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Vier-Tage Woche: Kann sich Deutschland das leisten?

21. September 2023

Arbeiten die Deutschen zu wenig? Nun wird auch noch über die Vier-Tage-Woche diskutiert und das, obwohl der deutschen Wirtschaft eine Rezession droht.

Leere Arbeitsplätze in einem Großraumbüro
Wie kann die Produktivität gesteigert werden?Bild: imago images

Auf den ersten Blick zeigen die Zahlen der Industriestaaten-Organisation OECD es deutlich: Im weltweiten Vergleich arbeiten die Deutschen weniger als Menschen aus anderen Nationen. Während die Deutschen im Jahr 2021 auf eine durchschnittliche Jahresarbeitszeit von 1349 Stunden je Erwerbstätigen kamen, waren es im OECD-Durchschnitt 1716 Stunden. Im Vergleich dazu arbeiteten die Griechen 1872 Stunden im Jahr und die Mexikaner 2128 Stunden.

In Hinblick darauf erstaunt die derzeitige Diskussion über eine Vier-Tage Woche in Deutschland. Arbeiten die Deutschen denn nicht schon wenig genug? Und auch, wenn man an den allgegenwärtigen Fachkräftemangel denkt, möchte man meinen: Es wäre vielleicht besser, es würde in Deutschland mehr gearbeitet anstatt noch weniger.

So schlecht sieht es in Deutschland nicht aus

Dass die Deutschen zu faul sind, wäre jedoch ein vorschneller Schluss, denn die Zahlen eignen sich nicht wirklich für Vergleiche zwischen Ländern. Darauf weist die OECD selbst hin. Zum einen stammen die Daten aus nationalen Erhebungen, die in den einzelnen Ländern unterschiedlich durchgeführt wurden und zum anderen wurden sie noch nicht einmal im selben Jahr erhoben.

Der Arbeitsmarktexperte Enzo Weber merkt außerdem an, dass bei der Erhebung solcher Daten verschiedene Quellen herangezogen werden, unter anderem auch Befragungen. "In Befragungen zur Arbeitszeit kommt es erwiesenermaßen auch darauf an, auf welche Weise, in welcher Reihenfolge gefragt wird", so Weber. Das habe Effekte. "Auch das, was Menschen in verschiedenen Ländern als Arbeitszeit verstehen, ist nicht unbedingt das gleiche", sagt Weber, der am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) forscht. Gedacht seien die OECD-Daten vielmehr für Vergleiche von Trends im Zeitverlauf.

Teilzeit bei Frauen beachten

Vor allem aber hat die OECD die geleistete Arbeitszeit pro Beschäftigtem erhoben. In Deutschland liegt die Frauenerwerbsquote weit über der anderer Länder, aber rund jede zweite Frau arbeitet in Teilzeit. Dadurch wird rechnerisch die durchschnittliche Jahresarbeitszeit nach unten gezogen. "Das bedeutet also nicht, dass in Deutschland weniger gearbeitet wird", sagt Weber im Gespräch mit der DW. "Ganz im Gegenteil, es wird mehr gearbeitet, denn die Alternative wäre ja, dass diese Frauen gar nicht in der Statistik drin wären."

Wenn die OECD-Zahlen einen Hinweis darauf geben sollen, an welcher Stelle in Deutschland noch etwas verbessert werden kann, so sind es die Arbeitszeiten der Frauen, meint Weber.

In Deutschland arbeiten viele Frauen in Teilzeit, unter anderem weil häufig eine geeignete Kinderbetreuung fehltBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Wie effektiv wird während der Arbeitszeit gearbeitet?

Darüber hinaus sollte die Jahresarbeitszeit natürlich nicht isoliert betrachtet werden. Es kommt nämlich nicht nur auf die Zeit an, die Menschen bei der Arbeit verbringen, sondern auch darauf, wie effektiv sie dabei sind. Würde eine Rangfolge verschiedener Länder nach dem Grad der Produktivität angelegt, wäre die Reihenfolge anders als bei der Lebensarbeitszeit, glaubt Weber. Allerdings "mit Ruhm bekleckert haben wir uns bei der Produktivität schon länger nicht". Dieses Jahr habe es sogar deutliche Produktivitäts-Rückgänge gegeben.

Das liege allerdings nicht an der Faulheit der Deutschen, sondern an der Energiekrise, so der Experte. Denn Produktivität ist der Output geteilt durch die Arbeitsstunde. Während der Output durch die Energiekrise, von der Deutschland besonders stark betroffen war, gesunken ist, haben die Unternehmen wegen des Fachkräftemangels an den Arbeitnehmern festgehalten - die Arbeitsstunden haben sich also nicht reduziert.

Ein anderer Grund für die Produktivitätsentwicklung ist, das Deutschland hat in den vergangenen Jahren einen sehr großen Niedriglohnbereich aufgebaut, in dem die Produktivität meist nicht sehr hoch ist.

