemessen ist, und nach Wegen, die Macht unter den Ruandern zu verteilen.

Heute haben wir das System der RPF, die die so genannte "Konsensdemokratie" eingeführt hat. Aber wir stellen fest, dass sich die RPF im Laufe der Zeit in eine Staatspartei verwandelt hat, in der es nur die Regierungspartei gibt, die alles kontrolliert. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass sich jede Schicht der Gesellschaft sicher fühlt und an den Institutionen und Entscheidungen des Landes teilnimmt. Nur so kann jeder sicher sein, dass, wenn es eine Gefahr für seine Sicherheit gibt oder seine Grundrechte verletzt werden, es trotzdem Handlungsspielräume gibt, um sich zu schützen.

Bis heute ist von Versöhnung die Rede. Es ist ein gewisser Schritt getan worden, aber es liegt noch ein langer Weg vor uns. Beispielsweise gab es 1994 - vor, während und nach dem Völkermord an den Tutsi - andere Verbrechen. Das waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen gegen das Volk. Dies sind Verbrechen, die von den Vereinten Nationen dokumentiert wurden. Über diese Verbrechen können die Menschen in Ruanda nicht sprechen. Man kann nicht von Versöhnung sprechen, wenn man nicht bereit ist, alle Wunden zu heilen. Ich schlage daher vor, dass wir eine Kommission für Versöhnung, Gerechtigkeit und Wahrheit wie in Südafrika einrichten - denn Gerechtigkeit ist nicht dazu da, um zu bestrafen, sondern vielmehr, um zu versöhnen.

In ganz Ruanda erinnern Gedenkstätten wie hier in Kigali an den Genozid 1994Bild: Ben Curtis/AP/picture alliance

Es gibt jedoch auch noch bewaffnete Gruppen, die jenseits der ruandischen Grenze auf kongolesischem Gebiet aktiv sind, wie die FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Diese ruandische Hutu-Miliz, die in der Demokratischen Republik Kongo kämpft und teils von flüchtigen Tätern des ruandischen Völkermordes geführt werden soll, spielt für Versöhnung eine wichtige Rolle. Aber wie kann man mit ihnen einen Dialog beginnen, wenn sie doch von den Behörden gesucht werden?

Ingabire: Ja, es gibt bewaffnete Gruppen. Es gibt einige in der FDLR, die von den Behörden gesucht werden. Aber ich möchte eine Sache betonen: Nach und nach gibt es einige FDLR-Mitglieder, die nach Ruanda zurückkehren. Sie werden ausgewählt. Diejenigen, die von der Justiz gesucht werden, werden vor Gericht gestellt und die anderen in das normale Leben der ruandischen Gesellschaft integriert. Ich verstehe nicht, warum das Regime sagt: "Wir wollen nicht mit diesen Leuten diskutieren" - wenn wir doch jeden Tag mit ihnen diskutieren.

Und wenn sich wirklich unter ihnen Täter des Völkermords verstecken, dann müssen diese Leute vor Gericht gestellt werden. Aber es gibt auch diejenigen, die sich nichts vorzuwerfen haben, die nichts getan haben. Denn man muss bedenken, dass die FDLR in den 2000er Jahren gegründet wurde.

Sie meinen, viele der Kämpfer in der FDLR sind zu jung, um Täter beim Genozid von 1994 gewesen zu sein...

Ich denke, es gibt junge Leute, die sich nicht trauen, nach Ruanda zurückzukehren, weil in ihren Köpfen immer noch das ist, was sie in den Wäldern des Kongo erlebt haben. Als sie massakriert wurden. Sie haben Angst davor, nach Hause zu gehen. Vielleicht haben sie sich dafür entschieden, zu den Waffen zu greifen in dem Glauben, dass sie sich auf diese Weise schützen können. Die ruandische Regierung sollte sie stattdessen akzeptieren, ihnen die Hand reichen und sie dazu bringen, in unser Land zurückzukehren.

Rebellen der Hutu-Miliz FDLRBild: Ricky Gare/dpa/picture alliance

Adaptiert aus dem Französischen von Martina Schwikowski.

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