Hype um Vintage-Mode: Gen Z auf Schatzsuche
4. April 2025
Nach besonderen Klamotten zu stöbern, ist eines von Leonies liebsten Hobbys. Die 27-jährige Modedesign-Studentin richtet ihr Augenmerk dabei allerdings nicht auf die neuen Kollektionen der Modefirmen, sondern schaut ganz gezielt nach gebrauchten Stücken. Am liebsten online.
"Das ist wie eine digitale Schatzsuche, beschreibt Leonie ihr Vorgehen. Entscheidend sei es, die richtigen Schlagwörter einzugeben - und das in verschiedenen Sprachen. Dann stoße man am ehesten auch mal auf einen außergewöhnlichen Fund - für Leonie ein Hochgefühl.
Secondhand Kleidung im neuen Gewand
Leonie ist mit ihrer Faszination für Vintage nicht allein. Besonders unter den 15 bis 30-Jährigen, der sogenannten Generation Z, hat sich Vintage zu einem Mainstream-Trend entwickelt. Secondhand sei zwar schon immer ein Teil der Jugendmode gewesen, sagt Elke Gaugele, Professorin für Moden und Styles an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, neu aber sei die mediale Aufbereitung.
Während Vintage-Shopping früher hieß, sich durch teils muffige, vollgestopfte Läden zu wühlen, boomt seit Jahren vor allem der Online-Handel von Secondhandprodukten. Der Imagewandel zeigt sich auch im neuen sprachlichen Gewand: Statt "aus zweiter Hand" ist nun häufig von "Preloved" oder "Vintage" die Rede.
Per Definition bedeutet Vintage, dass ein Kleidungsstück mindestens 20 Jahre alt ist - im Netz aber wird das nicht so genau genommen. Unter dem Hashtag "Vintage" finden sich auch sehr viel jüngere Teile, darunter oft gebrauchte Fast Fashion-Mode. Die Bezeichnung Vintage verleiht ihnen ein Gefühl von Exklusivität und nicht selten auch einen Preisaufschlag.
Was macht Vintage so attraktiv?
"Vintage zu kaufen ist unglaublich eng mit der Selbstwahrnehmung verbunden", sagt Modejournalistin und Social Media Beraterin Valentina Herbort. Sie betreibt einen Instagram-Kanal über "Das Wichtigste aus Mode und (Pop-)Kultur" – mit knapp 70 tausend Followern. Ihr Fokus: die Gen Z.
Valentina Herbort sieht den Vintage-Trend in erster Linie als Antwort auf den Wunsch nach Individualität. "Die Gen Z hat durch die Globalisierung eine deutlich größere modische Auswahl als die Generationen zuvor. Daraus erwächst der Anspruch, den eigenen individuellen Stil zu finden."
Im digitalen Zeitalter, in dem sich Trends in Echtzeit verbreiten, ist das allerdings gar nicht so einfach. "Wir schauen alle die gleichen Serien, haben die gleiche Inspiration. Deswegen kaufen dann auch alle die gleichen 23 Sachen bei Zara, auch wenn 100 in der Auswahl sind. Das findet die Gen Z noch schlimmer als andere Generationen."
Wunsch nach Wertigkeit
Neben dem Wunsch nach Einzigartigkeit betont Valentina Herbort aber auch das Interesse am Produkt selbst. Mehr noch als die Generationen zuvor, lege die Gen Z viel Wert auf qualitative Materialien. Neue Jeans zum Beispiel seien schlechter verarbeitet. "Wenn man eine von früher und eine von heute anhat, dann merkt man den Unterschied direkt. Das ist ein starkes Verkaufsargument: etwas Besseres für günstiger zu kaufen."
Auch Nachhaltigkeit und faire Produktionsbedingungen spielen für die junge Generation häufig eine wichtige Rolle beim Kleidungskauf. Die Fast Fashion Industrie steht seit Jahren wegen schlechter Arbeitsbedingungen, Unterbezahlung und Umweltverschmutzung in der Kritik. Der Vintage-Trend sei "eine reflektierte Antwort der Gen Z", meint Elke Gaugele.
Vintage als Konsumgut
Kleidungsstücken ein zweites Leben zu bieten und somit Ressourcen zu schonen, ist zwar grundsätzlich nachhaltig, Trendforscher Eike Wenzel bezweifelt allerdings, dass durch den Vintage-Trend tatsächlich weniger Fast Fashion gekauft werde. "Vintage ist kein Ausweg aus der Konsumgesellschaft", so Wenzel.
Das scheint sich zu bestätigen, wenn man den Vintage-Trend auf Social Media verfolgt: Mit Bewusstheit hat es eher wenig zu tun, wenn Vintage-Begeisterte Stapel von Online-Bestellungen in sogenannten "Thrift Hauls" auspacken. Zudem ist Vintage auch nicht länger ein zeitloses Konzept, sondern unterliegt, so wie die übrige Modewelt, Trendzyklen. Sprich: Angesagt ist nicht einfach, was alt ist, sondern es gibt wechselnde Schwerpunkte. Derzeit "in" ist beispielsweise "Y2K", eine Mode, die die 2000er feiert – mit tiefsitzenden Hosen, viel Glitzer und einer bewusst billigen Optik. "Fast Vintage" sozusagen? Eike Wenzel stimmt zu.
Mehr als ein Trend?
Valentina Herbort sieht die Begeisterung für Vintage dennoch als eine positive Entwicklung in Sachen Nachhaltigkeit. Sicherlich gebe es Menschen, die Vintage zusätzlich kaufen würden, aber das sei nicht die Mehrheit. "Ich glaube, wir sind in einer gesellschaftlichen Umkehr. Menschen merken die Vorteile qualitativer Secondhand-Kleidung und entscheiden sich langfristig für Vintage statt Fast Fashion."
Das wünscht sich auch Sandra Calderon aus Kolumbien, die über ihr Instagram-Profil, "Revancha Vintage", besondere Einzelstücke verkauft. Auch in ihrem Heimatland wandelt sich das Bild von Vintage - weg von gebrauchten Klamotten hin zu einzigartigen Teilen, die eine Geschichte erzählen. Mit Blick auf den Vintage-Markt in Europa, sagt sie:
"Es gibt ein großes Angebot an sehr qualitativem Vintage, aber die Preise sind teilweise inflationär - weil es im Trend ist. Manchmal kostet ein Vintage-Teil mehr als etwas Neues. Das widerspricht der Idee, dass Vintage eine erschwingliche Option sein soll."
Ihre Vision für die Zukunft: "Vintage und Secondhand-Mode sollten nicht bloß ein Trend, sondern erste Wahl sein." Ein Blick in Leonies Kleiderschrank würde sie wahrscheinlich freuen: Der ist schon jetzt zu 90 Prozent mit Vintage-Teilen gefüllt.