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Politik

"Vielfalt sollte als Ziel ins Grundgesetz"

13. November 2016

Rund 50 Migrantenorganisationen plädieren in einem "Impulspapier" für eine stärkere Integration von Migranten. Mitunterzeichner Farhad Dilmaghani erklärt im DW-Gespräch, warum Vielfalt für die Gesellschaft fruchtbar ist.

Deutschland Symbolbild Multikulti MyFest in Berlin-Kreuzberg
Bild: picture-alliance/Eventpress

DW: Herr Dilmaghani, beim Integrationsgipfel am Montag werden Sie und andere Migranten der Kanzlerin ein "Impulspapier" vorlegen, in dem Sie mehr für Migranten und Migrantinnen mehr "Teilhabe in der Einwanderungsgesellschaft" fordern. Unterzeichnet haben es verschiedene Verbände, die Einwanderer unterschiedlicher Herkunft vertreten. Was war der Anlass für das Papier?

Farhad Dilmaghani: Was uns verbindet, ist die Überzeugung, dass Vielfalt die Grundhaltung unserer Gesellschaft sein sollte. Diese Überzeugung ist in den vergangenen Monaten noch einmal gewachsen, weil sich das gesellschaftliche Klima polarisiert. Umso mehr wollen wir als Migrantenorganisationen uns selbstbewusst in den demokratischen Prozess in Deutschland einbringen. Wir sehen Deutschland als unser Land an und wollen zu einem gedeihlichen Zusammenleben beitragen. Wir finden, dass eine Demokratie die Vielfalt ihrer Bürgerinnen und Bürger widerspiegeln muss - das gilt insbesondere für die Institutionen und Organisationen einer Demokratie.

Die Migrantenorganisationen bekennen sich ausdrücklich zur gesellschaftlichen Vielfalt in Deutschland. Was macht aus Ihrer Sicht den Wert oder Nutzen von Vielfalt aus?

Durch Vielfalt kommen ganz unterschiedliche Perspektiven zusammen. Dadurch lassen sich auf ganz unterschiedliche Herausforderungen bessere Lösungen finden. Man kennt seit den siebziger Jahren das sogenannte "Group Think"-Phänomen: Wenn Personen mit einer ähnlichen soziokulturellen Sozialisierung und ähnlichen Erfahrungshintergründen gemeinsam auf Herausforderungen reagieren, dann ist die Gefahr groß, dass diese Reaktionen suboptimal sind. Hinzu kommt: Wenn eine dominierende Gruppe zu sehr in eine bestimmte Richtung denkt, kommt es zur Ausgrenzung von Andersdenkenden. Das ist dann potentiell ein guter Humus für autoritäres oder sogar faschistisches Denken. 

"Für ein plurales Deutschland": Farhad DilmaghaniBild: picture-alliance/dpa/F. Zahn

Gesellschaftliche Vielfalt stellt hohe Anforderungen an die Bürger. Was hält eine vielfältige Gesellschaft zusammen?

Das Verbindende ist der Wunsch, die demokratischen Institutionen zu erhalten. Dazu kommt der Wunsch nach einer lebendigen und sozialen Demokratie. Es ist die Einsicht, dass Demokratie nicht von selbst existiert, sondern jede Generation von Neuem für sie eintreten muss - und dass sie für uns alle zusammen die beste Regierungsform ist. Das wird ein harter Job für unsere Generation, die nicht gelernt hat zu kämpfen.

"Progressive Integrationspolitik"

Die Migrantenorganisationen plädieren in ihrem Papier unter anderem dafür, Vielfalt als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. Warum reicht es nicht, sich einfach zur Vielfalt zu bekennen?

Das Grundgesetz ist das Selbstverständnis unserer Demokratie. Die Aufnahme neuer Staatsziele in die Verfassung hat immer schon die Entwicklung unserer Gesellschaft gespiegelt. Es hat ungefähr 15 Jahre gedauert, bis das Staatsziel Umweltschutz in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Ein Staatsziel im Grundgesetz gilt als Verfassungsnorm - die staatlichen Organe sind dadurch verpflichtet, dieses Staatsziel zu verfolgen. Das heißt in diesem Fall: Ins Zentrum des politischen Handelns der Staatsorgane wird eine progressive Integrationspolitik gerückt, die die Vorstellungen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft ebenso spiegelt wie die der neu hinzugekommenen Bürger und ihrer Nachfahren. Die gleichberechtigte Teilhabe aller ist das Ziel. Wir schreiben auch damit unumkehrbar fest, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Das ist Realität, auch wenn einige das nicht wahrhaben wollen. 

