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Politik

Viktor Orbán - Osteuropas Anti-Macron?

15. Mai 2018

Nach seiner erneuten Vereidigung als Ministerpräsident Ungarns positioniert sich Viktor Orbán als europapolitischer Gegenpol zu Emmanuel Macron. Er will den Osten der EU hinter sich bringen. Ist das realistisch?

Ungarn Viktor Orbans Amtsantritt
Viktor Orbán spricht im ungarischen Parlament vom "Zeitalter der christlichen Demokratie"Bild: picture-alliance/AP Photo/T. Kovacs

Wenn Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán eine wichtige Rede hält, flicht er oft gewollt provokative Gedanken oder Schlagwörter ein. Nach seiner Wiederwahl 2014 beispielsweise erklärte er die "Ära der politischen Debatten" in Ungarn für beendet und rief ein "Zeitalter des Handelns" aus. Im selben Jahr verkündete er auch Ungarns Umgestaltung zu einem "arbeitsbasierten, illiberalen Staat". Im letzten Sommer bezeichnete Orbán die EU-Kommission in einer programmatischen Rede als "Inquisition"; an anderer Stelle wiederum pries er Ungarn als "Bollwerk des christlichen Europas".

Als Orbán am Donnerstag letzter Woche im Budapester Parlament anlässlich seiner erneuten Vereidigung als Ministerpräsident sprach, fiel seine Rede weniger aggressiv aus als in früheren Zeiten. Er redete im Stil eines erfahrenen Staatsmannes, ohne Sticheleien und Provokationen. Doch so versöhnlich sein Ton war, so hart blieb Orbán in der Sache.

Proteste gegen den Abbau der Demokratie: Demonstranten vor dem Parlament in BudapestBild: picture-alliance/dpa/AP/MTI/M. Monus

Orbans schöne neue Welt

Innenpolitisch verkündete er in wenig verklausulierten Worten, mindestens bis 2030 regieren zu wollen - bis dahin solle Ungarn zu den fünf besten und lebenswertesten Länder der Europäischen Union gehören, so Orbáns Ziel. Der liberalen Demokratie, deren Zeitalter Ungarns Ministerpräsident für beendet sieht, stellt er nun nicht mehr einen "illiberalen Staat" entgegen, sondern eine "christliche Demokratie". Eine Formel, die wohl auch ein Signal des taktischen Einlenkens an die Adresse der "Europäischen Volkspartei" (EVP) ist, in der intern heftig um das Für und Wider eines Ausschlusses von Orbáns Partei Fidesz gestritten wird.

Aufmerksamer dürften Diplomaten Orbáns außenpolitische Aussagen verfolgt haben, die wenig Neues enthalten, aber noch einmal in aller Deutlichkeit und Härte formuliert waren: Ungarn wird laut Orbán Teil des westlichen Bündnisses bleiben, dabei allerdings im Spannungsfeld zwischen "Berlin, Moskau und Istanbul" strikt auch eigene geopolitische Interessen verfolgen, dabei aber keinerlei "Demokratieexport" betreiben oder anderweitige ideologische Interessen vertreten.

Die beiden außenpolitischen Schlüsselpassagen von Orbáns Rede waren eine klare Absage an das Projekt der Vereinigten Staaten von Europa, das Orbán einen "fiebrigen Alptraum" nannte. Die EU müsse vielmehr als "Bündnis freier Nationen wirken". Dafür werde Ungarn mit ganzer Kraft eintreten. Zugleich bot Orbán den Staaten des "Karpatenbeckens" eine intensive Kooperation an mit dem Ziel, die Region "zum sichersten, sich am schnellsten entwickelnden, einheitlichen Wirtschafts-, Handels- und Verkehrsraum [zu] machen".

Orban als Macron Osteuropas?

Orbán hat sich damit als europapolitischer Gegenpol zum französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron positioniert. Dass er alleine mit Blick auf Ungarns Größe und Wirtschaftskraft nicht einmal ansatzweise ernst genommen werden würde, ist ihm dabei durchaus bewusst. Orbán versucht daher schon seit längerem, eine festere Allianz der östlichen EU-Mitglieder zu schmieden und auch die EU-Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan ins Boot zu holen. In Brüssel soll diese Allianz gemeinsam auftreten und den langfristigen Reformplan eines "Europas der Nationen" verfolgen - einer EU, die im Wesentlichen als Wirtschaftsallianz funktioniert und Fragen nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ihren Mitgliedsstaaten überlässt.

Zum Besuch bei Gleichgesinnten: Orbán (li.) mit dem polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki in WarschauBild: picture-alliance/NurPhoto/M. Wlodarczyk

In diesem Licht muss auch Orbáns erste große Auslandsreise nach seiner Wiederwahl bewertet werden, die ihn am Montag zu Polens Staatspräsident Jaroslaw Kazcynski führte. Bereits am Wochenende zuvor hatte Orbán in Slowenien den Wahlkampf des nationalistisch-konservativen Ex-Premiers Janez Jansa unterstützt, dessen Partei ebenso Mitglied der EVP ist wie Orbáns Fidesz-Partei. Ein gutes Verhältnis verbindet Orbán seit langem auch mit anderen politischen Führern der Region: mit dem slowakischen Ex-Premier Robert Fico, mit Liviu Dragnea, dem Chef der rumänischen Sozialdemokraten, die faktisch eine nationalistisch-wendekommunistische Partei ist, mit Bulgariens Regierungschef Bojko Borissov und Mazedoniens Ex-Premier Nikola Gruevski - aber auch mit Aleksandar Vucic, dem nationalkonservativen Staatspräsidenten Serbiens, für dessen schnelle EU-Integration Orbán sich besonders nachdrücklich einsetzt.

Für diese und viele andere Politiker der Region ist Orbáns autoritäres,  wenig transparentes und auf Korruption basierendes Herrschaftsmodell attraktiv. Doch als einheitlicher Block sind die osteuropäischen EU-Mitglieder bisher nur selten aufgetreten, etwa in der Frage der Flüchtlingsquoten, und auch dabei gab es immer wieder Meinungsverschiedenheiten.

Osteeuropa ist nicht einheitlich

Insgesamt machen die unterschiedlichen Interessen und politischen Kräfteverhältnisse in den einzelnen Ländern eine Anti-Brüssel-Allianz des Ostens der EU zur Zeit eher wenig wahrscheinlich. Polen und Rumänien missfällt der prorussische Kurs von Viktor Orbán und Robert Fico, Tschechien und Bulgarien sind in dieser Frage gespalten, auch an der Beurteilung der Entwicklung in der Ukraine scheiden sich die Geister. Eher schwierig ist das Verhältnis zwischen Ungarn und Kroatien - trotz ähnlicher ideologischer Ausrichtung der Regierungen.

Orbáns Feind Nr. 1: Die Soros-Stiftung verlässt UngarnBild: Reuters/B. Szabo

Zudem verfügt kein anderer Politiker eines osteuropäischen Landes über eine ähnlich große politische Macht wie Orbán. So könnte es sein, dass Orbán am Ende innernahlb der EU nur sein eigenes Vetorecht als Drohkulisse bleibt. Dass er davon Gebrauch machen wird, hat er vor einigen Tagen bereits angekündigt. Befragt zur beginnenden EU-Haushaltsdebatte und zu einer möglichen Verknüpfung von Rechtsstaatlichkeit und der Vergabe von Fördergeldern, sagte Orbán in seinem wöchentlichen Radiointerview: "Ruhig Blut. Solange die Ungarn nicht zustimmen, wird es keinen Haushalt geben."

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