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Viele Forschende werden laut Studie angefeindet und bedroht

16. Mai 2024

Fast jeder zweite Wissenschaftler hat bereits persönliche Angriffe erlebt. Das zeigt eine repräsentative Studie. Besonders viele Attacken gab es während der Corona-Pandemie.

Querdenker-Proteste: Virologen und Politiker auf Plakaten als Verbrecher im Sträflingsanzug dargestellt
Virologen, Politikerinnen und Politiker wurden bei den sogenannten Querdenker-Protesten als Verbrecher dargestellt Bild: Eventpress Hoensch/picture alliance

Portraits in Sträflingskleidung, lautstarke Beschimpfungen, Morddrohungen im Internet - während der COVID-19-Pandemie wurden prominente Virologen wie Christian Drosten wiederholt angefeindet und auch bedroht. Aber dies waren keine Einzelfälle in einer aufgeheizten Ausnahmesituation. Schon seit längerem werden in Deutschland Forschende aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen auf verschiedene Arten attackiert. 

Dies belegt die erste repräsentative Umfrage unter deutschen Forschenden, die am Deutschen Zentrum für Hochschul- & Wissenschaftsforschung (DZHW) in Kooperation mit dem KAPAZ-Projektverbund durchgeführt wurde. KAPAZ steht für "Kapazitäten und Kompetenzen im Umgang mit Hassrede und Wissenschaftsfeindlichkeit". Demnach haben 45 Prozent aller Forschenden bereits Anfeindungen erfahren. Und sehr häufig sind diese Angriffe politisch motiviert.

Wissenschaft als Grundlage für umstrittene Entscheidungen

Vor allem in der Corona-Pandemie wurden Forschungsergebnisse öffentlich debattiert, was vermehrt Spannungen erzeugt habe, heißt es in der Studie. Vor allem wenn wissenschaftliche Ergebnisse als Grundlage für gesellschaftlich und politisch umstrittene Entscheidungen dienten. "Die Wut über diese politischen Entscheidungen oder das Gefühl, dass die eigenen menschlichen Handlungsmöglichkeiten begrenzt werden, können sich dann auch in Angriffen gegen Forschende niederschlagen", so Clemens Blümel, der als Forscher am DZHW die Erhebung geleitet hat.

"Die Ergebnisse der Befragung von insgesamt 2600 Wissenschaftler*innen zeigen, dass Anfeindungen gegen Forschende ein ernstzunehmendes Problem sind", so Blümel. "Dabei kommen die Angriffe nicht immer von außen. Auch innerhalb der Wissenschaft selbst gibt es Anfeindungen und abwertendes Verhalten."

Die Corona-Maßnahmen haben die Gesellschaft tief gespalten Bild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Digitaler Pranger

Nicht nur Virologen werden massiv angegangen. Auch Mediziner und Biologen sowie Geisteswissenschaftler erleben häufig Beleidigungen und Drohungen.

Sehr häufig wird dabei die Kompetenz der Forschenden angezweifelt oder die Forschungsergebnisse werden herabgesetzt und schlecht gemacht. Oftmals sind feindselige Äußerungen offen diskriminierend, rassistisch und sexistisch. Frauen geraten dabei weit häufiger in die Schusslinie als Männer..

Die Beschimpfungen und Bedrohungen finden vor allem in den Sozialen Netzwerken und in digitalen Kanälen statt. Aber zuweilen werden Forschende auch im Alltag, auf offener Straße oder im Büro angegriffen. Häufig aber bleibt es bei verbalen Attacken. Sachbeschädigungen oder gar physische Abgriffe gab es bislang nur sehr selten. Allerdings wurde bei 17 Prozent der Anfeindungen auch körperliche Gewalt angedroht.

Einschüchterung zeigt Wirkung

Laut Umfrage haben die populistischen Kampagnen, Hassreden und Morddrohungen dazu geführt, dass sich einige Forschende aus der öffentliche Kommunikation zurückgezogen haben oder gar nicht mehr an brisanten Themen arbeiten. 

"Kritische Diskurse sind natürlich etwas anderes als Anfeindungen und Diskreditierungskampagnen. Letztere können aber zur Selbstzensur unter Forschenden führen. Im schlimmsten Fall wird dann unter großem Druck zu wichtigen Themen nicht mehr geforscht, etwa im Bereich Klimawandel", so Projektleiterin Nataliia Sokolovska.

Vereinzelt haben die Täter also ihr Ziel erreicht: Sie haben die Reputation von Forschenden beschädigt, haben unliebsame Forschende mundtot gemacht und störende Forschung verhindert.

Kommunikation verbessern

Der Projektverbund will deshalb Maßnahmen entwickeln, wie Forschende besser gegen Angriffe geschützt werden können. Dazu gehören bundesweite Beratungsstellen für Forschende bei konkreten Anfeindungen, Leitlinien für Krisensituationen und praxisnahes Kommunikationstraining.

Die Untersuchung zeigt sehr deutlich, dass vor allem bei der Kommunikation erheblicher Nachholbedarf besteht. Wichtig sei in dem Zusammenhang, dass sehr bewusst entschieden werde, was wie vermittelt wird. Dazu gehört laut Blümel auch, deutlich zu machen, dass der wissenschaftliche Prozess auch von Unwägbarkeiten und Unsicherheiten geprägt ist. Auch Fehler müssten kommuniziert und insgesamt ein "realistisches Bild der wissenschaftlichen Praxis" gezeichnet werden, so Blümel.

 

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