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Viren, Bakterien & Co: Was bringt Abwassermonitoring?

20. Dezember 2024

Auch nach der Corona-Pandemie liefern Abwasseruntersuchungen wichtige Daten über Krankheitserreger - so wurden in Deutschland Polio-Viren entdeckt. Aber was lässt sich mit der Methode tatsächlich nachweisen?

Abwasser und seine Potenziale
Im Abwasser können Grippe- und Polioviren, RSV, Pocken, Hepatitis A und Krankenhauspilze nachgewiesen werden Bild: Stephanie Pilick/dpa/picture alliance

Schon vor der Corona-Pandemie wurde das Abwasser in vielen Ländern auf Chemikalien, Drogenrückstände und Krankheitserreger untersucht. Denn Abwasser enthält Bakterien, Viren und andere Pathogene, die von Menschen oral oder fäkal ausgeschieden werden.

In der Pandemie wurde die Überwachung und Kontrolle des Abwassers stark ausgeweitet, um möglichen Wellen von COVID-19 und neuen Varianten von SARS-CoV-2 auf die Spur zu kommen.

Das hat dem Abwassermonitoring vielerorts einen Schub verliehen, so Aparna Keshaviah. Sie ist die Direktorin für Abwasserforschung beim US-amerikanischen Forschungs- und Datenanalyseunternehmen Mathematica. "Seit der COVID-Pandemie haben einige Länder ihre Kapazitäten für Labortests oder automatische Probeentnahmeverfahren aufgebaut. Andere haben bestehende Programme erweitert, um mehr Standorte einzubeziehen. Außerdem entwickeln und verfeinern Forschende neue Labortests zum Nachweis einer breiten Palette von Krankheitserregern wie Malaria, Typhus und anderer Durchfallerkrankungen. So lässt sich auch die Opioid-Epidemie überwachen."

Dank des konsequenten Monitorings wurden zum Beispiel jüngst in mehreren deutschen Städten in den Abwasserproben Polioviren nachgewiesen. Diese abgeschwächten Impfviren sind zwar ungefährlich, aber die Funde zeigen, dass das Abwassermonitoring funktioniert.

Woher stammen die Polio-Erreger im Abwasser?

Die gefundenen Erreger gehören laut Robert Koch-Institut (RKI) nicht zum Wildtyp des Poliovirus. Die Erreger gehen auf die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit abgeschwächten, aber lebenden Polio-Erregern zurück.

In Deutschland wird seit 1998 ein inaktiver Impfstoff eingesetzt. Vermutlich stammen die gefundenen Erreger von Personen, die eine Schluckimpfung erhalten haben und nach Deutschland zugewandert sind.

Abwasser als Frühwarnsystem

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Welche Krankheitserreger lassen sich im Abwasser nachweisen?

"Die Überwachung von Abwässern ist seit fast einem Jahrhundert ein wichtiger Bestandteil der Krankheitsüberwachung, um Ausbrüche von Krankheiten wie Cholera und Polio zu erkennen. Der Ansatz gibt auch Aufschluss über Grippeviren, Respiratorische Synzytial-Viren (RSV), Polioviren und Pocken, Hepatitis A, den Krankenhauspilz Candida auris und mehr", erläutert Mathematica-Abwasserexpertin Keshaviah. 

Das Frühwarnsystem kann vor allem dann besonders hilfreich sein, wenn überraschend neue Erreger auftreten. Etwa wenn das weltweit grassierende, hochansteckende Vogelgrippevirus H5N1  auf den Menschen überspringen sollte.

Was verrät das Monitoring über Herkunft und Verbreitung der Erreger?

Durch die Abwasseruntersuchungen können Forschende feststellen, wie stark ein bestimmter Erreger in einer Bevölkerungsgruppe zirkuliert und sich vermehrt. Wie viele Personen genau erkrankt sind, verrät das Monitoring allerdings nicht. Ebenso wenig, wer sich wo angesteckt haben könnte. Dafür sind weiterführenden epidemiologische Untersuchungen notwendig.

"Das Ziel der Abwasserüberwachung besteht nicht darin, genau zu bestimmen, wer infiziert ist. Klinische Tests sind nach wie vor der beste Weg, um Infektionen auf individueller Ebene zu verstehen. Stattdessen ist die Abwasserüberwachung ein wirksamer Ansatz, um die Gesundheit einer Bevölkerung als Ganzes zu beurteilen", sagt Aparna Keshaviah.