Welche Auswirkungen hätten dieses Staatsziel konkret?

Es wirkt sich auf die Zusammensetzung im Öffentlichen Dienst aus, auf die vom Staat angebotenen Dienstleistungen, etwa in Schulen oder Kindertagesstätten, oder auf die Rechtsprechung. Staatsziele haben also einerseits eine symbolische und andererseits eine konkrete zukunftsweisende Funktion. 

Vielfältige Diskriminierung

Ihr Positionspapier fordert auch, gesetzliche Antidiskriminierungsregeln einzuführen. Laufen solche Regeln nicht Gefahr, die Freiheit der jeweils anderen einzuschränken - im Fall von Einstellungen etwa die der Arbeitgeber?

Wissenschaftlich ist nachgewiesen: Wenn zwei Personen namens Ali und Peter einen exakt gleichen Lebenslauf und exakt die gleichen Qualifikationen haben - dann hat Peter eine um 30 Prozent höhere Chance als Ali, den ausgeschriebenen Job zu erhalten. Ähnlich sieht es auf dem Wohnungsmarkt aus. Rund 30 bis 40 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund haben Diskriminierung erfahren. Es geht darum, diese Themen behutsam nach vorne zu bringen. Wenn wir aber sagen, dass der oberste Grundsatz der der Gleichbehandlung ist, diese aber nicht eingelöst wird, dann muss der Staat über Gegenmaßnahmen nachdenken. Die Abwägung ist nicht leicht, man steht schnell vor einem Dilemma. Aber wir sehen zu wirksamen Antidiskriminierungsregeln keine Alternative, da für uns der oberste Grundsatz der der Gleichbehandlung ist.

Spielerische Vielfalt: der Berliner Karneval der KulturenBild: picture alliance/ZUMAPRESS/Xinhua/Z. Fan

"Wehrhafte Demokratie"

Das Papier fällt in eine politisch aufgewühlte Zeit. Deutschland hat im vergangenen Jahr zwischen 800.000 und 900.000 Flüchtlinge aufgenommen. Das hat für erhebliche Unruhe gesorgt und bei vielen Deutschen ohne Migrationshintergrund Sorgen vor einem allzu konservativen Islam entfacht. Sie selbst stehen der Initiative "DeutschPlus" vor, die das Papier ebenfalls unterzeichnet hat. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen konfessioneller Identität auf der einen und der offenen Gesellschaft auf der anderen Seite?

Wir als DeutschPlus sind eine dezidiert säkulare Organisation. Religiösen Themen widmen wir uns darum nicht - jedenfalls so lange nicht, wie sie nicht zu stark politisierten Fragen führen. Mit Blick auf den politisierten Islam sind wir der Auffassung, dass es unter den Anhängern verschiedener Glaubensrichtungen vergleichbare Tendenzen gibt. Meines Erachtens sind unter den Muslimen nicht mehr radikale, dümmere oder integrationsunwillige Personen als im Rest der Bevölkerung. Das folgt der Normalverteilung und wird leider auch von der sozialen Lage befördert. Desintegrations- und Radikalisierungstendenzen beobachten wir an vielen Stellen. Auf Personen, die sich radikalisieren oder sich gegen die Gesellschaft stellen, müssen wir präventiv zugehen und sie der Radikalisierung entgegenwirken. Wo diese Grenze überschritten wird, müssen wir als wehrhafte Demokratie auftreten. Das gilt für Islamisten genauso wie für Rechtsradikale. Persönlich bin ich der Ansicht, dass eine größere Härte da durchaus Sinn macht.

Farhad Dilmaghani ist Gründer und Vorsitzender von DeutschPlus - Initiative für eine plurale Republik, einem interdisziplinären Aktivistennetzwerk und Think Tank im Bereich Migration und Integration. Als ehemaliger Staatssekretär war er verantwortlich für die Bereiche Arbeit und Integration in der Berliner Senatsverwaltung. Zuvor war er im Bundeskanzleramt fünf Jahre Referent für Grundsatzfragen sowie Bildung und Forschung.

Das Interview führte Kersten Knipp.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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