Vier-Tage-Woche zur Steigerung der Produktivität

Zu wenig Fachkräfte - zu geringe Produktivität. Eine Vier-Tage-Woche könnte Abhilfe schaffen, heißt es von den Befürwortern. Die Argumentation: Wer nur vier statt fünf Tage arbeitet, ist motivierter und damit produktiver. Außerdem könnten so Menschen in Arbeit gebracht werden, die nicht bereit sind, fünf Tage zu arbeiten. Das würde den Fachkräftemangel verkleinern.

Versuche zur Vier-Tage-Woche gab es bereits. Seit 2019 organisiert die gemeinnützige Organisation 4 Day Week Global (4DWG) Pilotprogramme beispielsweise in Großbritannien, Südafrika, Australien, Irland und den USA. Mehr als 500 Unternehmen haben daran teilgenommen, so die NGO. Ergebnisse scheinen die Hoffnungen in die positiven Effekte zu bestätigen.

Werden allerdings die Arbeitnehmenden befragt, sind nicht alle von der Idee begeistert, nur vier Tage pro Woche zu arbeiten. Eine Umfrage der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ergab: Etwas über 73 Prozent der Beschäftigten in Vollzeit wünschen sich eine Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohn. Nur acht Prozent finden eine Vier-Tage-Woche auch bei reduziertem Lohn gut. Und 17 Prozent lehnen eine kürzere Arbeitszeit ab. 

Pilotstudien zur Vier-Tage-Woche nicht aussagekräftig

In Deutschland können sich ab diesem Donnerstag (21.09.2023) Unternehmen bei der Beratungsagentur Intraprenör, das mit 4DWG zusammenarbeitet, für ein sechsmonatiges Testprojekt der Vier-Tage-Woche bewerben.

Und genau da fange schon das Problem an, meint Enzo Weber, der die Ergebnisse der bisherigen Pilotprojekte kritisch sieht. Bei solchen Projekten würden sich nur Firmen bewerben, für die eine Vier-Tage-Woche positiv ist. Sie spiegeln damit keinen repräsentativen Querschnitt der Wirtschaft. Außerdem würde nicht nur die Arbeitszeit verkürzt, sondern auch Prozesse und Organisation verändert. Gibt es dann eine Steigerung der Produktivität, müsse die nicht kausal mit der kürzeren Arbeitszeit zusammenhängen, so Weber.

Fragwürdig seien die positiven Ergebnisse auch, weil durch die Kürzung eines Arbeitstages höchstwahrscheinlich eine Arbeitsverdichtung stattfinden würde, glaubt Weber. Soziale, kommunikative und kreative Elemente blieben auf der Strecke. "Die Folgen spüren Unternehmen normalerweise nicht sofort, sondern eher mittelfristig". Die Studien seien aber auf sechs Monate angelegt.

Eine deutschlandweit eingeführte Vier-Tage Woche hält auch Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) für kontraproduktiv. "Was in einzelwirtschaftlicher Betrachtung gegebenenfalls sinnvoll erscheinen mag - etwa, wenn mit der Vier-Tage-Woche knappe Arbeitskräfte von Mitbewerbern abgeworben werden können - löst sich in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung auf: Wenn alle Unternehmen die Arbeitszeit reduzieren, bleibt am Ende ein Arbeitszeitdefizit", so Schäfer.

Zudem fehle jeglicher Hinweis darauf, dass durch die Arbeitszeitverkürzung die Produktivität wesentlich gesteigert werden könnte. "Die Verkürzung der Arbeitswoche von fünf auf vier Tage entspricht einer Reduzierung der Arbeitszeit um 20 Prozent. Um den resultierenden Produktionsrückgang zu kompensieren, müsste die Stundenproduktivität um 25 Prozent gesteigert werden." Das hält Schäfer für utopisch.

Im Handwerk leiden viele Unternehmen unter Fachkräftemangel Bild: Michael Reichel/dpa/picture alliance

Individuelle X-Tage-Woche

Dass eine Vier-Tage Woche in einzelnen Betrieben durchaus sinnvoll sein kann, zeigt sich im Handwerk. Dort würden Arbeitgeber so ihre Attraktivität und damit ihre Chancen im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte erhöhen, heißt es von Jörg Dittrich, dem Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Allerdings würde eine Vier-Tage-Woche nicht in jedem Handwerksbetrieb gleich gut funktionieren. Dittrichs Fazit: Ein allgemein formulierter Rechtsanspruch auf eine Vier-Tage-Woche würde niemandem helfen und für die Betriebe nur zusätzliche Bürokratie bedeuten.

Gegen einen gesetzlichen Anspruch und für individuelle Lösungen, plädiert auch Enzo Weber. Er nennt das X-Tage-Woche. Rückenwind bekommt er damit aus dem Mittelstand. Dort befürworte man ebenfalls individuelle Lösungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, so Christoph Ahlhaus, Bundesgeschäftsführer beim Bundverband Mittelständische Wirtschaft. Staatliche Einmischung, die weniger Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich vorsieht, lehne der Mittelstand dagegen ab.

Allen kritischen Argumenten zum Trotz plant der Verhandlungsführer der Industriegewerkschaft (IG) Metall in der nordwestdeutschen Stahlindustrie, Knut Giesler, in der kommenden Tarifrunde die Einführung der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich zu fordern.

Kommt jetzt die 4-Tage-Woche?

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Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion
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