Da das Abwasser von mehreren tausend Menschen stammt, lässt sich nicht herausfinden, wer sich wo angesteckt hatBild: H. Blossey/blickwinkel/picture alliance

Erst durch die Analyse lassen sich das Bedrohungspotential und mögliche Konsequenzen ableiten, so Keshaviah. "Der Nachweis ist jedoch nur der erste Schritt. Wir können die Erkenntnisse aus den Abwasserdaten vervielfachen, wenn wir diese Daten mit anderen Datenquellen kombinieren und entsprechend analysieren."

Anhand der Abwasserdaten könne man die Zahl der Krankenhausaufenthalte, Drogenüberdosierungen und Todesfälle in einer Region vorhersagen, so Keshiviah. Das könne den Behörden helfen, die Ressourcen wie medizinischen Personal oder Medikamente dort einzusetzen, wo sie am dringendsten benötigt werden. 

Die große Herausforderung ist jedoch, dass die Abwasserdaten nicht pauschal vergleichbar sind. Denn je nach Abwassersystem unterscheiden sich auch die Abwasser. Abhängig vom Standort gelangen auch Regenwasser oder Industrieabwasser in die Kanalisation. "In sehr großen städtischen Gebieten, in denen Kläranlagen Hunderttausende von Menschen oder sogar mehr als eine Million Menschen versorgen, können die Behörden das Abwasser flussaufwärts überwachen. Zum Beispiel an Pump- oder Hebeanlagen, um detailliertere Daten zu erhalten", erklärt die Mathematica-Abwasser Keshiviah. 

Was geschieht mit den Daten aus dem Abwassermonitoring?

Nach den Polio-Funden wurden in Deutschland die Gesundheitsbehörden und Mediziner in der betroffenen Region sensibilisiert. Sie sollen auf mögliche Symptome achten und den Impfstatus kontrollieren. Darüber hinaus hat die Ständige Impfkommission (STIKO) Eltern aufgefordert, ihre Kinder - wenn nötig - zu impfen. Leichte Erkältungskrankheiten seien kein Grund, fällige Impfungen zu verschieben.

Insgesamt ist der Polio-Impfschutz bei vielen Kindern in Deutschland laut STIKO schlecht: Nur 77 Prozent der Kinder in einem Alter von zwei Jahren haben einen vollständigen Impfschutz. Im Einschulungsalter von sechs Jahren hätten 88 Prozent den vollständigen Schutz. Ziel sei eine Impfquote von mindestens 95 Prozent bis zum Ende des ersten Lebensjahres.

Wie kann das Abwassermonitoring weiter ausgebaut werden?

In der Corona-Pandemie hat eine Studie den Nutzen von Abwassermonitoring in mindestens 55 Staaten nachgewiesen. Laut Studie lassen sich aus dem Abwassermonitoring nützliche Lehren für nationale Reaktionen auf künftige Pandemien ziehen.

Durch die Analyse der Viruslast im Abwasser werden Trends im Infektionsgeschehen erfasst, lange bevor diese durch klinische Tests sichtbar werden. Die Analyse spürt Krankheitserreger auf, selbst wenn die Bevölkerungsgruppe noch keine Symptome zeigt. Außerdem ist sie kostengünstiger als individuelle Testungen.

In der Europäischen Union wird ein Abwassermonitoring ab 2027 verbindlich sein. Weltweit gelangen allerdings weiterhin große Mengen von Abwässern, auch aus Landwirtschaft und Industrie, unbehandelt in die Umwelt und verschmutzen sowohl Süß- als auch Salzwasser. Mit dem ungereinigten Abwasser gelangen auch Krankheitserreger in den Kreislauf und können sich verbreiten.

Deshalb sollte die Abwasseranalyse auch an Orten eingeführt werden, an denen es keine offiziellen Abwassersysteme und damit keine Überwachung gibt.

 

Ausgewählte Quellen:

AMELAG: Abwassermonitoring für die epidemiologische Lagebewertung

Überwachung von SARS-CoV-2, Influenza- und Polioerregern im Abwasser

https://www.rki.de/DE/Content/Institut/OrgEinheiten/Abt3/FG32/Abwassersurveillance/Abwassersurveillance.html

Establishment of local wastewater-based surveillance programmes in response to the spread and infection of COVID-19 – case studies from South Africa, the Netherlands, Turkey and England 

https://iwaponline.com/jwh/article/20/2/287/86887/Establishment-of-local-wastewater-based

Separating signal from noise in wastewater data: An algorithm to identify community-level COVID-19 surges in real time

https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2216021120

Developing a Flexible National Wastewater Surveillance System for COVID-19 and Beyond

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33877858/

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