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Politik

Deutsche wollen Kanzler Schulz

3. Februar 2017

Würde der Bundeskanzler direkt gewählt, bekäme Martin Schulz laut jüngsten Umfragen 50 Prozent der deutschen Wählerstimmen, Angela Merkel nur 34. Trotzdem bleibt die CDU/CSU stärkste Partei. Wie passt das zusammen?

Berlin SPD PK Martin Schulz Kanzlerkandidatur
Bild: Getty Images/S. Loos

Sigmar Gabriel kann einem fast leid tun. Unter seiner Führung dümpelte die SPD jahrelang in den Umfragen und auch bei Wahlergebnissen bei kaum mehr als 20 Prozent vor sich hin. Und jetzt? Gerade hat Martin Schulz Parteiführung und Kanzlerkandidatur übernommen, da schnellt die SPD im jüngsten ARD-Deutschlandtrend um sagenhafte acht Prozentpunkte nach oben. Die Genossen liegen mit 28 Prozent zwar noch immer deutlich hinter der CDU/CSU (34 Prozent), aber ein so rasanter Aufstieg in so kurzer Zeit ist fast ohne Beispiel.

Noch deutlicher zeigt sich der Schulz-Faktor an der Kanzlerfrage: Könnte man den Kanzler direkt wählen, würde sich jeder zweite Befragte für Schulz entscheiden, nur gut ein Drittel wären für Merkel. Gerade bei dieser Frage schnitt Merkel in der Vergangenheit gegen verschiedene Widersacher immer besonders gut ab. Als die SPD 2012 Peer Steinbrück ins Rennen schickte, ließ Merkel ihn bei der Persönlichkeitsfrage deutlich hinter sich. Und Gabriel hatte nie auch nur die Spur einer Chance gegen sie.

Und noch ein dritter Punkt zeigt, welche Dynamik offenbar allein die Person Martin Schulz auslöst: Bei der Frage, welche Koalition sich die Deutschen wünschen, sind zwar noch immer die meisten Befragten für eine weitere große Koalition, allerdings für eine unter einem Kanzler Martin Schulz. Und das, obwohl die im Deutschlandtrend ermittelten Umfrageergebnisse gar keinen Kanzler Schulz hergeben.

Er wäre der erste Kanzler ohne Abitur

Was also ist dran an dem Mann aus einfacher Familie und früheren Präsidenten des Europaparlaments? Die "Aachener Zeitung" glaubt, Schulz fülle offenbar durch seine Authenzitität eine "Marktlücke" aus. Schulz gehe offen mit seiner Biografie um: "Kein Abitur, kein Studium, keine Exekutiverfahrung. Noch dazu trockener Alkoholiker. Versuche des politischen Gegners, diese biografischen Daten zum Malus zu machen, dürften scheitern." Die "Huffington Post" spricht bereits von einer "Merkelmüdigkeit" in der Bevölkerung und in ihrer CDU. Das sei "ein schlechtes Vorzeichen für die Union, die ihren Wahlkampf voll auf die CDU-Chefin fokussiert". Schulz könne sich so "als echte Alternative inszenieren". Der Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin glaubt, ein Teil seiner Attraktion liege schlicht darin, dass er anders sei als Merkel. "Als neuer Mann bekommt er eine ganze Menge Vorschusslorbeeren."

Offensiver Schulz gegen zaudernde Merkel. Aber reicht das?Bild: Reuters

Das klingt nach Wechselstimmung. Nach bald zwölf Jahren Merkel-Kanzlerschaft wäre das nicht überraschend. Und welch ein Gegensatz: Merkel hatte sich ihren eigenen Angaben zufolge die erneute Kandidatur nach langer Überlegung selbst abgerungen, während Schulz energiegeladen in den Wahlkampf geht. Doch Parteienforscher Niedermayer zeigte sich in der "Rheinischen Post" "skeptisch, dass die SPD diese Werte langfristig halten kann". Er glaube nicht, dass die SPD bis zur Bundestagswahl stärker als die Union würde. "Um die anfänglichen Umfrageerfolge zu verstetigen, muss er bei innenpolitischen Themen klare Positionen beziehen", so Niedermayer. Dann werde Schulz auch innerhalb der SPD auf Widerstand stoßen. 

Die Union rückt wieder zusammen

Seehofer muss die Eiszeit mit Merkel jetzt beendenBild: picture-alliance/dpa/R. Hirschberger

Die Union reagiert mit einer Mischung aus Unruhe und demonstrativer Gelassenheit. CDU-Generalsekretär Peter Tauber rief seine Parteifreunde im Berliner "Tagesspiegel" auf: "Die Zahlen machen deutlich: Es geht um was, wir müssen geschlossen kämpfen." Sein Kollege von der CSU, Generalsekretär Andreas Scheuer, wiegelt dagegen im "Spiegel" ab: "Der Kandidat Schulz hat noch überhaupt nichts Konkretes gesagt. Wenn er konkret werden muss, wird auf den Rausch schnell ein ernüchternder Kater folgen." Armin Laschet, der CDU-Landeschef von Nordrhein-Westfalen, bestreitet unterdessen, dass es bei der SPD seit dem Wechsel von Gabriel zu Schulz überhaupt eine "programmatische Veränderung" gegeben habe. Doch das hat Schulz auch nicht behauptet.

Die Unruhe in der Union ist immerhin so stark, dass die beiden Schwesterparteien CDU und CSU wieder enger zusammenrücken. Hatte sich CSU-Chef Horst Seehofer zuvor monatelange Wortgefechte mit Bundeskanzlerin Angela Merkel um die richtige Flüchtlingspolitik geliefert, ist er plötzlich zahm geworden und unterstützt die Kanzlerin. Jetzt, wo eine Linkskoalition nach der Bundestagswahl wieder in den Bereich des Möglichen rückt, schält sich zum neuen übergeordneten Ziel für die Union der Kampf dagegen heraus. Mit anderen Worten, die Union setzt immer stärker auf einen Lagerwahlkampf. "Wir wollen, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt und nicht eine rot-rot-grüne Koalition Deutschland regiert", betont Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nennt Schulz gar "das Gesicht einer rot-rot-grünen Linksfront". Geht es nach dem ARD-Deutschlandtrend, muss sich die Union deswegen keine Sorgen machen. Denn diese Wunschkoalition kommt bei den Befragten erst an dritter Stelle. Von einer wirklichen politischen Wechselstimmung kann demnach keine Rede sein, höchstens von einer personellen - im Kanzleramt.

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