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Vietnam plant drastische Reform des Steuersystems

20. August 2025

Von Betreibern von Fotoautomaten bis zu kleinen Werkstätten: Ab 2026 zahlen alle mehr Steuern. Kritiker warnen, die Reform könnte gerade jene Teile der Wirtschaft schwächen, die sie eigentlich stärken soll.

Vietnam Hanoi | Geschäfte im historischen Altstadtviertel Old Quarter
Geschäfte in einem historischen Altstadtviertel in HanoiBild: Tommy Walker/DW

Jahrzehntelang nutzten die meisten Kleinunternehmen im kommunistisch regierten Vietnam ein vereinfachtes Pauschalbesteuerungssystem, bei dem die Steuern auf der Basis des geschätzten Umsatzes und nicht auf Grundlage formaler Buchführung berechnet wurden.

In vielen Fällen beruhte die Umsatzermittlung auf informellen Konsultationen mit den lokalen Steuerbehörden, da diese Unternehmen oft keine detaillierten Verkaufsaufzeichnungen führten. Nach Angaben des vietnamesischen Finanzministeriums nutzten Anfang 2025 rund zwei Millionen private Unternehmen und Einzelunternehmer diese Pauschalbesteuerung, während nur etwa 6000 das kompliziertere Deklarationssystem mit den Daten aus einer Buchführung verwendeten.

Das Pauschalbesteuerungssystem wird nun ab 2026 vollständig abgeschafft, das heißt. alle registrierten Unternehmen müssen das Deklarationssystem nutzen.

Die Änderung ist Teil der Resolution 68, eines im Mai von Vietnam angekündigten umfassenden Plans, der die einheimischen Privatunternehmen des Landes bis 2035 zur "wichtigsten treibenden Kraft" der Wirtschaft machen soll. Ziel ist es, dass diese die ausländischen Konzerne und Staatsbetriebe überholen, die Hanoi traditionell bevorzugte.

Warum reformiert Vietnam sein Steuersystem?

Die Resolution verspricht, die Märkte für lokale Unternehmen zu deregulieren, ihren Schutz zu erhöhen und den Zugang zu Kapital zu verbessern. Sie ist zudem die erste, die Eigentumsrechte, fairen Wettbewerb und Vertragsdurchsetzung ausdrücklich als Rechtsgrundsätze verankert.

 

Die Resolution 68 bietet Unternehmen und Arbeitnehmern jahrelange Steuerbefreiungen und geringere Verwaltungskosten, setzt sich aber auch das Ziel, die Steuereinnahmen in den kommenden Jahrzehnten deutlich zu steigern.

Die öffentlichen Ausgaben werden aufgrund einer Kombination aus Konjunkturprogrammen und Infrastrukturentwicklungszielen stark ansteigen. Da die Kommunistische Partei Vietnams jedoch die Staatsverschuldung deckelt, muss die Regierung neue Einnahmequellen erschließen.

Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen, dass Vietnams Steuerquote im Verhältnis zum BIP in den letzten Jahren gesunken ist und im Jahr 2023 bei 16,8 Prozent lag, und damit unter dem Durchschnitt im asiatisch-pazifischen Raum von 19,5 Prozent und weit unter dem OECD-Durchschnitt von 33 Prozent.

Vietnam hat im Jahr 2024 laut der Generaldirektion für Steuern einen Rekordbetrag von 1,6 Billiarden Dong (rund 66,7 Milliarden US-Dollar bzw. 57,1 Milliarden Euro) an Steuern eingenommen, hauptsächlich aus inländischen Quellen. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2025 zogen die vietnamesischen Behörden rund 560 Millionen US-Dollar von kleinen Unternehmen ein, ein Anstieg von 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Asiens nächste "Tigerwirtschaft" 

Hanoi will Kapital für riesige Infrastrukturprojekte wie Hochgeschwindigkeitszüge und Schnellstraßen aufbauen, die es als Schlüssel für zukünftiges Wachstum betrachtet. Allein in diesem Jahr plant das Land, die Infrastrukturausgaben um fast 40 Prozent auf 36 Milliarden US-Dollar zu erhöhen.

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Das Land muss sich zudem auf steigende Sozialversicherungskosten einstellen, weil Vietnam schnell altert. Der Anteil der über 65-Jährigen wird laut UN-Prognosen von 8,4 Prozent im Jahr 2020 auf 20 Prozent im Jahr 2050 steigen, dennoch erhalten derzeit nur sehr wenige Rentner eine existenzsichernde Rente.

