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Politik

Er ist wieder wer

6. Juli 2018

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat seine Differenzen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingspolitik nicht ausgeräumt. Doch inzwischen stehen wohl die meisten EU-Regierungen auf seiner Seite.

Deutschland Berlin Viktor Orban und Angela Merkel
Bild: Reuters/A. Schmidt

Rund drei Jahre lang war Viktor Orbán nicht mehr bei Angela Merkel. Bei Horst Seehofer, ihrem innerparteilichen Gegenspieler in Sachen Migration, ist er dagegen gern gesehener Gast. Auch ein Besuch Orbáns beim inzwischen verstorbenen früheren Bundeskanzler Helmut Kohl war eine Abrechnung mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.

Merkels CDU und Orbáns Fidesz-Partei gehören im Europaparlament einer gemeinsamen Fraktion an. Doch die flüchtlingspolitischen Vorstellungen der beiden Regierungschefs gingen seit dem Herbst 2015 fast diametral auseinander. Merkel ließ aus Humanität praktisch jeden einreisen, Orbán riegelte ab und beschwor das Ende der abendländischen Kultur durch unkontrollierte Massenmigration herauf. Ihre Politik nannte er einmal "moralischen Imperialismus".

Von Flüchtlingsverteilung ist kaum noch die Rede

Bei grundlegenden Unterschieden ist es bis heute geblieben. Merkel sagte bei der gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstag, "dass wir immer daran denken müssen, dass es um Menschen geht, die zu uns kommen". Lange hat Merkel für eine faire Verteilung von Flüchtlingen auf die gesamte EU geworben, sogar mit finanziellen Konsequenzen gedroht, wenn andere dabei nicht mitmachten. Doch die Regierungen der sogenannten Visegrad-Gruppe - Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei - lehnen das bis heute kategorisch ab.

Polen, Ungarn, die Slowakei und Tschechien wollen keine Flüchtlinge aufnehmenBild: picture-alliance/AA/O. Marques

Orbán fühlt sich hier unfair behandelt. "Es verletzt uns, wenn wir von Deutschland beschuldigt werden, dass wir keine Solidarität zeigen." Die Solidarität bestehe darin, dass Ungarns Grenzpolizisten Tausende Migranten abwiesen, die andernfalls nach Deutschland reisten, sagte er im Kanzleramt. "Das ist Solidarität." Heute ist von Flüchtlingsverteilung kaum noch die Rede.

Der Wind hat sich gedreht

Überhaupt fühlen sich Orbán und die anderen Visegrad-Regierungschefs inzwischen in der Migrationsfrage bestätigt, spätestens seit dem jüngsten Gipfel vor einer Woche. Dort war fast nur noch von Abschottung die Rede. Orbán sprach nach dem Gipfel von einem "immensen Erfolg" seiner Thesen. "Europa orbanisiert sich", titelte "Der Spiegel". "Der Wind in Europa hat sich gedreht", freute sich die regierungsnahe ungarische Zeitung "Magyar Idök". In der ARD-Talkshow mit Anne Will hatte Merkel bereits im Juni ein paar anerkennende, wenn auch dürre Worte für Ungarns Grenzzaun gefunden, als sie sagte, Ungarn mache an der EU-Außengrenze zur Serbien "für uns gewissermaßen die Arbeit".

Kai-Olaf Lang von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik bestätigt den Eindruck der Zeitenwende: "Einige der mitteleuropäischen Länder schienen am Anfang am Rande zu stehen, jetzt ist es der Mainstream. Sie waren am Anfang in der Minderzahl, jetzt präsentieren sie im Grunde das, was wahrscheinlich die Mehrheit der Mitgliedsstaaten denkt."

Ungarische Grenze zu Serbien: "Das ist Solidarität" Bild: picture alliance/dpa/S.Ujvari

Am Freitag konstatierte die "Magyar Idök" zufrieden: "Die Tatsache, dass Merkel Orbán nach Berlin eingeladen hat, ist ganz eindeutig Ausdruck der Anerkennung des politischen Sieges (im Streit um die Flüchtlingsverteilung). (…) Niemand will Deutschland das Recht streitig machen, Migranten bei sich aufzunehmen. Wir respektieren die Berliner liberale Denkweise. (...) Wir verlangen nur so viel, dass man in Berlin auch unsere Vorstellungen respektiert."

Weniger Interesse an Ungarns Rechtsstaatlichkeit

Die veränderte politische Lage in Europa könnte auch auf andere Bereiche abfärben. Ungarn und Polen stehen in Brüssel wegen ihrer Medien- und Justizpolitik am Pranger. Die EU-Kommission sieht hier rechtsstaatliche Defizite. Der ungarische Historiker György Dalos bescheinigte am Donnerstag im WDR Orbán "taktischen Spürsinn", denn "Orbán weiß, dass die EU heute nicht daran interessiert wäre, irgendeinen offenen Konflikt mit zu vielen anderen Ländern zu haben." Auch in diesem Punkt kann sich Orbán offenbar auf Seehofer verlassen, der über den ungarischen Ministerpräsidenten sagt: "Ich kann keine Zweifel anmelden, dass er auf dem Boden rechtsstaatlicher Grundsätze steht."

Kai-Olaf Lang glaubt zwar nicht an einen Kuhhandel: Orban nimmt Flüchtlinge aus Deutschland zurück, Deutschland schützt Ungarn vor Brüsseler Angriffen auf seine Innenpolitik. Doch allein durch die veränderte politische Großwetterlage mit mehr Rechtsregierungen wie in Italien und Österreich nehme das Interesse an einer Bestrafung Ungarns und Polens ab: "Es gibt mehr Länder, die zurückhaltend sind bei der Frage, ob Brüssel in Fragen der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie intervenieren soll."

Und plötzlich war beim EU-Gipfel in Brüssel nur noch von Abschottung die RedeBild: picture alliance/dpa/AP/G. Vanden Wijngaert

Deutschland soll alle zusammenhalten

So spaltet sich die EU nicht nur in der Frage der Migration, sondern auch bei allgemeinen politischen Vorstellungen. Nach Einschätzung von Lang wollen die Visegrad-Länder in der Europapolitik "zurück zu den Wurzeln, das heißt, ein gutfunktionierendes wirtschaftliches Fundament, aber eher in die Richtung De Gaulle, das 'Europa der Vaterländer', nicht eine politische Union."

Die Gegenpole in Europa, glaubt Lang, sind aber, abgesehen von der Flüchtlingsfrage, nicht unbedingt "Merkels Europa" und "Orbáns Europa", sondern eher "Macrons Europa" und "Orbáns Europa". Während der französische Präsident die EU auf die Eurogruppe ausrichten und den französischen Arbeitsmarkt vor Billigkonkurrenz aus Ostmitteleuropa schützen wolle, habe Deutschland schon durch seine "Mittellage" immer auch den Osten im Blick. Deutschlands Rolle solle dadurch zwar keine Vermittlerrolle sein, so Lang, aber "die Rolle eines Akteurs, der den Zusammenhalt sichert, der in der Lage ist, auch wenn es schwierig ist, mit allen zu sprechen und alle mitzunehmen." Dies scheint die Kanzlerin bei allen Meinungsunterschieden mit Orbán verinnerlicht zu haben.

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