Die Kommunistische Partei Vietnams will die Steuererhebung modernisieren, um Korruption, insbesondere in notorisch korrupten Finanzämtern, einzudämmen. Seit 2016 hat ihre Anti-Korruptionskampagne zwei Präsidenten, zahlreiche Kabinettsminister und Tausende niederrangige Beamte gestürzt. Vietnamesischen Beamten und Wirtschaftsanalysten zufolge wenden viele umsatzstarke Unternehmen weiterhin die Pauschalbesteuerung an, die in der Regel zu deutlich niedrigeren monatlichen Beiträgen führt als das Deklarationssystem.

Im Sinne der Resolution 68 braucht Vietnams heimischer Privatsektor „fairen Wettbewerb" und Gleichbehandlung, und das bedeutet, dass jeder seinen Anteil zahlt. "Beide Ziele sind lobenswert, aber die Erzielung höherer Einnahmen ist schwierig, da eine Verschärfung der Vorschriften politische Gegenreaktionen riskiert", sagte Khac Giang Nguyen, Gastwissenschaftler am ISEAS-Yusof-Ishak-Institut in Singapur.

Der Erfolg werde jedoch „weniger davon abhängen, neue Regeln zu verfassen, als vielmehr davon, sie fair, transparent und ohne die gewinnorientierten Praktiken umzusetzen, die das Vertrauen der Öffentlichkeit untergraben haben", fügte er hinzu.

Kleine Unternehmen tragen die Hauptlast

Im Einparteiensystem Vietnams, in dem die Kommunistische Partei ihre Position seit Jahrzehnten fest in Händen hält, ist Widerspruch selten. Doch Videos von verzweifelten Ladenbesitzern, die sich über neue Steuerforderungen beschweren, sind in den letzten Wochen viral gegangen.

Bis Januar 2026 muss sich jedes Unternehmen auf das Steuererklärungssystem umstellen. Viele werden daher mit deutlichen Steuererhöhungen konfrontiert werden. Sie müssen zudem teure Registrierkassen finanzieren, Buchhaltung und Rechnungswesen erlernen und ihre Mitarbeiter im Umgang mit den neuen Regeln schulen.

Für manche ist das eine große Herausforderung. Mehrere Sektoren müssen sich noch immer von den wirtschaftlichen Folgen der COVID-Pandemie erholen. Monatelang bestand zudem Ungewissheit, ob die USA einen Zollsatz von 46 Prozent auf vietnamesische Waren erheben würden. Im vergangenen Monat hat Hanoi den Zollsatz auf 20 Prozent heruntergehandelt.

Darüber hinaus "werden die Menschen auf den Märkten immer noch von korrupten Polizisten erpresst", sagte Zachary Abuza, Professor am National War College in Washington, gegenüber der DW. Während die Regierung möchte, dass der Privatsektor das Wachstum antreibt, scheinen die neuen Steuerforderungen "die unbeabsichtigte Folge zu haben, dass viele Menschen ihre Geschäftstätigkeit aufgeben", fügte Abuza hinzu. 

Im Juli traten bereits Gesetzesnovellen zur Mehrwertsteuer, Körperschaftssteuer und Einkommensteuer in Kraft, die Unternehmen zu mehr Buchführung und Dokumentation verpflichten. Darüber hinaus gibt es neue, oft komplizierte Verfahren für die Rechnungsstellung, die Zahlung der Mehrwertsteuer und den Informationsaustausch mit den Behörden, obwohl die Regierung auch die Schwelle für die Zahlung der Einkommensteuer verdoppelt hat.

Radio Free Asia berichtete im Juni, dass 80 Prozent der Geschäfte auf dem größten Markt in der nordzentralen Provinz Nghe An in den letzten Monaten geschlossen wurden. Die Behörden wiesen Behauptungen zurück, Steueränderungen seien der Grund für die Schließungen. Beamte aus Hanoi räumten ein, dass im Mai und Juni fast 3000 Haushaltsunternehmen ihren Betrieb eingestellt hatten, sagten jedoch, dass davon nur 263 einen ausreichend hohen Umsatz erzielen würden, um das neue System einführen zu müssen.

Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein 

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